Urteil des Bundessozialgerichts

Ärzte sollen Zytos selbst gebrauchsfertig machen

Berlin - 28.07.2016, 17:00 Uhr

Die Herstellung applikationsfähiger Parenteralia durch Apotheken soll keine explizit pharmazeutische Tätigkeit sein – meint das Bundessozialgericht. (Foto: VZA)

Die Herstellung applikationsfähiger Parenteralia durch Apotheken soll keine explizit pharmazeutische Tätigkeit sein – meint das Bundessozialgericht. (Foto: VZA)


Die Krankenkassen wollen die Kosten für Zytostatika so gering wie möglich halten. Nicht nur mit Ausschreibungen. Einige Kassen meinen, Ärzte sollten applikationsfähige Lösungen besser gleich selbst herstellen, statt eine Apotheke zu bemühen. Nun sagt das Bundessozialgericht, dazu könnten Ärzte nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot sogar verpflichtet sein.

Haben Apotheken bei der Herstellung anwendungsfertiger parenteraler Zytostatika-Lösungen bald ausgedient? Auf jeden Fall wird ihnen seit einiger Zeit das Leben sehr schwer gemacht. Immer mehr Krankenkassen schreiben die Versorgung mit diesen Arzneimitteln mittlerweile aus. Nur Apotheken, die ausreichend Rabatt bieten, bekommen regionale Exklusivverträge. Andere Anbieter werden damit von der Versorgung ausgeschlossen. Zudem kann es für Apotheken teuer werden, wenn bei ihnen Verwürfe anfallen. Immer wieder kommt es zu Streitigkeiten mit Kassen, die diese nicht bezahlen wollen, weil sie sie für vermeidbar halten.

So wehrt sich derzeit etwa die AOK Bayern gegen die Klage eines Apothekers, der nicht akzeptieren will, dass die Kasse Verwürfe nicht bezahlen will, die laut Fachinformation gar nicht mehr haltbar sind. Das Sozialgericht Würzburg gab in der ersten Instanz dem Kläger recht: Die Verwürfe seien unvermeidbar gewesen. Für die Haltbarkeit eines Anbruchs sei die vom pharmazeutischen Hersteller zur Verfügung gestellte Fachinformation maßgeblich. Die AOK hatte hingegen erklärt, das sei nicht der Fall, vielmehr gebe es Publikationen, denen zufolge das fragliche Arzneimittel länger haltbar sei. Diese Meinung hat sie noch immer – sie hat Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts eingelegt.

Wirtschaftlichkeitsgebot verletzt?

Wenn die AOK Bayern bis vor das Bundessozialgericht ziehen sollte, könnte dies ernüchternde Folgen haben. Zuletzt dominierten hier eindeutig Entscheidungen, bei denen Apotheken das Nachsehen hatten. Auch im vergangenen Februar fällte der 6. Senat des Bundessozialgerichts eine denkwürdige Entscheidung, deren Gründe nunmehr vorliegen. Hier geht es um einen möglichen Ärzteregress. Ob ein Vertragsarzt gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen hat und daher in Regress genommen wird, ist Aufgabe des Beschwerdeausschusses der Ärzte und Krankenkassen. Und gegen diesen klagt eine Kasse. Sie will die Prüfstelle verpflichten, gegen einen Onkologen einen Verordnungsregress in Höhe von 4.776,02 Euro festzusetzen. Warum? Er hatte monoklonale Antikörper als Rezepturen von einer Apotheke angefordert. Konkret ging es um Herceptin (Trastuzumab) und MabThera (Rituximab), die er als Rezepturarzneimittel verordnet hatte. Die Kasse meint jedoch: Der Arzt hätte diese Medikamente als Fertigarzneimittel verordnen und sie vor der Anwendung selbst in eine Kochsalzlösung einbringen sollen.

