- DAZ.online
- News
- Debatte & Meinung
- Mein liebes Tagebuch
Wieder eine Woche mit Tippelschritten, aber in eine Richtung. Es gibt nur ein Ziel: Rx-Versandverbot. Auch wenn Zauderer, Zögerer und Bedenkenträger immer wieder neue Hürden sehen. Auch wenn der „Spiegel“ uns „aggressiv“ nennt. Nicht kirre machen lassen! Die kleine Froststarre ist dem eisigen Wetter geschuldet. Das Tauwetter kommt bestimmt.
16. Januar 2017
„Fernabsatz hat nichts mit Digitalisierung zu tun“, sagt der Präsident der Bundesapothekerkammer (BAK), Andreas Kiefer. „Fernabsatz“ – ein Wort, das mit Sicherheit in die Kategorie der wunderschönen gepflegten deutschen Worte gehört. „Fernabsatz“ – in der heutigen Umgangssprache so geläufig wie „Ferngespräch“, nämlich gar nicht. Es gab vor 17 Jahren sogar einmal ein Fernabsatzgesetz, das allerdings nach zwei Jahren wieder aufgehoben und ins Bürgerliche Gesetzbuch integriert wurde. Also, „Fernabsatz“ ist schlicht Versandhandel: Ware per Postkarte, Telefon oder Internetportal bestellen und per Paketpost versenden. Versandhandel gab’s schon zu Zeiten von Neckermann-, Quelle- und Otto-Versand, als das Wort Digitalisierung noch gar nicht erfunden war. Also, hat Versandhandel irgendetwas mit Digitalisierung zu tun? Um Himmelswillen nein! Und damit hat er Recht, der BAK-Präsident. Nur, mein liebes Tagebuch, hätte er „Versandhandel“ gesagt, wär’s verständlicher gewesen. Zum Hintergrund: Versandapotheken und SPD-Gesundheitspolitiker versuchen, das Rx-Versandverbot in Zeiten der Digitalisierung als „anachronistisch und unrealistisch“ zu brandmarken. Quatsch! Genauso könnte man sagen, das Rx-Versandverbot sei in Zeiten der Spätzlesierung von Berlin anachronistisch – mehr Spätzle auf Berliner Speisekarten haben nichts mit Rx-Versandverbot zu tun. Außerdem: Spätzle sind rezeptfrei.
Das gibt Aufwind: Über die Hälfte der Deutschen (51 Prozent) unterstützen die Initiative von Bundesgesundheitsminister Gröhe, ein Rx-Versandverbot einzuführen. Und nur ein Drittel ist dagegen. Das ergab eine vom Institut für Demoskopie Allensbach selbst finanzierte Umfrage, nach Angaben des Instituts hatten da weder Versender noch ABDA ihre Finger drin. Mein liebes Tagebuch, das ist doch schon fast eine Adelung: Ein Rx-Versandverbot ist der richtige Weg. Die überwiegende Mehrheit (zwei Drittel) der deutschen Bevölkerung ist dafür oder hat zumindest nichts dagegen, dass sie ihre Rezepte in Zukunft nur noch in einer Apotheke vor Ort einlöst. Diese Mehrheit möchte die Vor-Ort-Apotheken erhalten und vor der ausländischen Konkurrenz schützen. Deutlicher kann man es kaum sagen. Hallo SPD, hallo ihr Grünen, wie wär’s da mal mit Umdenken?
17. Januar 2017
Bis zum 16. Januar sollte die Bundesregierung der EU-Kommission mitteilen, wie sie sich nach dem EuGH-Urteil zum Thema Rx-Boni positioniert. Die EU-Kommission möchte also wissen, ob und wie der jetzt europarechtswidrige Paragraf (die Arzneimittelpreisverordnung gilt auch für ausländische Versandapotheken) aus dem Sozialgesetzbuch entfernt wird. Angesprochen sind das Bundesgesundheits- und das Bundeswirtschaftsministerium. Und beide haben geantwortet: Wir sind uns noch nicht einig, wir brauchen mehr Zeit! Mein liebes Tagebuch, dass das geplante Rx-Versandverbot im Antwortschreiben nicht erwähn wurde, muss nichts Schlechtes bedeuten; vermutlich will man das offiziell erst mitteilen, wenn man sich darüber in der Koalition einig ist.
