Reaktion der Ärzte Zeitung auf das EuGH-Urteil

„Die Ärzteschaft sollte auch alarmiert sein" 

27.10.2016, 14:00 Uhr

Autor Christoph Winnat hat das EuGH-Urteil in der Ärzte Zeitung kommentiert. (Foto: Screenshot)

Autor Christoph Winnat hat das EuGH-Urteil in der Ärzte Zeitung kommentiert. (Foto: Screenshot)


„Auch davon geht die Apotheker-Welt nicht unter“ hatte die „Ärzte Zeitung" einen Kommentar zum EuGH-Urteil zu den Rx-Boni überschrieben. Autor Christoph Winnat hat darin für die Sorgen der Apotheker kein Verständnis, was er auf süffisante Weise kundtut. DAZ-Chefredakteur Benjamin Wessinger hat darauf geantwortet. 

Sehr geehrter Kollege Winnat,

in der „Ärzte Zeitung“ vom 21. Oktober haben Sie das EuGH-Urteil zur Arzneimittelpreisbindung für ausländische Versender genüsslich kommentiert. Dass Sie das Urteil für nicht so schlimm halten wie die allermeisten Apotheker, ihre gesamte Standesvertretung und viele Gesundheitspolitiker – immerhin titeln Sie „auch davon geht die Apotheker-Welt nicht unter“ – geschenkt. Ihre Leser, die Ärzte, betrifft es ja nicht. Und das Thema bietet halt auch eine so schöne Gelegenheit, den Apothekern mehr oder weniger subtil eine einzuschenken: „Ein Päckchen Papiertaschentücher, eine Handvoll Hustenbonbons oder zur Weihnachtszeit einen Taschenkalender in billigem Plastik: Apotheker müssen sich mit Zugaben zurückhalten.“ Das ist so ein Beispiel für einen Satz, in dem die Geringschätzung des „Bruder-Berufs“ höchstens leidlich kaschiert ist. Oder: „Wo keine Ärzte sind, macht keiner eine Apotheke auf.“ Das schmeichelt der Leserschaft, nicht wahr? Oder der hier über Apotheken auf dem Land: „die letzte Offizin hinter dem Landtechnikhandel links“. (Ob da der Landarzt von der schwäbischen Alb oder aus der Mecklenburger Seenplatte, der keinen Nachfolger findet, wirklich schmunzeln kann?)

Lieber Herr Winnat, ich hoffe aufrichtig, dass Ihnen Ihr sarkastischer Spott nicht im Halse steckenbleibt, wenn ausländische Kapitalgesellschaften entdecken, dass auch ärztliche Gebührenordnungen nichts anderes sind als gesetzliche Preisregelungen – und diese europarechtlich kippen. DrEd würde sich selber bestimmt mehr zutrauen als die Ausstellung von Rezepten für die Antibaby-Pille, wenn man ihn ließe. Ach, das geht nicht, sagen Sie, weil die Regierung ja ganz aktuell die „Fernbehandlung“ untersagen will? Ja sehen sie, viele Gesundheitspolitiker würden gerne den Versand verschreibungspflichtiger Arzneimittel verbieten – ein Vorhaben, für das Sie nur Spott übrig haben. Aber warum sollen sich nicht auch Ärzte „sportlich dem Wettbewerb stellen“ wie Sie es den Apotheken empfehlen?

Auch wirtschaftlich starke Praxen könnten mit Boni locken

Auch Ihre süffisanten Aussagen über eine Höchstpreis-Regelung bei Arzneimitteln findet ihre Leserschaft wahrscheinlich weniger amüsant, wenn diese Argumente auf die Arzthonorare angewendet würde – oder? Was würden denn die niedergelassenen Mediziner dazu sagen, wenn der Kollege nebenan plötzlich anfängt, den Besuch seiner Praxis mit Bargeld oder Igel-Gutscheinen zu belohnen? Ob da Ihr Argument zieht, es sei doch nicht so schlimm, „wenn wirtschaftlich starke Marktteilnehmer Patienten auch mit pekuniären Vorteilen locken“?

