Beratungs-Quickie

Basistherapie der Multiplen Sklerose

Stuttgart / München - 29.09.2016, 13:00 Uhr

Multiple Sklerose: Demyelinisierung der Neurone charakterisiert die häufigste neurologische Erkrankung junger Erwachsener. (Foto: ag visuell / Fotolia)

Multiple Sklerose: Demyelinisierung der Neurone charakterisiert die häufigste neurologische Erkrankung junger Erwachsener. (Foto: ag visuell / Fotolia)


Welche Informationen sind bei einem Beratungsgespräch in der Apotheke für den Patienten wichtig? Welche hilfreichen Tipps kann der Apotheker zu Arzneimitteln und Therapien geben? Im Beratungs-Quickie stellen wir jeden Donnerstag einen konkreten Patientenfall vor. Diesmal geht es um eine Verordnung über Spritzen mit Beta-Interferon und Ibuprofen-Tabletten, für einen jüngeren Mann, der Multiple Sklerose hat.

Formalien-Check

Der Stammkunde betritt die Apotheke in Sportbekleidung und mit Walkingstöcken. Er hält sich trotz seiner Multiplen Sklerose fit. 

Verordnet sind eine Sammelpackung Betaferon® 250 µg/ml mit 14 Einzeldosen als Pulver und Lösungsmitteln zur Herstellung einer Injektionslösung sowie eine N2-Packung Ibuprofen STADA® 400.

Das Rezept ist vollständig und eindeutig. Aut-idem ist nicht angekreuzt, Rabattverträge sind daher zu beachten.

Biotechnologisch hergestellte Arzneimittel (Biologicals) dürfen nur gegen bioidentische Präparate (Bioidenticals) ausgetauscht werden (Biosimilars nicht!). Im aktuellen Fall sind Betaferon® der Firma Bayer und Extavia® der Firma Novartis Rabattpartner. Die beiden Innovator-Produkte zählen zu den Bioidenticals (wirkstoffidentisch aufgrund identischer Herstellungsverfahren). Daher kann die Apotheke zwischen den beiden wählen. Da sich die Arzneimittel hinsichtlich der Konfektionierung und der Applikationshilfen unterscheiden, ist ein Austausch jedoch nicht empfehlenswert. Die Importquote muss nicht beachtet werden, da das Original Rabattpartner ist.

Für Ibuprofen ist eine N2-Packung eines rabattierten Arzneimittels mit 50 Filmtabletten (nicht retardiert!) abzugeben.

Der Kunde ist gebührenpflichtig. Ab Ausstellungsdatum ist die Verordnung einen Monat gültig.

Beratungs-Basics

Betaferon® enthält rekombinantes Interferon-beta-1b. Der Immunmodulator wird zur Basistherapie bei Multipler Sklerose (MS) eingesetzt. Das Zytokin kann die Häufigkeit und Schwere der Krankheitsschübe reduzieren sowie die Progression verzögern. Das Arzneimittel ist für die schubweise verlaufende Form und die sekundär progrediente Form der MS zugelassen. Auch bei erstmaligen Beschwerden, die auf ein hohes Risiko für das Auftreten einer Multiplen Sklerose hinweisen, kann das Arzneimittel eingesetzt werden.

Die optimale Dosis und Behandlungsdauer sind noch nicht eindeutig geklärt. Die Empfehlung liegt für alle Indikationen bei 1 ml, entsprechend 250 µg, der rekonstituierten Lösung jeden zweiten Tag. Zu Beginn ist die Dosis aufzutitrieren. Dafür ist eine spezielle Aufdosierungspackung von Betaferon® verfügbar.

Die Injektion erfolgt subkutan. Um das Risiko für Hautnekrosen zu reduzieren, muss das Hautareal bei jeder Applikation gewechselt werden. Geeignet sind die Bereiche: Oberschenkel, Bauch (mit 5 cm Abstand zum Bauchnabel), Gesäß und Oberarmrückseiten. Außerdem kann die Schulung der Anwender über eine aseptische Injektionstechnik (obligat für die Selbstinjektion) und die Verwendung eines geeigneten Autoinjektors Reaktionen an der Einstichstelle vermindern.

