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Gesundheitsfonds
BMG stuft Abrechnungspraktiken der Kassen als illegal ein
Krankenkassen sehen sich derzeit schweren Vorwürfen ausgesetzt: Sie sollen Patienten kränker machen, als sie sind – um Milliardengelder zugewiesen zu bekommen. DAZ.online liegt ein Papier vor, aus dem hervorgeht, dass die Bundesregierung die Abrechnungspraktiken vieler Krankenkassen als illegal betrachtet.
In vielen Medienberichten wird derzeit ein schwerer Vorwurf gegen einige Krankenkassen erhoben: Um höhere Zahlungen aus dem 200 Milliarden Euro schweren Gesundheitsfonds zu erhalten, sollen einige Kassen Ärzte dazu anhalten, ihre Patienten kränker zu kodieren als sie wirklich sind. Der Hintergrund: Über die Verteilung der Gelder aus dem Fonds an die einzelnen Kassen entscheidet der sogenannte morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA). Dabei gilt: Für kranke und alte Versicherte erhalten die Kassen pauschale Zuschüsse zu einer Grundpauschale. Nach Aussage des Chefs der Techniker-Krankenkasse, Jens Baas, schummelt sogar jede Kasse bei den Abrechnungen. „Alle, auch wir können uns dem nicht völlig entziehen“, sagte Baas gegenüber der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“.
In einem Artikel der „Welt“ wurde den Kassen vorgeworfen, sie würden Dienstleister beauftragen, um Ärzte anzuhalten, ihren Patienten möglichst viele Diagnosen zu stellen – und sogar Patienten anrufen zu lassen, um unnötigerweise mal wieder zum Arzt zu gehen, damit diese so in eine „wertvollere“ Morbi-RSA-Kategorie geraten. Eine Anfrage der Linken-Fraktion im Bundestag offenbart nun, dass nach Einschätzung der Bundesregierung praktisch all die beschrieben Tätigkeiten unrechtmäßig wären.
BMG: Up-Coding ist rechtswidrig
„Die Honorierung eines Leistungserbringers allein für ein bestimmtes Abrechnungs- oder Kodierverhalten ohne die Vereinbarung konkreter Versorgungsleistungen zugunsten des Versicherten“ erfüllten die nötigen gesetzlichen Voraussetzungen nicht, erklärt das Bundesgesundheitsministerium (BMG) beispielsweise. Ärzte dürften ohnehin keine unangemessenen Diagnosen vergeben. „Stellen Vertragsärztinnen oder Vertragsärzte andere Diagnosen aus und übermitteln diese an die KV oder Krankenkassen, verstoßen sie gegen ihre vertragsärztlichen Pflichten“, erklärt das Ministerium.
Verträge, die die Aufzeichnung und Übermittlung von medizinisch nicht begründeten Diagnosen beinhalten, seien „auch jetzt schon rechtswidrig und damit unzulässig“, betont das BMG. Die Verwendung von Beitragsmitteln „im Wettbewerb um die vermeintlich beste Diagnosekodierung anstatt um die beste Versorgung“ würde den Grundsätzen der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit widersprechen.
BMG sieht keine systematischen Aktivitäten
Allerdings sieht das BMG in den Daten des Bundesversicherungsamtes „keine Hinweise auf systematische Aktivitäten eines Up-Coding“, wie es in der Antwort auf die kleine Anfrage schreibt, die DAZ.online vorliegt. Zwar sei die Zahl der Diagnosen, die innerhalb des Morbi-RSA berücksichtigt werden, innerhalb der letzten Jahre stärker gestiegen als sonstige Diagnoseschlüssel – doch die Daten seien aus methodischen Gründen „mit Vorsicht zu interpretieren“.
Das Bundesversicherungsamt (BVA) war nach Auskunft des BMG beispielsweise hellhörig geworden, da eine Krankenkasse einen Vertrag mit der Beratungsfirma ViaMed GmbH abgeschlossen hatte, bei der es offenbar um Diagnose-Kodierungen ging. „Nach Anforderung des Vertrages durch das BVA wurde der Vertrag jedoch gekündigt“, erklärt das Ministerium. Aktuell seien verschiedene Klagen anhängig, mit denen Krankenkassen gegen Kürzungen ihrer Zuweisungen vorgehen.
AOK akzeptierte Strafe von 1,4 Millionen Euro
Gegen die wohl umfangreichste Rückforderung von Zuweisungen durch das BVA war die AOK Rheinland/Hamburg gerichtlich vorgegangen – doch hat die Kasse vor Kurzem die Klage wieder zurückgezogen. Auch hier geht es um nachträgliche Korrekturen von Diagnosen, die nach Ansicht des BVA illegal waren. Die AOK Rheinland/Hamburg akzeptierte nicht nur eine Rückzahlung von 5,6 Millionen Euro, sondern auch eine Strafe von weiteren 1,4 Millionen Euro. Die Angelegenheit dürfte in Kürze den nordrhein-westfälischen Landtag beschäftigen:
Die FDP-Abgeordnete Susanne Schneider wirft der Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne) vor, den Landtag nicht ausreichend informiert zu haben. Ihr Ministerium ist für die Kassen-Aufsicht zuständig.
Linke: Kassen-Wettbewerb treibt kriminelle Blüten
Manipulationsvorwürfe weißt die AOK Rheinland/Hamburg jedoch „entschieden zurück“: Die Einstellung des Verfahrens sei nur eine pragmatische Lösung gewesen. Es sei keinesfalls darum gegangen, „Versicherte kränker zu machen“, sondern die von der Kassenärztlichen Vereinigung gemeldeten korrekten Diagnosen zu übernehmen – wenn beispielsweise Insulin verordnet wurde, ohne Diabetes zu diagnostizieren.
Harald Weinberg, Linken-Sprecher für Krankenhauspolitik und Gesundheitsökonomie im Bundestag, sieht dennoch dringenden Handlungsbedarf. „Offenbar treibt der Kassenwettbewerb nicht nur wenig patientenfreundliche, sondern auch kriminelle Blüten“, erklärte er. „Wenn Kassen und Ärzte zusammen vereinbaren, Mittel der Solidargemeinschaft zu verschwenden, ist das für mich eine Form der Korruption“, betont der Gesundheitspolitiker. „Doch ebenso erschütternd ist es, dass die Aufsichtsbehörden hier auf dem Wettbewerbsauge blind sind und bekannten Praktiken nur sehr unzureichend nachgegangen wurde.“
1 Kommentar
GKV – Deutschlands größter Sumpf
von Machts Sinn am 14.11.2016 um 23:24 Uhr
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