Sehr geehrter Herr Kollege, auch die Ärzteschaft sollte alarmiert sein, wenn sich der EuGH plötzlich erdreistet, das bisher stets geachtete Subsidiaritätsprinzip im Gesundheitswesen zu negieren. Gesundheit ist keine Ware, die Warenverkehrsfreiheit darf nicht wichtiger sein als der Gesundheitsschutz. Für Spott (für den ich eigentlich sehr viel übrig habe!) besteht aktuell leider keinerlei Anlass. Denn denken Sie immer daran: Wenn das neoliberale Denken der Europarichter Schule macht, gelten eines Tages nicht nur Arzneimittel als ein Handelsgut wie jedes andere, sondern auch ärztliche Behandlungen nur noch als bloße Dienstleistung. Und das können Sie unmöglich wirklich wollen.

Mit verwunderten Grüßen,

Ihr Benjamin Wessinger, Chefredakteur der Deutschen Apotheker Zeitung 


Dr. Benjamin Wessinger (wes), Apotheker / Herausgeber / Geschäftsführer
redaktion@deutsche-apotheker-zeitung.de


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9 Kommentare

Ist sie aber nicht

von Eva K am 31.10.2016 um 16:53 Uhr

"Die Ärtzeschaft sollte auch alarmiert sein"

Ist sie aber nicht. :-)

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Dr. Wessingers Antwort

von Barbara von Dirke am 28.10.2016 um 14:42 Uhr

Sehr geehrter Herr Dr. Wessinger,

hervorragend reagiert !! Danke schön.

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Gehässigkeit

von Dr.med. (!!) Ruppert Manneck am 28.10.2016 um 9:22 Uhr

Ich bin sicher, daß Herr Winnat zu feige ist, sich einer Diskussion zu stellen. Leider ist sein Kommentar bzgl. Tenor und "Kenntnisreichtum" kein Einzelfall in der Ärztepresse.
Zum Nachlesen sei ihm das Zitat von Martin Niemöller empfohlen.

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Paul Unschuld

von Moritz am 28.10.2016 um 9:07 Uhr

Vielen Dank dem Kollegen, der mir das Buch von Paul Unschuld "Ware Gesundheit: Das Ende der klassischen Medizin" empfahl.
Das Buch ist zwar schon ein paar Jahre alt, in seiner Brisanz aktueller denn je. Das Gesundheitswesen soll merkantilisiert werden. Die Ärzte kommen nach den Apothekern dran, auch wenn sie es noch nicht glauben. Erschreckend wie Herr Unschuld das so vorhergesehen hat.
:-(((

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Sehr gute Antwort

von Dr. Berthold Pohl am 27.10.2016 um 22:32 Uhr

Vielen Dank,

das ist die ausgezeichnete Antwort auf diesen miserablen Kommentar in der Ärzte-Zeitung.

Beste Grüße,

Berthold Pohl

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Antwort auf "Ärzteneid?"

von Jürgen Leikert am 27.10.2016 um 21:12 Uhr

Sehr geehrter Herr Wessinger,
super im Inhalt und auch in der Schärfe eine absolut angemessene Antwort. Ich finde es sehr schade, dass auch die (Ärzte)Zeitung Mitglieder der Deutschen Neidgesellschaft sind. Wie soll so eine partnerschaftliche Zusammenarbeit zum Wohle des Patienten z.B. beim Medikationsmanagement funktionieren? Schade, schade...

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DANKE !

von Dr. Ralf Schabik am 27.10.2016 um 20:00 Uhr

Sehr geehrter Herr Kollege Dr. Wessinger, vielen DANK für diesen excellenten Brief ! Klasse Replik auf eine unterirdische "Schmähkritik", wie sie ja in Deutschland mittlerweile an der Tagesordnung ist. Schade finde ich, dass die Stimmung zwischen "Bruder-Berufen" von Trollen immer wieder torpediert wird. In der Realität ist die Zusammenarbeit glücklicherweise meist deutlich besser ...

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EuGH-Urteil; kommentar in der Ärzte Zeitung

von Uwe Hüsgen am 27.10.2016 um 19:06 Uhr

Interessant in diesem Zusammenhang:
Gassen (KBV-Vorsitzender) erörtert in Brüssel grenzüberschreitende Gesundheitsthemen (http://www.kbv.de/html/1150_25096.php)

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Haut dem Springer auf die Finger

von Tobias Schmidt am 27.10.2016 um 15:33 Uhr

Eine adäquate Antwort auf einen frechen Kommentar! Gehört die Ärzte-Zeitung nicht zum Springer Fachverlag, in dem auch zwei Apotheken-Ttitel (Apotheke&Marketing und PTA Magazin) erscheinen?? Schon interessant, wer uns derart in den Rücken fällt..

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