Vor allem in den ersten Behandlungsmonaten treten nach der Injektion sehr häufig Übelkeit und grippeähnliche Symptome auf, wie Kopf-, Muskel- und Gelenkschmerzen, Schüttelfrost und Fieber. In diesem Fall empfiehlt es sich, die Anwendung abends vorzunehmen, um diese Nebenwirkungen zu verschlafen.

Es sind zahlreiche andere Nebenwirkungen möglich, auch schwerwiegende. So wird das Auftreten von tödlich verlaufenden TMA (thrombotischen Mikroangiopathien) und nephrotischem Syndrom in Zusammenhang mit der Anwendung von Beta-Interferon gebracht (siehe AMK-Meldung vom 14.08.2014). Das Arzneimittel kann auch Depressionen verstärken. Falls sich der Kunde deutlich trauriger fühlt als vor der Behandlung oder wenn er Selbstmordgedanken hat, muss er das seinem Arzt mitteilen.

Das andere verordnete Arzneimittel enthält Ibuprofen und ist im vorliegenden Fall als Komedikation gegen die auftretenden Nebenwirkungen der Interferon-Injektion verordnet. Ibuprofen ist ein mittelstark wirkendes Analgetikum und Antipyretikum. Bei Bedarf oder auch prophylaktisch (eine Stunde vor der Injektion) nimmt der Kunde eine Tablette, am besten zu oder nach einer Mahlzeit ein.

Vor allem bei höher dosierter, längerfristiger Ibuprofen-Anwendung stellen gastrointestinale Beschwerden (Ulzera mit Blutungs- und Perforationsrisiko) und arterielle thrombotische Ereignisse unerwünschte NSAR-Wirkungen dar. Der Kunde ist sehr zufrieden mit seiner Medikation. Das Ibuprofen nimmt er nur selten, meist verträgt er das Betaferon® sehr gut. Dennoch sollte der Hinweis, bei Schmerzen im Oberbauch oder Schwarzfärbung des Stuhls sofort seinen Arzt aufzusuchen, nicht fehlen. 

Auch noch wichtig

Vor jeder Injektion muss die Betaferon®-Injektionslösung aus dem Pulver (Durchstechflasche) und dem Lösungsmittel aus einer damit gefüllten Spritze hergestellt werden.

Nach der Herstellung der Injektionslösung sollte der Kunde die Spritze sofort applizieren. Ist ihm das nicht möglich, kann er die Lösung bis zu drei Stunden bei zwei bis acht Grad Celsius im Kühlschrank lagern.

Der Patient sollte ein Patiententagebuch mit Datum und der jeweiligen Injektionsstelle führen.

Unter der Therapie mit Beta-Interferon sind regelmäßige Blutuntersuchungen notwendig (unter anderem Leberenzyme und Anzahl der Blutzellen). Manche Patienten entwickeln nach einiger Zeit neutralisierende Antikörper gegen das Beta-Interferon.

Bei der Behandlung sind Wechselwirkungen mit verordneten Arzneimitteln und mit der Selbstmedikation zu beachten. Mittel zur „Abwehrstärkung“, wie Echinacea-Präparate oder Pelargonium-Extrakte, sind bei Autoimmunkrankheiten nicht erlaubt. Arzneimittel, die die Immunantwort beeinflussen, können außerdem Auswirkungen auf die Interferon-Wirkung haben.

Das Reaktionsvermögen kann durch das Arzneimittel so weit beeinträchtigt sein, dass Autofahren unterbleiben sollte.

Darf´s ein bisschen mehr sein?

•    Multiple Sklerose ist nicht heilbar, jedoch in vielen Fällen gut behandelbar.

•    Es gibt spezielle Serviceprogramme der Hersteller für MS-Patienten, zum Beispiel der Firma Bayer.

•    Wichtige Informationen und Unterstützung finden Betroffene hier.

•    Sport ist bei MS erlaubt. Die regelmäßige Bewegung sollte allerdings nur fordern und nicht überfordern.

Der Kunde ist froh, dass er kaum Bewegungseinschränkungen hat. Anfangs erschienen ihm die möglichen Sportarten, wie das Walking, nicht besonders attraktiv. In der Zwischenzeit schätze er diesen Sport jedoch sehr. Er zwinkert. Nicht zuletzt wegen einer gewissen Teilnehmerin aus seiner Walkinggruppe. Eine bessere Motivation gäbe es nicht.



Manuela Kühn, Apothekerin
redaktion@daz.online


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