Die wichtigsten Köpfe 2016

Maciej Szpunar. Vor dem EuGH-Urteil für die meisten Apotheker wahrscheinlich ein völlig unbekannter polnischer Jurist. Noch nicht einmal Wikipedia kennt diesen Mann! Doch dieser Unbekannte veränderte die deutsche Apothekenwelt. Nicht allein. Klar. Er ist Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof und in dieser Funktion unterstützt er die dortigen Richter – mit einem in seinen Schlussanträgen begründeten Vorschlag für ein Urteil. In etwa 75 Prozent der Fälle folgen die Richter dieser Einschätzung. So auch am 19. Oktober 2016. Vielleicht dachten die Richter: „Never change a running system“. In jedem Fall lautete das Urteil – EuGH kippt Boni-Verbot. Die Ironie an der Geschichte? Ursprünglich hielt der Europäische Gerichtshof acht Generalanwälte für ausreichend, Polen nahm wie zum Beispiel Ungarn, Griechenland und Portugal an einem Rotationssystem teil und sollte nur zeitweise einen Generalanwalt stellen dürfen. Hier änderte der Gerichtshof wohl einmal seine Meinung und schuf beginnend ab 2013 drei weitere Posten. In diesem Zug wurde auch Polen zugesprochen, als großer Mitgliedstaat künftig einen ständigen Generalanwalt stellen zu dürfen und nicht länger am Rotationssystem der kleineren Länder teilzunehmen. Fast am gleichen Tag vor drei Jahren wurde Szpunar, am 23. Oktober 2013, zum Generalanwalt ernannt. Eine folgenschwere Entscheidung für die bundesweiten Apotheker. (Foto: Maciej Szpunar Mitte / dpa)

Hermann Gröhe: Als amtierender Bundesminister für Gesundheit ist der CDU-Mann eine wichtige Figur in der Apotheken- und Gesundheitswelt der Bundesrepublik. Wo ist er 2016 überall tätig gewordenl? Da war zum einen der Pharmadialog: Überteuerten Preisen bei Originalpräparaten wollte er endlich einen Riegel vorschieben, Lieferengpässe eher aussitzen. Den Rücken stärkte Gröhe Apothekern mit der 15. Verordnung zur Änderung der AMVV. Das Ergebnis: Apothekern wird die Kompetenz zugesprochen, Vornamen und Telefonnummern von Ärzten auf Verordnungen zu ergänzen – auch ohne Rücksprache. Dann: das Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz (AMVSG), über das sich die Pharmazeuten sehr freuen dürfen. Apotheker sollen – wenn es der Bundestag denn so beschließt – mehr Geld für Dokumentationsaufgaben und für die ohnehin wenig lukrativen Rezepturen bekommen. Gleichzeitig sollen im Zytostatika-Bereich die exklusiven Apotheken-Ausschreibungen wegfallen und durch Rabattverträge mit den Herstellern ersetzt werden. Schließlich wurde dieses Jahr auch der Medikationsplan auf den Weg gebracht. Die Grundlage dafür, das E-Health-Gesetz, wurde zwar bereits im Dezember 2015 verabschiedet, doch zum 1. Oktober dieses Jahres folgte nun endlich die Umsetzung. Die Apotheker sind allerdings weitestgehend draußen. Aus Apothekersicht lief Gröhe zum Jahresende noch einmal zur Hochform auf: Seit dem EuGH-Urteil fordert er trotz herber Medienschelte beharrlich das Rx-Versandverbot und schafft sich somit einen nachhaltigen Platz in den Apotheker-Herzen. (Foto: Schelbert / DAZ)

In der Unionsfraktion im Bundestag ist Michael Hennrich zuständiger Berichterstatter für die Themen Arzneimittel und Apotheken. In dieser Position hatte der CDU-Politiker auch in diesem Jahr wieder mehrfach mit den Pharmazeuten zu tun. Hennrich brachte während des Streits um die exklusiven Zyto-Ausschreibungen beispielsweise die Idee ins Spiel, die Wirkstoffe bei den Herstellern in Rabattverträgen auszuschreiben. Dieser Vorschlag steht nun auch im Gesetz, das der Bundestag allerdings noch nicht beschlossen hat. Nicht zu vergessen ist außerdem, dass Hennrich noch am Tag des EuGH-Urteils forderte, den Rx-Versand vorerst zu verbieten, um die Apotheker vor einem ungerechten Wettbewerb zu schützen. In einem DAZ.online-Interview erklärte Hennrich gemeinsam mit seiner SPD-Kollegin Sabine Dittmar, welche Pläne die Unionsfraktion im Apothekenmarkt hat. (Foto: Thomas Auerbach)

