Pille für den Mann

Was kommt nach dem Kondom?

Berlin - 09.11.2016, 13:45 Uhr

Trotz der Nebenwirkungen: Die Mehrzahl der teilnehmenden Paare fand die Verhütungsvariante attraktiv. (Foto: justyle / Fotolia)

Trotz der Nebenwirkungen: Die Mehrzahl der teilnehmenden Paare fand die Verhütungsvariante attraktiv. (Foto: justyle / Fotolia)


Durch die Gabe von Hormonen kann die Bildung von Spermien so weit gedrosselt werden, dass Männer vorübergehend unfruchtbar werden. Viele Männer sind laut Umfragen bereit für eine hormonelle Kontrazeption. Der Wille ist da, doch über den Weg ist sich die Forscherwelt noch nicht klar.

Die Pille für den Mann funktioniert, doch welche Hormonkombination ist die richtige, um Schwangerschaften zu verhindern, Nebenwirkungen aber auch? Die jetzt veröffentlichten Ergebnisse einer von der WHO geförderten Studie zeigen das grundsätzliche Problem, mit dem diese neue Verhütungsmethode noch zu kämpfen hat. Die an zehn Zentren, in sieben Ländern durchgeführte Studie war im März 2011 abgebrochen worden, weil bedenkliche Nebenwirkungen aufgetreten waren.  

Doug Colvard von der US-amerikanischen gemeinnützigen Organisation „Conrad“ (Contraceptive Research and Development Program) und seine internationalen Forscherkollegen ziehen jetzt trotz des vermeintlichen Rückschlags eine positive Bilanz der Studie. 320 gesunde Männer und ihre Partnerinnen hatten teilgenommen. Den Männern im Alter zwischen 18 und 45 wurde alle acht Wochen ein Hormoncocktail aus 200 Milligramm Norethisteron und 1000 Milligramm Testosteron Undecanoat intramuskulär gespritzt. Im Durchschnitt nach sechs Monaten war die Anzahl der Spermien bei 95,9 Prozent der Teilnehmer auf 1 Million je Milliliter Ejakulat oder darunter gesunken. 

Dieser geringe Spermiengehalt (normal: 15 Millionen Spermien je Milliliter) wird für eine Empfängnisverhütung als ausreichend angesehen, weil dadurch eine Schwangerschaft so gut wie unmöglich wird. Erste Untersuchungen in den Achtzigerjahren und Neunzigerjahren hatten gezeigt, dass regelmäßige Testosterongaben die Spermienmenge bei den meisten Männern nach mehreren Behandlungsmonaten absenken. Testosteron wirkt als Bremse auf Hypothalamus und Hypophyse, so dass weniger Gonadotropine freigesetzt werden, die die Spermatogenese antreiben. Wird den Männern zusätzlich ein Gestagen gegeben, sinkt die Menge der Spermien auch bei geringeren Testosterongaben schneller ab.

Nebenwirkungen der Hormongabe: Akne, gesteigerte Libido, Muskelschmerzen

Die zweite Phase der aktuellen Studie dauerte wegen des Abbruchs maximal 56 Wochen. Die Paare nutzten in dieser Zeit keine andere Methode der Empfängnisverhütung außer der zweimonatigen Spritze, die sich die Männer weiterhin vom Arzt abholten. Innerhalb dieses einen Jahres wurden vier Frauen schwanger, das entspricht einer Quote von 1,57 pro 100 beteiligte Frauen. Damit ist diese Verhütungsvariante nicht ganz so sicher wie die Pille für die Frau. Hier liegt der Wert bei 0,1 bis 0,9 ungewollten Schwangerschaften je 100 Frauen pro Jahr.

Dass die Hormongaben für den Mann (meist milde) Nebenwirkungen haben können, weiß man schon aus älteren Studien. Am häufigsten berichteten die Teilnehmer in der aktuellen Studie über Akne (147 von 320), gesteigerter Libido (122), Muskelschmerzen (52) und emotionalen Störungen (54). Neun Teilnehmer rutschten in eine depressive Verstimmung oder Depression, ein Mann beging vier Wochen nach seiner dritten Hormonspritze Selbstmord. Zwar versicherte die Familie des Mannes, der Freitod hätte persönliche Gründe. Doch werden dieses Ereignis und die Vielzahl der gemeldeten emotionalen Probleme die Verantwortlichen bewogen haben, die Studie vorzeitig zu beenden.

Hormone wurden nach dem Abbruch nicht mehr gegeben, die Männer aber weiter untersucht. Bei 94,8 Prozent von ihnen stieg die Spermienmenge innerhalb eines Jahres wieder auf normale Werte, die Männer waren wieder zeugungsfähig. Trotz der Nebenwirkungen, die auftraten, fand die Mehrzahl der teilnehmenden Paare die Verhütungsvariante attraktiv, zwei Drittel würden sie weiter nutzen. Bevor an eine breite Anwendung zu denken ist, seien weitere Studien nötig, um offene Fragen zu klären, schreiben die Studienautoren. Wegen der Häufigkeit der Effekte auf das Gemüt der Probanden (fast alle berichteten Fälle kamen erstaunlicherweise aus dem Studienzentrum in Indonesien) sei Vorsicht geboten. Möglicherweise sei die verwendete Hormonkombination für manche Männer nicht geeignet. 

Pille für den Mann: Mehr Möglichkeiten für Paare

Eine Weiterentwicklung im Sinne einer besseren Verträglichkeit könnte durch die Variation der genutzten Hormonart, Menge und Applikation erreicht werden. Um die Nebenwirkungen der Hormone noch besser in den Griff bzw. die Hormone individuell den Männern anpassen zu können, stehen drei weitere Optionen in den Startlöchern bzw. ersten klinischen Studien.

Bei der Nestoron/Testosteron-Kombinationstherapie werden die beiden Hormone täglich als Gel auf die Haut aufgebracht. Das synthetische Dimethandrolen Undecanoat (DMAU) wirkt gleichzeitig auf den Androgen- und Progesteronrezeptor. Es kann oral oder intramuskulär verabreicht werden. Mithilfe des synthetischen 7-Alpha-Methyl-19 Nortestosteron (MENT) kann die Spermatogenese bei Männern sehr erfolgreich gedrosselt werden, Nebenwirkungen sollen seltener auftreten. Gerade werden Implantate zur hormonellen Langzeitverhütung entwickelt.

400 Jahre nach der Erfindung des Kondoms stehen neue Möglichkeiten der Empfängnisverhütung vor der Tür. Doch die Pharmabranche hält sich zurück. Sie hat kaum Interesse. Befürchtet wird, dass die Männer die Präparate nicht regelmäßig einnehmen und Misserfolge vorprogrammiert seien. Die Männer selbst jedoch sind bereit für Neues. Je nach Region würden 44 bis 83 Prozent der Männer die Pille ausprobieren, am liebsten sei ihnen eine monatliche Spritze oder eine Pille zum Schlucken, sagen die Umfragen. „Die eine, ideale Methode für jedes Paar gibt es nicht“, schreiben Peter Liu und seine Kollegen vom Los Angeles Biomedical Research Center. „Wir erhoffen uns mit der hormonellen Kontrazeption für den Mann … die Auswahl an Möglichkeiten für Paare zu erweitern.“



Ulrike Gebhardt
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.