Da hat SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach kurz nachgedacht und kann sich sogar fürs Rx-Versandverbot erwärmen, wenn im Gegenzug Chroniker von Zuzahlungen befreit würden – aber die Krankenkassen bleiben stur. Der GKV-Spitzenverband lässt in einem Statement wissen: Wir sind gegen ein Versandverbot verschreibungspflichtiger Arzneimittel. J. M. von Stackelberg, Vizechef des GKV-Verbands, argumentiert: „Ein Versandhandelsverbot wäre im 21. Jahrhundert nicht zeitgemäß…“ Mein liebes Tagebuch, wo lebt Herr von Stackelberg eigentlich? Es geht doch hier nicht darum, ob etwas „zeitgemäß“ ist oder nicht. Es geht hier um Arzneimittelsicherheit und letztlich um den Erhalt einer flächendeckenden Versorgung zu gleichen, fairen Preisen für alle. Päckchen verschicken ist uralt, zeitgemäß ist zu erkennen, dass es besser ist, Waren der besonderen Art nicht durch die Gegend zu karren, sondern vor Ort zu erwerben. So sieht’s aus!
Während Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml von Lauterbachs Chronikerbefreiungsvorschlag nichts hält und meint, ein Rx-Versandverbot sollte es ohne den SPD-Kompromiss der Zuzahlungsbefreiung geben, kann sich SPD-Gesundheitspolitiker Edgar Franke, eigentlich ein Gegner des Versandverbots, für den Lauterbach-Vorschlag erwärmen und sich dies sogar als Weg zum Ziel eines Rx-Versandverbots vorstellen. „Wir sind dabei einen Kompromiss zu finden“, sagt Franke. Da freut sich mein liebes Tagebuch, Herr Franke. Ein Rx-Versandverbot hat doch gute Chancen, ist zeitgemäß, passt zur SPD (faire Preise für alle und sichere Arzneiversorgung) und lässt sich relativ rasch umsetzen – wenn Sie und Ihre SPD mitmachen! Worauf warten Sie?
18. Januar 2017
Aber die SPD will (noch) nicht, ein Rx-Versandverbot ist mit ihr nicht drin, wie auf einer Sitzung der gesamten SPD-Bundestagsfraktion deutlich wird. Selbst Lauterbachs Annäherung findet kaum Zuspruch, im Gegenteil, die Mehrheit der Genossen kritisiert ihn für sein Vorpreschen: Es fehlen die konkreten Lösungsvorschläge. Ja, Herr Lauterbach, gut gemeint, dumm gelaufen. Mein liebes Tagebuch, was echt weh tut: Solange sich Union und SPD nicht geeinigt haben, geht’s mit dem Referentenentwurf zum Rx-Versandverbot nicht weiter. So frostig wie es draußen in dieser Woche war, so tiefgefroren ruht der Gröhe-Entwurf im Eis. Wir warten auf Tauwetter!
Es hat gedauert. Jetzt hat der Bundestag das Gesetz verabschiedet und ab März ist es soweit: Cannabis gibt’s auf Rezept, die Kassen bezahlen, wenn der Arzt den Medizinalhanf für die ultima ratio in der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen (z. B. Schmerz- oder Multiple-Sklerose-Patienten) hält. Die Patienten freuen sich. Und die ABDA auch: „In Zukunft können Patienten Rezepturarzneimittel aus Cannabis in kontrollierter pharmazeutischer Qualität aus der Apotheke bekommen“, sagt der BAK-Präsident Kiefer. Mein liebes Tagebuch, jetzt heißt es Platz schaffen im BtM-Schrank für „Cannabis flos“ und mal die Regeln für BtM-Rezepte wiederholen.