Die Prüfstelle des Beschwerdeausschusses meinte jedoch, dem Vertragsarzt könne das Gebrauchsfertigmachen von toxischen Arzneimitteln wie Zytostatika und MAK in der Praxis nicht zugemutet werden. Auch der Rechtsweg verlief für die Kasse zunächst nicht nach ihrem Geschmack: Sie konnten kein unwirtschaftliches Verhalten des Arztes erkennen. Dieser sei nicht verpflichtet, monoklonale Antikörper in Kochsalzlösungen einzubringen.

Gebrauchsfertigmachen von Arzneimitteln keine originär pharmazeutische Tätigkeit

Anders sieht es nun offenbar das Bundessozialgericht. Dieses hat den Fall zwar an das Landessozialgericht zurückverwiesen. Allerdings mit ziemlich deutlichen Vorgaben. Der 6. Senat ist überzeugt: Ein Vertragsarzt kann verpflichtet sein, Arzneimittel zur Anwendung an seinen Patienten selbst gebrauchsfertig zu machen, statt diese zur Anfertigung als Rezeptur durch eine Apotheke zu verordnen. Denn dies sei regelmäßig kostengünstiger und damit (allein) wirtschaftlich, heißt es im Urteil. Das Wirtschaftlichkeitsgebot verpflichtete den Vertragsarzt, umfassend – also in jedem Teilbereich – wirtschaftlich zu handeln, betont das Gericht.

Bei der Verordnung von Arzneimitteln sei es nicht allein in Bezug auf die Auswahl des Arzneimittels zu beachten, sondern auch dann, wenn zu entscheiden ist, ob der Vertragsarzt ein Arzneimittel selbst zur Anwendung an seinem Patienten gebrauchsfertig macht oder hiermit eine Apotheke beauftragt. Das Gebrauchsfertigmachen von Arzneimitteln sei – entgegen der Auffassung des Landessozialgerichts – auch nicht dem pharmazeutischen Bereich zuzuordnen. Es könne vielmehr auch selbstverständlicher Bestandteil einer ärztlichen Behandlungsmaßnahme sein. Dass die Gebührenordnung diese Tätigkeit nicht aufführe, lasse nicht den Umkehrschluss zu, dass es keine ärztliche Tätigkeit sei. Ob der Arzt im konkreten Fall verpflichtet gewesen sei, die monoklonalen Antikörper selbst gebrauchsfertig zu machen, konnte das Bundessozialgericht allerdings nicht abschließend beurteilen. Die Berufungsinstanz habe hierzu nicht die erforderlichen Feststellungen getroffen.

Wie hoch ist der Aufwand wirklich?

Und genau diese Feststellungen soll das Landessozialgericht nun nachholen: Es soll zunächst aufzuklären, ob das Gebrauchsfertigmachen dieser Arzneimittel durch den behandelnden Arzt – beziehungsweise durch sein medizinisches Fachpersonal – in onkologischen Praxen mit zumutbarem Aufwand möglich und „üblich“ ist und somit erwartet werden kann, dass die patientengerechte Zubereitung des Arzneimittels selbst vorgenommen wird. Sei dies der Fall, bedürfe es objektiver, medizinisch begründeter Zweifel, wenn ein Arzt geltend mache, ohne Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot den teureren Weg einer Anfertigung durch eine Apotheke wählen zu dürfen. Zu klären sei überdies, ob – und wenn ja, aus welchen Gründen – eine Verarbeitung von MAK in der Arztpraxis statt in einer Apotheke zu einer Gefährdung des Praxispersonals und/oder der Patienten führen könne.

Anzumerken sei noch: Es handelt sich in diesem Fall um Verordnungen aus den Quartalen II/2008 bis I/2009. Im Jahr 2009 wurde die Arzneimittelpreisverordnung geändert. Danach sind Fertigarzneimittel in parenteralen Anwendungen nicht (mehr) preisgebunden (§ 1 Abs. 3 Nr. 8 AMPreisVO). Insofern kann der Bezug über die Apotheke heute durchaus wirtschaftlicher sein.

Bundessozialgericht, Urteil vom 17. Februar 2016, Az.: B 6 KA 3/15 R



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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