„Seine Liebe gilt der Berufspolitik“, schreibt der Landesapothekerverband Baden-Württemberg über den bundesweiten Chef aller Apothekerverbände, Fritz Becker. Seit 2009 hat Becker diese Führungsfunktion inne – und wurde auch dieses Jahr wieder in seinem Amt und seinem Tun als Vorsitzender des Deutschen Apothekerverbands (DAV) bestätigt. Was er da tut? Apothekenhonorierung und Versorgungsverträge stehen auf seiner To-do-Liste: So will er sich in der nächsten Legislaturperiode des Bundestags für eine Dynamisierung des Apothekenhonorars stark machen. Aktuell kämpft er für die Arzneimittelpreisverordnung und – wie er selbst es beschreibt – „ein zukunftsfähiges Apothekenwesen“. „Die Arzneimittelpreisverordnung ist uns heilig“, betonte Becker auf dem diesjährigen Deutschen Apothekertag in München. Einen Erfolg verbuchte der DAV-Chef beim leidigen Zwist der Apotheker mit den Krankenkassen zum Thema Retaxationen: Unbedeutende Formfehler dürfen nicht mehr beanstandet werden. Auch abseits politischer Debatten scheute Becker keine Konfrontationen – vorbildlich ließ er sich am Rande der Expopharm publikumswirksam einen Pieks gegen Grippe setzen.

Man kann sich bei DocMorris nicht entscheiden, wo man mit der Rückschau für 2016 beginnen soll. Beim Abgabeautomaten in Hüffenhardt? Einem Ort, den bevor ein digitaler Beratungsservice dort virtuellen Fuß fasste, wahrscheinlich tatsächlich kaum ein Mensch kannte. Oder doch lieber bei der hitzigen Debatte zum Versandhandel mit Rx-Boni-Arzneimitteln anlässlich des EuGH-Urteils? Vielleicht bei den Gemeinsamkeiten: Max Müller. Er ist einer der führenden Köpfe des Unternehmens. Chief Strategy Officer. Seine Mission: Mit Verständnis und signalisierter Kooperationsbereitschaft Deutschland vor einem Armageddon-Szenario einer mit Arzneimitteln unterversorgten Wüste zu bewahren. In Hüffenhardt und bundesweit. Fürsorglich zeigt sich Doc Morris auch bei chronisch Kranken. Die will der Versandhändler vor dem finanziellen Ruin bewahren – und wirbt nach dem EuGH-Urteil mit bis zu zwölf Euro Bonus pro Rezept. Einmal angeworfen, läuft die PR-Maschinerie auf vollen Touren: „Stoppt das Versandverbot für rezeptpflichtige Arzneimittel“, fordert DocMorris auf einer extra gelaunchten Homepage seine Kunden auf. Doch nehmen die Deutschen den Versandhandel mit Arzneimitteln überhaupt in Anspruch? Geht es nach Angaben der Versandapotheken: ja! Doch wie verlässlich sind die Zahlen der Versandapotheken? (Foto: DocMorris)

Andreas Kiefer: Das Dreigestirn der ABDA bleibt den Apothekern weitere vier Jahre erhalten. Neben ABDA-Präsident Friedemann Schmidt und DAV-Chef Fritz Becker wurde auch Dr. Andreas Kiefer erneut zum Präsidenten der Bundesapothekerkammer gewählt. Kiefer ist seit 2006 Mitglied im Geschäftsführenden Vorstand der BAK und seit 2013 Präsident. Außerdem ist er seit 2006 Präsident der Landesapothekerkammer Rheinland-Pfalz. Nach seiner Wahl sagte Kiefer: „Die Bundesapothekerkammer wird den Apothekerberuf zukunftssicher in allen Tätigkeitsfeldern weiterentwickeln. Die wohnortnahen öffentlichen Apotheken sind und bleiben eine eigenständige Säule des Gesundheitswesens. Wir kämpfen dafür, dass jeder Patient uneingeschränkten Zugang zu einer Apotheke seiner Wahl hat.“ (Foto: ABDA)

In der Präsidentschaft der ABDA blieb alles beim alten. Neu im Vorstand ist das Gesicht einer bayerischen Apothekerin: Cynthia Milz vertritt künftig die Interessen der angestellten Apotheker und setzt sich in der ABDA für deren Bedürfnisse und Belange ein. Eine gute Wahl? Vorstandserfahrung bringt die Dame mit, ist sie bereits als Beisitzerin im Vorstand des Landesapothekerverbands Bayern vertreten. Als angestellte Apothekerin erfüllt Frau Milz auch die erste Grundvoraussetzung für ihr neues Amt. (Foto: ABDA)

