Neue Darreichungsformen?

Supramolekulare „hohle Kürbisse“ als neue Wirkstofftransporter

Stuttgart - 17.11.2016, 09:00 Uhr

Genügend Platz: Eine Klasse von Makromolekülen könnte zukünftig für den Wirkstofftransport eingesetzt werden, schreiben Forscher in einer neuen Studie. (Foto: barmalini / Fotolia)

Genügend Platz: Eine Klasse von Makromolekülen könnte zukünftig für den Wirkstofftransport eingesetzt werden, schreiben Forscher in einer neuen Studie. (Foto: barmalini / Fotolia)


Die Stoffklasse der Cucurbiturile ist bereits seit über 100 Jahren bekannt. Jetzt finden Wissenschaftler aus Bremen und Karlsruhe Anwendungsmöglichkeiten für die organischen Moleküle, die sie interessant für einen pharmazeutischen Einsatz machen.

Kürbisse, mit botanischem Gattungsnamen Cucurbita, könnten in Zukunft an Bedeutung in der Pharmazie gewinnen. Gemeint ist jetzt allerdings nicht die pharmakologische Wirkung der Pflanze, sondern die von besonderen großen organischen Makromolekülen, die wegen ihrer an ausgehöhlte Kürbisse erinnernden Struktur nach der Kulturpflanze benannt sind.

Diese Cucurbiturile wurden erstmals im Jahr 1905 vom deutschen Chemiker Robert Behrend synthetisiert und beschrieben, ihre Struktur aber erst 1981 aufgeklärt. Sie bestehen aus fünf, sechs, sieben, acht oder zehn Einheiten des organischen Moleküls Glykoluril, die sich zur supramolekularen Struktur eines makrozyklischen, also viele große Ringstrukturen enthaltenden, Moleküls organisieren – eben aussehend wie ein innen hohler Kürbis.

Im Inneren der Cucurbiturile haben andere Moleküle Platz

Dieser Innenraum des Moleküls, der je nach Anzahl der Glykoluril-Einheiten (einem bizyklischen Kondensationsprodukt aus Glyoxal und Harnstoff, daher der Name) zwischen 82 und 870 Kubikängström groß ist, bietet dementsprechend Platz für andere Moleküle. 

Forscher der Jacobs Universität Bremen und des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) haben jetzt vielversprechende Ergebnisse zu Untersuchungen, Curcubiturile als Transportmoleküle für Steroid-Arzneimittel einzusetzen, veröffentlicht. Erschienen ist der Artikel dazu jetzt im Fachmagazin Journal of the American Chemical Society.

Lipophile Substanzen wie Steroide eignen sich besonders

„Unser Spezialgebiet sind die Cucurbiturile, und wir haben nach Bereichen gesucht, in denen unsere Wirtsverbindungen anderen etablierten Transportern wie Cyclodextrinen, Liposomen, Hydrogelen und anderen deutlich überlegen sind“, erklärt Werner Nau, Professor für Chemie und spezialisiert auf supramolekulare Chemie an der Jacobs Universität Bremen. „Unsere Studien haben gezeigt, dass sich die Cucurbiturile besonders gut zum Einschluss und Transport von lipophilen Verbindungen eignen. Auf der Suche nach medizinisch und biologisch interessanten lipophilen Substanzen sind wir dann auf Steroide gestoßen“, erklärt der Professor. Aber auch andere lipophile Wirkstoffe könnten mit den Cucurbiturilen komplettiert und transportiert werden. „Bei Steroiden geht es aber besonders gut“, sagt Nau.

Zu den Steroiden oder Steroid-haltigen Wirkstoffen gehören etwa der Entzündungshemmer Cortisol, die Hormone Testosteron und Estradiol sowie die Muskelrelaxanzien Pancuronium und Vercuronium. Die medizinischen Anwendungsgebiete erstrecken sich dementsprechend von der Behandlung von Asthma, Neurodermitis, Multipler Sklerose und Morbus Crohn bis hin zur Anästhesie. Da sich Steroide als lipophile, also „fettliebende“ Substanzen, nur schwer in Wasser lösen lassen, werden sie bei ihrer Anwendung als Arzneimittel stets mit Wirkstofftransportern verbunden. Bislang werden dazu Cyclodextrine verwendet, ringförmige aus verknüpften Glucose-Molekülen aufgebaute Zucker.

Weniger unerwünschte Wirkungen und günstiger in der Herstellung

Die Cyclodextrine haben allerdings einige Nachteile: Sie beschleunigen die Auflösung so stark, dass manche Menschen die Einnahme von Steroiden schlecht vertragen, so die Wissenschaftler. Das liege auch daran, dass eine relativ hohe Dosis der Wirkstofftransporter gegeben werden müsse, um die Wasserlöslichkeit zu erreichen. „Wir haben festgestellt, dass die Wirtsklasse der Cucurbiturile eine höhere Affinität zu den für den medizinischen Einsatz entscheidenden Steroiden hat als die der Cyclodextrine“, erklärt Frank Biedermann, promovierter Chemiker und als Wissenschaftler am Institut für organische Chemie des KIT an den Untersuchungen beteiligt. Daher könne man von den nun untersuchten Wirkstofftransportern weniger einsetzen, was auch weniger unerwünschte Wirkungen mit sich bringe.

Cucurbiturile könnten auch Steroide aus Abwasser entfernen

Komplexe aus Steroid und Cucurbituril seien stabiler, auch sei die Wasserlöslichkeit der zu transportierenden Moleküle stark erhöht, fanden die Forscher. Außerdem könnten die Cucurbiturile auch als Wirkstoffdepot fungieren, da sie auch im Blutserum und in der Magensäure stabil blieben und die Steroide langsamer im Körper freisetzen würden. Neben weniger unerwünschten Wirkungen könnten auch die Herstellungskosten sinken, prognostizieren die Wissenschaftler.

„Mithilfe von Cucurbiturilen könnten in Zukunft neue und effizientere Darreichungsformen von Steroid-Wirkstoffen entwickelt werden“, sagt Nau. Da die Patente zur bereits etablierten und weniger aufwändigen Synthese der Transportmoleküle bald ausliefen, sieht Nau steigende Chancen auf den Einsatz der Cucurbiturile. Einige klinische Studien zum Einsatz der Wirtsmoleküle liefen bereits, sagt Nau und schätzt den Entwicklungshorizont für den Einsatz in Medikamenten auf fünf bis zehn Jahre. „Bis zum Einsatz müssen aber noch einige Hürden genommen werden“, sagt der Chemiker. Toxische Wirkung könne man aber anhand von Mäuseexperimenten und anderen Vorstudien wahrscheinlich ausschließen.

Unterdessen forschen die Chemiker daran, Cucurbiturile auch in anderen als im medizinischen oder pharmazeutischen Bereich einzusetzen. „Sie könnten auch verwendet werden, um Steroide aus Abwässern zu entfernen“, gibt Nau ein Beispiel. „Es gibt einen riesigen Bereich an Grundlagenforschung, in dem wir weiterforschen.“ Um den Einsatz in Medikamenten müssten sich letztlich pharmazeutische Unternehmen kümmern, dort gebe es aber bereits Interessenten.



Volker Budinger, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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