Kommentar

Zeit für den Plan B

Stuttgart - 19.10.2016, 11:08 Uhr

Jetzt wäre es an der Zeit, dass die ABDA ihren „Plan B“ aus der Schublade holt, findet  DAZ-Chefredakteur Benjamin Wessinger.

Jetzt wäre es an der Zeit, dass die ABDA ihren „Plan B“ aus der Schublade holt, findet  DAZ-Chefredakteur Benjamin Wessinger.


Der Europäische Gerichtshof hat es tatsächlich getan. Er ist dem Plädoyer seines Generalanwalts gefolgt und hat das grenzüberschreitende Boni-Verbot für Arzneimittel gekippt. Ein Kommentar von DAZ-Chefredakteur Benjamin Wessinger. 

Für die im Ausland ansässigen Versandapotheken wie DocMorris oder die Europa Apotheek, die ihre Arzneimittel vorrangig nach Deutschland liefern, dürfte das Urteil der Startschuss für neue Rabatt- und Boni-Aktionen sein. Denn sie wollen die deutschen Patienten endlich dazu zu bringen, ihre Rezepte an Versandapotheken zu schicken, anstatt sie vor Ort in der Apotheke einzulösen.

Auch der Verband der deutschen Versandapotheken, der BVDVA, hat vorsorglich schon mal den „Abbau von Barrieren“ gefordert, womit nur die Preisbindung gemeint sein kann. Ob einzelne Versandapotheken nun schnell vorpreschen und ebenfalls Preisnachlässe bieten, wird man sehen.

Welche Folgen das für die deutschen Vor-Ort-Apotheken haben wird, ist dagegen bisher eher unklar. Manche Experten wie der ABDA-Chefjustiziar Lutz Tisch oder der Marburger Apothekenrechtsexperte Elmar Mand haben im Vorfeld der Entscheidung darauf hingewiesen, dass die Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) innerhalb Deutschlands trotz des EuGH-Votums gültig bleibt. Eine Preisschlacht unter den deutschen Apotheken werde deswegen wohl ausbleiben, meinen sie. Denn selbst wenn Apotheker Preisnachlässe anbieten sollten, könnten und würden Wettbewerber und Aufsichtsbehörden dem Treiben wohl ein schnelles Ende setzen.

 Dr. Benjamin Wessinger

Doch andere Juristen sehen das anders. Morton Douglas zum Beispiel, der schon etliche Verfahren gegen Versandapotheken geführt hat, prognostizierte das Ende der Arzneimittelpreisverordnung in ihrer heutigen Form. Wenn der legitime Zweck der Preisbindung – Gesundheitsschutz und flächendeckende Versorgung – nicht mehr zu erreichen ist, weil sie für bedeutende Marktteilnehmer nicht mehr gilt, wird die gesamte Regelung hinfällig. Douglas sagte im Vorfeld der heutigen Entscheidung, sie habe weitreichendere Konsequenzen für die deutschen Apotheken als das Urteil zum Fremdbesitz 2009.

Welche Seite auch immer Recht behalten wird: Die Folgen für die deutschen Apotheken werden immens sein. Bleibt die innerdeutsche Preisbindung bestehen, werden höchstwahrscheinlich nennenswerte Umsatzanteile ins Ausland abfließen. Wird sie nach und nach aufgeweicht oder gar ebenfalls gekippt, wird ein Preiskampf entbrennen, der viel tiefere Spuren in den Bilanzen der Apotheken hinterlassen dürfte als die Freigabe der OTC-Preise 2004.

Bleibt zu hoffen, dass die ABDA tatsächlich einen schlagkräftigen „Plan B“ in der Schublade hat, und dass er auch aufgeht. Die Versandapotheken sind gerüstet, DocMorris hat erst vor einigen Tagen eine großangelegte Werbekampagne in Deutschland angekündigt. Hoffentlich können die Apotheker und ihre Organisationen ihnen etwas entgegensetzen. Und hoffen wir, dass die Gesundheitspolitiker sich an ihre warmen Worte der Wertschätzung auf dem Apothekertag erinnern – und ihnen nun Taten folgen lassen.


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5 Kommentare

Es darf nicht noch schlimmer kommen als nötig.

von Wolfgang Müller am 19.10.2016 um 15:36 Uhr

Es gibt ganz sicher keinen anderen Plan "B" als das Verbot des Rx-Versandhandels. Exakt wie Kollege Floeter es geschrieben hat, muss hier aber SEHR SCHNELL für uns alle Klarheit geschaffen werden, ob das funktionieren wird!

Wir können ja schließlich nicht viele Monate lang trotzig und tatenlos zusehen, wie bonifizierter Umsatz massenhaft (ein Fünftel? Ein Drittel? Die Hälfte?) zu ausländischen Versand-Apotheken mit viel besseren Einkaufs-Konditionen abwandert. Das wäre dann auch kein besserer Tod.