Auch er ist nicht nur ein wichtiges Gesicht, sondern auch ein wichtiger Kopf im pharmazeutischen Dschungel. Als Vorsitzender im Gemeinsamen Bundesausschuss zeichnete sich Josef Hecken 2016 verantwortlich für die zweite Substitutionsausschlussliste – eine Hass-Liebe bei den Apothekern. Allerdings schloss der G-BA nicht nur Marcumar vom Austausch aus, sondern auch die Apotheker bei den Projekten des Innovationsfonds. Das ist schade, sollte sich doch mittlerweile herumgesprochen haben, dass Arzneimitteltherapiesicherheit ein nicht ganz unwesentlicher Aspekt im Gesundheitswesen ist. Die Sicherheit in der Arzneimitteltherapie nahm Hecken allerdings an anderer Stelle vehement in die Zange: Er forderte Evidenz auch für Alternativmedizin. Diese müsse zumindest nachgewiesen unbedenklich für die Patienten sein. So begrüßte der G-BA-Chef, dass dieses Jahr dem homöopathischen Arzneimittel Otovowen das Licht ausgepustet wurde – unzweckmäßig, stand in der Begründung. (Foto: TK)

Wie oft man schon gedacht, gelesen oder gehört hat: Apotheker und Ärzte sollen enger zusammenarbeiten. Der Gedanke ist somit zwar nicht innovativ, aber sinnvoll doch allemal. Tatsächlich neu und einzigartig ist allerdings, dass diese Idee erstmals einen realen Rahmen bekommen hat. Die Universität Leipzig integriert den pharmazeutischen Studiengang in die medizinische Fakultät – und schlägt hierbei auch noch zwei Fliegen mit einer Klappe: Die durch Stellenabbau abgespeckte Pharmazie bleibt in Leipzig und mit ihr die Pharmaziestudenten. Und: In-spe-Mediziner und -Apotheker drücken künftig die hölzerne Hörsaalbank zusammen. Welcher Kopf steckt hinter diesem Projekt? Dass dies keine One-man-show sein kann, leuchtet ein: Professor Beate Schücking, Rektorin der Universität Leipzig, der Dekan der Medizinischen Fakultät Professor Michael Stumvoll und  Prof. Dr. Thilo Bertsche, Professor für Klinische Pharmazie an der Universität Leipzig, sind aber mit Sicherheit tragende Säulen im neuen Medizin-Pharmazie-Gebilde. (Foto: Jan Woitas / Universität Leipzig) 

Interdisziplinär geht es weiter: So lautete das Motto der Jahrestagung der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft: „Pharmaceutical Sciences – We live interdisciplinarity“. Der neu gewählte „CEO“ an der Spitze der DPhG ist seit 1. Januar dieses Jahres Professor Stefan Laufer von der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen. Laufer hatte gleich zu Beginn seiner Präsidentschaft mit den Vorstellungen zu Entrümplungsaktion und Großputz in der Approbationsordnung aufgeräumt. Für den pharmazeutischen Chemiker passt die Strukturformel der universitären Ausbildung Pharmazie noch immer. „Wenn der Apotheker nicht mehr der Spezialist für das Arzneimittel ist, wer soll es dann sein?“, fragt der pharmazeutische Chemiker. Also kein Anlass für abspeckende Reduktionsreaktionen bei der pharmazeutischen Chemie in der Studienordnung. Wie gelingt es nun aber dennoch, die vorhandenen Edukte, zu einem Produkt mit dem Zentralatom Patient reagieren zu lassen? Vielleicht hätten wir als Pharmaziestudenten in der Chemievorlesung doch besser aufpassen sollen?! Gleichgewichtsreaktionen klingen diplomatisch. „Eine Pharmazie ohne Patient gibt es nicht,“ sagt der DPhG-Präsident. Er sieht ausreichend freie Valenzen für das Wohl der Patienten insbesondere noch im zweiten Abschnitt der pharmazeutischen Ausbildung. (Foto: diz / DAZ)

Prof. Dr. Karl Lauterbach: Mit dem EuGH-Urteil hörten die Apotheker viel vom stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Fraktion im Bundestag, Karl Lauterbach. Lauterbach mischte sich wortreich in die Debatte um die Zukunft des Apothekenmarktes ein. Der SPD-Gesundheitsexperte spricht sich vehement gegen das von Minister Gröhe geplante Rx-Versandverbot aus. Vielmehr sieht er nun die Chance, dem Apothekenmarkt mehr Wettbewerb einzuhauchen. In Briefen an seine Fraktionskollegen macht er Stimmung gegen das Versandverbot und erklärt, dass es den Apothekern wirtschaftlich gut gehe, dass keine Verbesserungen nötig seien. / (Foto: dpa)

