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Pharmaziestudentin zur Lage in der Türkei
Eine Katastrophe für Wissenschaftler
Erst kurz vor dem Putschversuch und den einschneidenden Maßnahmen des türkischen Präsidents Recep Tayyip Erdoğan war eine Gruppe Freiburger Pharmaziestudenten in Istanbul. DAZ.online sprach mit einer der Organisatorinnen über ihre Erfahrungen – und die aktuellen Ergeignisse.
Über ein Programm des Europäischen Verbands von Pharmaziestudenten (EPSA) war eine Freiburger Gruppe von Studierenden im Mai in Istanbul – darunter Dorothea Dalig, die den Studentenaustausch mit organisiert hat. Sie studiert im achten Semester Pharmazie. Bis Mai war sie beim Bundesverband der Pharmaziestudierenden in Deutschland (BPhD) für die Zusammenarbeit mit dem europäischen Dachverband zuständig, nun engagiert sie sich in der BPhD-Arbeitsgruppe Jungpharmazeuten. DAZ.online hat bei ihr nachgefragt, wie sie die Zeit in der Türkei sowie die aktuellen Ereignisse erlebt hat.
DAZ.online: Was haben Sie im vergangenen Jahr während der fünf Tage in Istanbul gemacht – und wie hat die Stadt auf Sie gewirkt, Frau Dalig?
Dalig: Wir haben mit rund 15 Freiburger Kommilitonen an der Marmara-Universität diverse Vorträge gehört und Workshops gemacht. Ganz spannend war beispielsweise ein Vortrag einer Professorin, die über Psychopharmakologie forscht. Sonst ging es beispielsweise um klinische Pharmakologie oder Soft-Skills, wie das Team-Management, auch waren wir bei einem Großhändler. Wir haben natürlich Sightseeing gemacht, auch eine Bootsfahrt über den Bosporus – und waren grillen an der Küste. Alles war sehr schön.
Der Stadtteil, in dem die Universität liegt, heißt Kadiköy. Dort gibt es viele junge, liberale und oppositionelle Menschen. Wenn man abends durch die Straße läuft, könnte es genauso gut Freiburg sein. Mit einer zwanzigminütigen Fährfahrt kommt man jedoch in einen anderen Stadtteil, in dem wir abends die einzigen Frauen auf der Straße waren. Das spiegelt ganz gut die aktuelle Lage der Türkei: Es gibt sowohl einen Stadtteil, in den ich morgen ziehen würde, weil ich mich so wohlgefühlt habe – und einen anderen, der mir sehr fremd war.
DAZ.online: Das klingt so, dass Sie ein Austauschprogramm dringend jedem Studenten empfehlen, um die Welt besser kennenzulernen?
Dalig: Es war eine tolle Erfahrung. Für mich persönlich war es sehr wichtig, auch weil wir das Projekt über ein Jahr geplant haben – die türkischen Studenten kamen im März zu uns. Wir haben dabei viel Erfahrung als Gastgeber gesammelt, die Unterkunft und Verpflegung organisiert – das war sehr toll. Als wir als Gast in der Türkei waren, war es ein bisschen wie eine Klassenfahrt, nur für Erwachsene: Eine neue Stadt, neue Freunde, neue Kultur.
Freie Meinungsäußerung geht gerade kaum
DAZ.online: Sind Sie noch in Kontakt mit den türkischen Studenten – und haben Sie mitbekommen, wie sie den Putschversuch und seine Folgen erlebt haben?
Dalig: Ja, wir haben eine Facebook-Gruppe, und mit manchen schreibe ich persönlich. Vom Putsch waren wir alle natürlich sehr schockiert. Aber gerade die, mit denen ich Kontakt hatte, haben oft Positionen in der Studierendenvertretung und sind jetzt sehr zurückhaltend, sich zu äußern. Freie Meinungsäußerung geht halt gerade nicht so richtig. Wir müssen alle sehr vorsichtig sein, über welche Plattform wir kommunizieren.
Weil meine Freunde betroffen sind, nehme ich es nun ganz anders wahr. Das ist ein Vorteil, den diese Projekte haben: Man interessiert sich viel mehr für das, was in der Welt passiert, weil man einen persönlichen Bezug hat. Ich habe von einer Studentin gehört, deren Eltern Richter sind. Sie wollte eigentlich Jura studieren – aber ihre Eltern haben ihr abgeraten. Stattdessen solle sie besser etwas studieren, womit sie im Ausland arbeiten kann.
EU als sicherer Hafen
DAZ.online: Inzwischen hat die Regierung von Erdogan türkischen Wissenschaftlern ja verboten, im Ausland zu arbeiten – und im Ausland tätige Wissenschaftler aufgerufen, zurückzukommen.
Das ist natürlich eine persönliche Katastrophe für die Wissenschaftler – aber auch für das ganze System. Gerade die Forschung lebt ja davon, dass Wissenschaftler ihre Ergebnisse frei austauschen können. Das ist jetzt sehr eingeschränkt. Wir würden uns stattdessen wünschen, dass wir mit dem Austausch den Grundstein für weitere Kooperationen legen, dass wir beispielsweise zukünftig zusammen forschen könnten. Es wäre sehr schön, wenn das politisch möglich wäre.
DAZ.online: Was ist denn die wichtigste Botschaft, die Sie für sich wieder mit nach Hause genommen haben?
Dalig: Das zu schätzen, was wir hier mit der EU haben. Eine türkische Studentin hat mir gesagt, dass die EU für sie der sichere Hafen ist, in dem die Demokratie fest etabliert ist. Wenn ich morgen in der Zeitung schreiben möchte, Merkel ist blöd, kann ich das machen. Doch die Studentin macht sich – beispielsweise angesichts des Brexits – auch Sorgen um die Zukunft Europas.
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