Bonnie & Clyde

Apotheke überfallen, Viagra geraubt

Berlin - 27.07.2016, 13:00 Uhr

8.000 Euro und Viagra: Die Polizei St. Wendel sucht diese zwei mutmaßlichen Täter, die vor einigen Monaten auf brutale Art und Weise eine Apotheke ausgeraubt haben sollen. (Foto: Polizei St. Wendel)

8.000 Euro und Viagra: Die Polizei St. Wendel sucht diese zwei mutmaßlichen Täter, die vor einigen Monaten auf brutale Art und Weise eine Apotheke ausgeraubt haben sollen. (Foto: Polizei St. Wendel)


In der Ostertal-Apotheke im saarländischen Freisen spielten sich an einem Samstagabend im Februar gruselige Szenen ab: Ein Pärchen überfiel den notdiensthabenden Apotheker, bedrohte ihn mit einer Pistole, raubte mehrere tausend Euro sowie zwei Packungen Sildenafil. Seit gestern ermittelt die Polizei mit einem Fahndungsbild. Der betroffene Pharmazeut will nun seine Kollegen warnen.

Für den Apotheker Abdelali Ziate sollte es eigentlich eine ruhige Winternacht werden. Seine Apotheke war an jedem Samstagabend die einzige Notdienst-Apotheke im Landkreis St. Wendel. Es passierte nichts Ungewöhnliches: ein paar Hustenmittel, Fiebersaft für Kinder – eine Notdienst-Winternacht eben. Ziate selbst hatte sich am Freitag frei genommen und war für die Nacht ausgeruht und fit.

Doch mit der Ruhe sollte es kurz nach 23 Uhr ein Ende haben. Eine Frau klingelte an der Notdienstglocke. Ziate erinnert sich: „Sie sah sehr gepflegt aus und sprach sehr gut deutsch. Mir fiel nichts Besonderes auf.“ Die Frau fragte den Apotheker nach einem Inhalationsgerät. Sie sei nicht aus dem Saarland und habe eben bemerkt, dass das Gerät ihres Sohnes nicht mehr funktioniere – nun müsse Ersatz her.

Für Ziate war es bis dahin absolut gewöhnlich, seine Kunden während des Notdienstes in die Apotheke zu lassen und das Beratungsgespräch in der Offizin durchzuführen. Auch diese Kundin ließ der Apotheker also eintreten – eine Entscheidung, die Ziate bis heute bereut. Denn kaum hatte er sich umgedreht, stürmte hinter der Frau ein dunkel bekleideter Mann in die Apotheke, schrie ihn an und hielt ihm einen Pistolenlauf ins Gesicht. „Ich hatte noch nie in meinem Leben eine Pistole gesehen und war sehr verängstigt“, erinnert sich der Apotheker.

Als erste Reaktion griff Ziate übereilt und hektisch in seine Hosentasche, um den Räubern sein Bargeld zu geben. „Das war ein Fehler, der Mann dachte, ich würde eine Waffe herausholen.“ Die Täter forderten den Apothekenbesitzer auf, alles vorhandene Bargeld in eine Tüte zu packen. Als Ziate mit den Kassen fertig war, forderten sie noch mehr Geld. Der Apotheker schloss seinen Tresor auf und legte alles vorhandene Geld in die Tüte. Als Ziate glaubte, nun sei der Überfall beendet, überraschte ihn der männliche Täter mit einer weiteren Forderung: Er wolle ein Potenzmittel mitnehmen. Ziate händigte ihm zwei Packungen Sildenafil aus, das kriminelle Duo verschwand.

Im Notdienst nicht die Tür aufmachen

Weil die Ermittlungen in den ersten Wochen zwar ein paar Hinweise ergaben, aber zu keinem konkreten Ergebnis führten, veröffentlichte die Polizei am gestrigen Dienstag eine Pressemitteilung sowie das Fahndungsfoto der beiden Täter. Als Diebesgut sind dort angegeben: „8.000 Euro Bargeld, zwei Päckchen Sildenafil.“ In der Mitteilung schildert die Polizei den Tatablauf. Dort heißt es: „Als die Tür offen war, trat der zuvor abseits stehende männliche Täter unter Vorhalt einer Pistole hinter der Frau in die Apotheke ein. Der männliche Täter habe sofort Bargeld gefordert. Weiter drohte er dem Apotheker, dass er seinen Forderungen nachkommen solle, wenn er gesund bleiben möchte.“

Und weiter: „Der Täter steckte das Diebesgut in eine Plastiktüte mit Apothekensymbol. Nachdem der männliche Täter noch zwei Päckchen Potenzmittel verlangte, verließen beide Täter zu Fuß den Tatort.“ Die Beamten suchen nun nach folgenden Tätern und hoffen auf Rückmeldungen aus der Bevölkerung: „Ein Mann, ca. 190-195 cm groß, korpulent, trug schwarze Mütze, einen schwarzen Schal und schwarze Handschuhe. Er trug eine rote Winterjacke und Bluejeans. Die Person hat hochdeutsch gesprochen. Und eine Frau, ca. 30-40 Jahre, ca. 150-165 cm, mittlere Statur, trug schwarze Mütze, schwarzen Schal, schwarze Handschuhe, Bluejeans und schwarze Jacke.“