Als einzige Fraktion im Bundestag hat die SPD eine eigene Berichterstatterin nur für das Thema Apotheken. Sabine Dittmar aus Unterfranken hatte in diesem Jahr auch sehr viele Berührungspunkte mit den Apothekern. Monatelang setzte die approbierte Ärztin sich dafür ein, dass Apotheker für die BtM-Dokumentation und die Rezepturherstellung besser vergütet werden – mit Erfolg: Im AMVSG sind in beiden Bereichen Honorarerhöhungen vorgesehen. Nach dem EuGH-Urteil schloss sie sich der Meinung ihrer Fraktionskollegen an und sprach sich gegen das Rx-Versandverbot aus. Allerdings befürwortet Dittmar eine Variante, die den Status vor dem EuGH-Urteil wieder zurückführen könnte: Gemeinsam mit dem Vorsitzenden des Gesundheitsausschusses im Bundestag, Edgar Franke (SPD), will Dittmar Rx-Boni im Sozialrecht verbieten lassen, den Versandhandel aber erhalten. (Foto: sabine-dittmar.com)

Eine neue Spitze hat auch der Bundesverband Deutscher Krankenhausapotheker (ADKA): Rudolf Bernard. Sein ambitioniertes Ziel: Die Spitzen und Wogen der Lieferengpässe glätten. Schon vor seiner Wahl zum ADKA-Präsidenten im Juni dieses Jahres engagierte sich der leitende Pharmaziedirektor der Krankenhausapotheke im Klinikum rechts der Isar in München bei diesem sensiblen Thema. Eine gesetzliche Verpflichtung seitens der pharmazeutischen Unternehmer bei Lieferschwierigkeiten hält Bernard für unabdingbar. Bei Verstößen fordert er, diese auch als bußgeldbewehrte Ordnungswidrigkeiten zu ahnden, damit sich die Maßnahme nicht als „zahnloser Tiger“ entpuppe. Was hält der Klinikapotheker von den Ergebnissen des Pharmadialogs? Vertröstende „Augenwischerei“. Auch gerade gibt es wieder drängende Lieferprobleme. Langweile muss der ADKA-Präsident also nicht fürchten. (Foto: Michael Stobrawe MRI)

Er wollte die ABDA ihren Mitgliedern wieder näher bringen. Er wollte auch  ARMIN beibehalten, auf die Honorarforderung weiter pochen und pharmazeutische Dienstleistungen wie das Medikationsmanagement endlich finanziell vergütet wissen. Kai-Peter Siemsen, Präsident der Landesapothekerkammer Hamburg, hatte große Pläne, als er seine Kandidatur um die Chef-Position der ABDA bekannt gab. Keine großartig anderen als der amtierende ABDA-Präsident Friedemann Schmidt bei seinem Amtsantritt, jedoch: „Die Ziele, die Schmidt damals formuliert hat, möchte ich endlich umsetzen“, erklärte Siemsen noch ambitioniert in einem DAZ.online-Interview im September dieses Jahres. Doch auch Apotheker sieht er in der Pflicht. Diese müssten die politischen Visionen zunächst vorgeben. Allerdings zog Siemsen nach dem EuGH-Urteil seine Kandidatur zurück und gab bekannt: „Mitten in schwerster See wechselt die Marine weder den Kapitän noch seine Steuerleute. Da muss jeder, auch in der Mannschaft, konzentriert an seiner Aufgabe arbeiten, um gemeinsam das Schiff in den sicheren Hafen zu bringen.“ (Foto: Schelbert)

Kurzzeitig schien es, als wackele der Thron von ABDA-Präsident Friedemann Schmidt. Kai-Peter Siemsen, seines Zeichens Kammerpräsident in Hamburg, sägte an Schmidts Präsidentenstuhl. Dieser bekam dann aber offensichtlich kalte Füße und zog nach dem Deutschen Apothekertag in München seine Kandidatur überraschend und „schweren Herzens“ zurück. Folglich war die Wahl am 7. Dezember dieses Jahres wenig spannend – so ganz ohne Gegenkandidaten – und das Ergebnis wenig überraschend: Schmidt bleibt ABDA-Präsident. Also frisch ans alte Werk. Offene Baustellen gibt es genug: Eine Meldepflicht für Lieferengpässe will gefordert, Unterschriften gegen „gefährliche Einflüsse von außen“ gesammelt und Gröhe in seinem Gesetzentwurf zum Rx-Versandverbot bestärkt werden. Keine Zeit für Verschnaufpausen. Die Nachwehen des EuGH-Urteils halten auch die ABDA auf Trab. Die Gefahren für das Gesundheitssystem abwenden ist vielleicht auch ein Fulltime-24/7-Job. Ob das ein Grund war, warum die Kandidatenausbeute bei der Präsidentschaftswahl so überschaubar war? (Foto: Schelbert)