US-Studie zu Arzneimittelentwicklung

Patentexklusivität wird immer kürzer

Berlin - 16.01.2017, 17:00 Uhr

Wie schnell kommen Arzneimittel auf den Markt? Eine US-Studie hat die Arzneimittelentwicklung unter die Lupe genommen. (Foto: RGtimeline / Fotolia)

Wie schnell kommen Arzneimittel auf den Markt? Eine US-Studie hat die Arzneimittelentwicklung unter die Lupe genommen. (Foto: RGtimeline / Fotolia)


Neue Medikamente kommen heute schneller auf den Markt als auf dem Höhepunkt der großen Rezession vom Ende der 2000er bis in den Anfang der 2010er-Jahre, aber die Pipeline ist nicht schneller als noch vor zwei Jahrzehnten. Außerdem gibt es je nach Präparat große Unterschiede. Dies sind Schlüsselergebnisse eines neuen Berichts des Quintiles IMS Instituts und von STAT.

Ein neuer Bericht des Quintiles IMS Instituts in Zusammenarbeit mit dem Bostoner Gesundheitsnachrichtendienst STAT analysiert die Lebenszyklen von 667 neuen Medikamenten, die in den Vereinigten Staaten in den letzten zwei Jahrzehnten auf den Markt gekommen sind. Er veranschaulicht, welche wechselnden Kräfte für Innovationen bei Arzneimitteln und für die Preisgestaltung maßgeblich sind, und beleuchtet unter anderem, warum das Tempo der Entwicklung von Medikamenten seit den 1990er-Jahren insgesamt stagniert. „Ich war überrascht, dass wir es immer noch mit einer durchschnittlichen Zeitspanne von zwölf Jahren vom ursprünglichen Patent bis zum Launch zu tun haben", sagt der Geschäftsführer des Quintiles IMS Instituts Murray Aitken, der die Erstellung des Berichts geleitet hat.

Kürzere Dauer der Patentexklusivität

Er hat auch zwei wichtige Gründe hierfür parat: „Die Messlatte für die wissenschaftlichen Beweise, die für die Zulassung benötigt werden, wird immer höher gelegt.“ stellt Aitken fest. „Außerdem haben wir bei der Revolutionierung der klinischen Entwicklung nicht so große Fortschritte gemacht, wie wir vor zwanzig Jahren erwartet hätten." Eine weitere Erkenntnis: Der Zeitraum der Patentexklusivität ist kürzer geworden. Nach dem Bericht liegt er heute bei durchschnittlich zwölf Jahren. Vor zwei Jahrzehnten waren es im Schnitt noch vierzehn Jahre. Deswegen ist es aus Sicht der Experten kein Wunder, dass die Preise für Arzneimittel in den letzten Jahren so in die Höhe geschnellt sind. Die verlorenen Gewinne durch diese Zeitverzögerung versuchen die Unternehmen nun durch höhere Preise wieder reinzuholen, bevor sich die Schleusen für die Generika-Konkurrenz öffnen.

Profitable Orphan Drugs

Der Bericht stellt überdies fest, dass die Pipelines der Pharmaunternehmen zunehmend durch Krebs-Medikamente und Arzneimittel für seltene Krankheiten (Orphan Drugs) beherrscht werden. Auch das hat die Arzneimittelpreise weiter getrieben. In der zweiten Hälfte der 1990er waren 11 Prozent der in den USA neu in den Markt eingeführten Arzneimittel Krebsmittel, in der ersten Hälfte dieses Jahrzehnts 28 Prozent. Im gleichen Zeitraum hat sich der Anteil neuer Medikamente zur Behandlung von seltenen Krankheiten, die weniger als 200.000 Amerikaner betreffen, auf 42 Prozent erhöht. Die Branche habe erkannt, schlussfolgern die Autoren des Berichts, dass das Geschäftsmodell der hochpreisigen Orphan-Arzneimittel sehr profitabel sein kann. Beide Produktgruppen werden durch zusätzliche regulatorische Anreize wie die bevorzugte Bearbeitung im Zulassungsverfahren besonders gefördert.