Wir haben "Die ABDA" wohl nie so gebraucht wie jetzt gerade. Bei aller sonst schon grundlegender Meinungs-Verschiedenheit bei Bürokratie- und Wirtschaftlichkeitsinteressen-Fragen, z. B. bei Rezeptur, Prüfung sowie dem ARMIN- und AVOXA-System: Ich bin sicher, dass ein leidenschaftlich heilberuflicher und dabei ja in seiner Strenge wirklich glaubwürdiger ABDA-Präsident Friedemann Schmidt zur schnellen Klärung "Geht Rx-Versand-Verbot?" auch bei SPD und Grünen unsere bestmögliche Vertretung ist. Der DAT wäre dann dafür ein gut gelungener Auftakt gewesen, um hierzu die Reihen mit der Politik zu schließen.

Natürlich gibt es auch einen Plan "C". Über den sollten wir jetzt im Detail noch gar nicht reden. Das hieße ja: Nur noch sehr wenige große, WIRKLICH unabhängige Apotheken und völlig neue Spielregeln. Also genau das, was die komplett wildgewordenen Neoliberalen-Fuzzis und Jungspund-Hyperkommerz-Zauberlehrlinge wollen (wohlgemerkt: Ein Wirtschaftsliberaler bin ich selber auch!)

Aber klar: Kommt KEIN Rx-Versand-Verbot, darf es auch dazu keine Tabus geben, wie das Apothekensterben wenigstens zu minimieren ist. Denn NOCH SCHLIMMER als nötig kann es immer kommen, wenn man die Realität erst zu spät annimmt.

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ABDA muss zeitnah liefern !

von Ulrich Ströh am 19.10.2016 um 14:57 Uhr

Der bisher zögerliche,real nicht erlebbare Umgang der ABDA
mit einem Plan B rächt sich seit 9 Uhr 30.

Standesvertretung misst sich immer an Erfolgen oder wie jetzt an Misserfolgen!
Die ABDA muss jetzt zügig liefern oder es geht zeitnah den Bach runter...

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RX- Verbot

von FRANK EBERT am 19.10.2016 um 13:05 Uhr

Alle die jetzt auf ein RX-VERBOT hoffen ,sind schon wieder hoffnungslose Träumer. Der Drops ist gelutscht. Das Urteil wird im Netz gefeiert! Was schlug mir ungläubiges Stauen entgegen, wo ich beim Apotag gesagt habe, 2030 was für ein Quatsch. Der 19. Oktober 2016 wird in die Geschichtsbücher als der Anfang vom Untergang eingehen. Danke den vielen blinden Akteuren im Gesundheitswesen. PS: Geld regiert die Welt

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Spätestens jetzt...

von Andreas Flöter am 19.10.2016 um 12:55 Uhr

....sollte allen, die das Apothekervolk bezüglich konkreter geplanter Maßnahmen im unklaren gelassen - , die auf dem DAT noch taktisch motivierte, vorsichtige Zurückhaltung angemahnt , und die sich auf wohlwollende Prüfung seitens verantwortungsbewusster Politiker verlassen haben, klar geworden sein, dass es jetzt nur noch eine einzige Hoffnung auf Rettung gibt:

- Die sofortige Forderung an die Politik, den RX-Versandhandel unverzüglich zu verbieten.
- Die Ankündigung dieses Verbots innerhalb weniger Wochen durch die zuständigen Ministerien
- Die schnellstmögliche Umsetzung des Verbots im Gesetzgebungsverfahren

Darauf zu hoffen, dass das von der Politik ohne massiven Druck seitens der Apothekerschaft in einer für die Rettung hunderter (vielleicht tausender) Apotheken hinreichenden Geschwindigkeit angegangen wird, wäre blauäugig oder zynisch
.
Spätestens jetzt ist es Zeit, die von Friedemann Schmidt auf dem DAT 2015 mit Verve eingeforderte Einhaltung des Gesellschaftsvertrags nachdrücklich anzumahnen; wie angekündigt den "Dienst nach Vorschrift" konkret anzudrohen und - falls nötig - mit voller Unterstützung der Verbände und Kammern auch zeitnah umzusetzen!
Spätestens jetzt ist es Zeit, den Maßnahmenkatalog zu zücken, dessen Erstellen auf dem DAT 2015 mit großer Mehrheit beschlossen wurde!
Es brennt lichterloh!
Wir haben keine Zeit zu verlieren!
OK - ein Sprung ins ( politisch und juristisch) Ungewisse
Aber wenn wir jetzt nicht mutig springen, ersticken wir sicher.

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Schock

von Veit Eck am 19.10.2016 um 11:16 Uhr

Obwohl man wirklich damit rechnen musste, ich bin doch ziemlich geschockt!

Die Euphorie vom DAT ist vorüber, der Leitantrag hat allerdings den Plan B im Gepäck:

DAS VERSANDHANDELSVERBOT FÜR Rx ARZNEIMITTEL IN DEUTSCHLAND IST JETZT EIN THEMA

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