Drei Empfehlungen an Apotheker-Kollegen

Ziate hat den Schock gut überstanden. Weil er bereitwillig die Tür geöffnet habe, erwarte er nicht, dass die Versicherung ihm den Schaden erstatte. Noch habe sich die Versicherung aber nicht entschieden, sagt der Pharmazeut. Wichtig sind ihm aber die Erkenntnisse, die er aus der Tatnacht mitnimmt und gerne an seine Apotheker-Kollegen weitergeben möchte: „Erstens möchte ich empfehlen, dass man in einer solchen Situation immer den Forderungen nachkommt und das Geld abgibt. Was bringt einem das Geld, wenn man angeschossen im Krankenhaus liegt“, erklärt Ziate, der zwei kleine Töchter hat.

„Zweitens habe ich gelernt, dass ich im Notdienst nie wieder die Tür aufmachen werde.“ Seine Entscheidung, die Menschen während der Nächte in die Offizin zu lassen, erklärt der Apotheker so: „Für uns Apotheker ist es eine innere Freude, wenn wir Menschen helfen können. Wenn wir hören, dass ein Kind ein Inhalationsgerät braucht, setzt unser Apotheker-Instinkt ein: Wir wollen helfen!“ Man solle sich diesen Instinkt bewahren, sagt Ziate. Aber: „Machen Sie die Tür im Notdienst nie auf!“

Ziates dritte Empfehlung klingt für viele Apotheker zunächst etwas seltsam. Ihm habe sie aber das Leben gerettet. „Mein erster Chef hier in Deutschland sagte mir: ‚Wenn du irgendwann deine Apotheke hast, lass‘ immer etwas Bargeld in der Apotheke!‘ Mein alter Chef lag damit absolut richtig. Nur weil ich so viel Bargeld in der Offizin hatte, konnte ich verhindern, dass der Täter durchdreht und noch aggressiver wird.“



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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6 Kommentare

Geldbeschaffung via APOTHEKE

von Heiko Barz am 28.07.2016 um 10:12 Uhr

Die Nachtdienstklappe wird dennoch geöffnet werden müssen und gilt bei Experten als weiterer neuralgischer Angriffspunkt für Verbrecher, die mit Schißwaffen angreifen.
Wer ist dann schon so kaltschnäuzig im gleichen Mement die Klappe zuzuschlagen, sodass die Waffe aus der Hand fällt.
Überlegenswert wäre auch das Austauschen der Verglasung mit schussfestem Sicherheitsglas.
Welche Gedankenmodelle diskutiert werden müssen und das für 8,35-1,77€, eine Schande für dieses akademische Berufsbild.
Aber wie wir in unserem derzeitigen politischen Umfeld erkennen müssen, gibt es wohl nirgendwo mehr ein friedliches Lebensumfeld.

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AW: Schißwaffen

von Heiko Barz am 28.07.2016 um 10:17 Uhr

Wie komme ich nur auf "Schißwaffen"?

AW: Geldbeschaffung via APOTHEKE

von Heiko Barz II. am 11.01.2017 um 10:42 Uhr

...oder auf "Mement". :-)

Überfall im Notdienst

von Dr. Albrecht Emmerich am 28.07.2016 um 9:30 Uhr

War früher sehr beliebt;
Großes Windelpaket , das nicht durch die Notdienstklappe passt. Abhilfe:
Dann auseinzelnen und in Tüten durch die Klappe!

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Vorbeugung

von Dr. Arnulf Diesel am 28.07.2016 um 8:45 Uhr

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
offenbar gelten Apotheken in "Fachkreisen" als leichtes Ziel (meist weibliches Personal, keine Gegenwehr, kaum Prävention wie in anderen Geschäften). Ich kann mich über die Abschaffung des Bargelds daher nicht beschweren, schon heute nehme ich EC/Kreditkartenzahlungen ohne Mindestumsatz an - wird von den Kunden gerne angenommen und hält den Bargeldbestand niedrig. Two man rule - sonst bleibt die Tür zu, sowieso im Notdienst. Der Zugang zu scharfen Waffen zum Selbstschutz (natürlich mit regelmäßigem Training) sollte vereinfacht werden, dann würde ein Täter sich überlegen, für wenige hundert Euro ein solches Risiko einzugehen. Nicht nur eine, sondern eine Kombination von sichtbaren und unsichtbaren Vorkehrungen. Ich mache mir keine Illusionen, daß man Überfälle verhindern kann, aber bestimmt kann man sich als Ziel unattraktiver machen.

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Apotheke überfallen

von Alexander Zeitler am 28.07.2016 um 3:17 Uhr

Lieber Kollege,

Notdienst ist Sonderdienst. Und da ist sie Apothekentür einfach zu. Egal was da so anfällt.
Wie können Sie nachts jemanden reinlassen?
Denke, das sollte allen Kollegen eine Lehre sein. Zum Glück haben Sie das Ganze unverletzt überstanden.

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