Firmenfusionen stören die Entwicklung

Warum kommen einige Neuentwicklungen schneller auf den Markt als andere? Eine wichtige Rolle spielt hierbei nach Auffassung der Autoren, ob ein einzelnes Unternehmen die Entwicklung vom Anfang bis zum Ende leitet. Dies traf in der Untersuchung auf ein Viertel der begutachteten Präparate zu. Die restlichen, die ursprünglich von einer Firma patentiert und von einer anderen in den Markt eingeführt wurden, brauchten länger bis zum Launch. Personelle Änderungen und verschobene Prioritäten, etwa durch Fusionen und Übernahmen werden in solchen Fällen zu Störfaktoren, weiß Joseph DiMasi, Direktor für Wirtschaftsanalyse am Tufts Center for the Study of Drug Development, der an der Erstellung des IMS-Berichts beteiligt war.

Zwei aus einem Labor

Für viele Trends, die die Wissenschaftler in dem Report abgeleitet haben, standen zwei bestimmte Arzneimittel „Pate“. Beide Medikamente, das Antipsychotikum Asenapin (Saphris) und das Krebsmittel Pembrolizumab (Keytruda), begannen ihr „Leben“ in den Laboren von Organon, der späteren pharmazeutischen Einheit des holländischen Mischkonzerns AkzoNobel. Der Wirkstoff von Saphris wurde erstmals im Jahr 1977 patentiert, das Wirkstoff-Molekül des späteren Präparats Keytruda um den Beginn der großen Rezession. Im Jahr 2006 begannen sich die Lebenslinien der beiden Arzneimittel zu trennen. Während Pfizer aus der gemeinsamen Entwicklung von Saphris ausstieg, gelangen den Entwicklern des Immun-Checkpoint-Inhibitors Keytruda weitere wichtige Entwicklungsschritte.  

Glänzende Zukunft prophezeiht, und dann?

Nach der Schilderung des Reports stand Saphris ein bewegtes Leben bevor: Schering-Plough aus New Jersey, das Organon und dessen Pipeline im Jahr 2007 erwarb, habe Saphris zunächste als „fünf-Sterne“ Medikament mit Blockbuster-Potenzial bejubelt.

Zwei Jahre später kam Merck & Co. durch Fusion mit seinem kleineren Konkurrenten Schering-Plough ins Spiel. Saphris hatte wenige Monate zuvor die FDA-Zulassung zur Behandlung von Schizophrenie und bipolare Störungen erhalten. Merck lizenzierte es sofort an eine Firma aus, die später von Allergan gekauft wurde, das das Medikament jetzt vermarktet. Aus dem „fünf-Sterne“-Medikament wurde jedoch nichts. Nach Angaben in dem Report erreichte der Umsatz in den USA seinen Höhepunkt in niedrigen Hundert Millionen Dollar-Regionen pro Jahr.

Spitzen-Umsätze für Keytruda angepeilt

An der Entwicklung von Keytruda hielt Merck jedoch selbst fest, heißt es weiter, und trieb die Entwicklung zügig voran. Beschleunigt wurde diese durch den Status als Orphan Drug und als „Breakthrough-Therapie“ sowie durch andere regulatorische Fast-Tracking-Faktoren. Ende 2014 überquerte Keytruda die Ziellinie der Zulassung für die Behandlung von Melanomen.

Die Verfasser des Reports rechnen damit, dass Merck in Kürze mit einem Umsatz von rund 1,3 Milliarden US-Dollar in 2016 mit Keytruda aufwarten wird. Unlängst habe das Präparat zudem eine frühe Zulassung für Patienten mit einer Erstdiagnose von Lungenkrebs erhalten. Dies könnte den Umsatz in den USA im Jahr 2017 auf beeindruckende 3,3 Milliarden hochtreiben, so ihre Mutmaßung.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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