Statine

Geht die Kontroverse erst richtig los?

Remagen - 19.09.2016, 09:30 Uhr

BMJ-Chefredakteurin gegen Lancet-Herausgeber, Studien gegen Studien: Was stimmt nun? (Foto: DAZ)

BMJ-Chefredakteurin gegen Lancet-Herausgeber, Studien gegen Studien: Was stimmt nun? (Foto: DAZ)


Es sah alles so gut aus: In der vergangenen Woche war in der Fachzeitschrift „The Lancet“ ein umfangreicher Review zum Nutzen der Statintherapie erschienen, mit positivem Fazit. Der Nutzen sei gesichert und es gebe keinen Grund, die Präparate abzusetzen. Und doch: Unter der Oberfläche rumort es mächtig. 

Der wissenschaftliche Streit um den Nutzen und die Risiken der Statin-Therapie schwelt schon länger. Vor allem die Briten haben hiermit in den letzten zwei Jahren immer wieder für Schlagzeilen gesorgt.

Ausgelöst wurde die jüngste „Welle“ durch zwei Fachartikel von John Abramson und Kollegen, die das British Medical Journal im Jahr 2013 veröffentlicht hatte. Sie hatten den Nutzen der Statin-Therapie bei Patienten mit einem geringen Risiko für eine Herzkrankheit und damit auch die damaligen Vorschläge zur Ausdehnung der Routine-Behandlung auf solche Patienten mit Statinen infrage gestellt. Der Nutzen für die Patienten sei nicht so groß, wie behauptet, argumentierten die Autoren, und die Risiken größer. In diesem Zusammenhang hatten sie unter anderem festgestellt, Nebenwirkungen von Statinen kämen bei 18 bis 20 Prozent der behandelten Patienten vor. 

Nebenwirkungszahlen fehlinterpretiert

Kurz nach Erscheinen der Publikationen wurde Rory Collins, Professor für Medizin und Epidemiologie in Oxford und Vorsitzender der Cholesterol Trislists Collaboration (CTT Collaboration), deren Daten Abramson in seiner Studie reanalysiert hatte, beim BMJ vorstellig. Die Daten seien nicht korrekt, reklamierte er, und forderte das BMJ auf, die beiden Publikationen zurückzuziehen. Die Zahlen zu den unerwünschten Wirkungen waren aus einer Beobachtungsstudie abgeleitet worden und liegen erheblich höher als die Nebenwirkungsraten aus randomisierten Plazebo-kontrollierten Studien (5 bis 10 Prozent).

Tatsächlich stellte sich heraus, dass sie auch Ereignisse mit einem ungesicherten Zusammenhang zu der Statin-Gabe umfassten. Es handelte sich also um eine Fehlinterpretation, und zwar mit schwerwiegenden Folgen. Denn die Arbeiten hatten ein breite öffentliche Diskussion ausgelöst und die Patienten so weit verunsichert, dass sie zum Teil ihre Therapie absetzten. Die Zahlenangaben wurden daraufhin durch Korrekturen beider Publikationen von Abramson und Malhotra im Mai 2014 zurückgenommen.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Statine, weiter sehr spannend: AMTS-Aushandlung zwischen Ärzten und Herstellern

von Wolfgang Müller am 19.09.2016 um 12:07 Uhr

Machen wir uns Nichts vor:
Es hat doch vor ein paar Jahren sogar schon Versuche gegeben, Statine quasi als "Künstliches Vitamin" für ALLE über 50-jährigen zu etablieren. Genau wie ASS in niedriger Dosierung. Das ist halt das freie Spiel der Kräfte in einem marktwirtschaftlichen Gesundheitswesen, da gehört eben auch das Spiel mit der Durchführung und Interpretation von Klinischen Studien dazu. Genau wie das Spiel mit der kontinuierlich versuchten Absenkung von Norm- sowie behandlungsbedürftigen Labor-Grenzwerten.

Ich bin sicher: Jeder erfahrene Allgemeinmediziner oder Apotheker, der als "Befundkranker" selbst gerade mal eben so in das inzwischen doch recht großzügige Raster für eine "offizielle" Behandlungsbedürftigkeit mit Statinen fällt, wird von der Einnahme lieber Abstand nehmen. So segensreich diese bahnbrechende Medikamentengruppe bei den eindeutig Behandlungsbedürftigen auch ist.

Da wird wahrlich noch jahrzehntelang eine aggressive Kontroverse unter Einsatz üppiger Ressourcen stattfinden, um die Grenze für eine Statin-Behandlungs-Notwendigkeit in einigermaßen standfeste Leitlinien zu fassen. Das ist lange noch nicht in trockenen Tüchern. Ähnliches sehen wir doch auch immer wieder beim Ginkgo, dieses Hin und Her mit sich widersprechenden Studien.

Und hoffentlich spielt in solchen heilberuflich/marktwirtschaftlichen Grenzsituationen neben reiner Leitlinien-Abarbeitung auch in einer strahlend formalisierten AMTS-Zukunft noch der gesunde ärztliche und apothekerliche Menschenverstand eine Hauptrolle ........

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