19. Januar 2017
Das ist nur ein Vorgeschmack auf das, was uns erwartet, wenn der Rx-Versand nicht verboten wird: DocMorris kooperiert mit „Bild“. Will heißen: Wer Bild liest, bekommt einen 7,50-Euro-Gutschein, den er beim niederländischen Versender einlösen kann. Außerdem verspricht DocMorris einen Rx-Rabatt von 2,50 Euro pro Arzneimittelpackung, pro Rezept bis zu 15 Euro, dazu portofreies Einsenden des Rezepts und Lieferung innerhalb von 48 Stunden (puh, dauert das lang!). Mein liebes Tagebuch, da möchte man den Zauderern nur zurufen: Na, SPD und Grüne, wie gefällt euch das? Soll so in Zukunft unsere Arzneiversorgung aussehen? Rezepte einsenden. Warten. Bonus sichern? Geldverdienen auf Rezept? Bitte, macht euch nicht lächerlich.
Auf die Akutversorgung durch Apotheken vor Ort möchte keiner verzichten, auch nicht liberale Wirtschaftsjournalisten, nicht die SPD und nicht die Grünen. Aber sie alle jubeln die Sparmöglichkeiten durch Boni und Rabatte hoch, als läge darin das Wohl und Wehe unserer Nation. Doch allen, die glauben, dass der Wettbewerb bei Rx-Arzneimitteln das Glückseligmachende auf Erden sei, die Schere, mit denen endlich, endlich alte Apothekenzöpfe abgeschnitten werden, all denen sei zugerufen: Wer die süßen Äuglein des Wettbewerbs in Form von Schnäppchen und Boni will, muss auch die hässliche Fratze ertragen, nämlich immer weniger Apotheken mit immer schlechteren Leistungen. Auf dem schon heute auf Kante genähten Apothekenmarkt wirken sich selbst moderate Umsatzverluste von „nur“ zehn Prozent katastrophal aus: Bis zu 4400 Apotheken wären in ihrer Existenz bedroht, die Rentabilität der verbleibenden Apotheke würde ausgehöhlt, wie Kollege Thomas Müller-Bohn in der letzten DAZ vorrechnet. Mein liebes Tagebuch, wann kapieren das die Politiker, die das Gesetz blockieren: Boni und bewährte Versorgung geht nicht. Und das sind keine Fake-News und nicht postfaktisch, sondern einfach nur Fakt.
20. Januar 2017
Die Verbraucherzentralen haben sich die Nahrungsergänzungsmittel vorgeknöpft, also Lebensmittel, die im Gewand von Arzneimitteln daherkommen, die aber, da Lebensmittel, nicht auf Wirksamkeit und Sicherheit geprüft sind und auch keiner Zulassung bedürfen. Aber Nahrungsergänzungsmittel (NEM) können Einfluss auf die Therapie mit Arzneimitteln haben und Wechselwirkungen hervorrufen. Um hier mehr Transparenz zu schaffen, haben die Verbraucherzentralen ein neues Online-Informationsportal geschaffen. Auf klartext-nahrungsergänzung.de findet man rechtliche Hintergründe und Infos zu gesundheitlichen Risiken von NEM. Mein liebes Tagebuch, NEM werden nicht nur in Drogerie- und Supermärkten verkauft, sondern gehen auch in Apotheken in großer Zahl über den HV-Tisch. Das neue Online-Portal ist gut gemacht. Auch als Apotheker findet man dort viele nützliche Infos. Ob es allerdings gleich eine Zulassungspflicht mit Sicherheitsprüfung für NEM braucht, wie sie die Verbraucherzentralen fordern, darüber sollte man nochmal nachdenken.
Der Bundesverband der Versandapotheken hat ein Gutachten in Auftrag gegeben, wonach ein Rx-Versandverbot dazu führen würde, dass Deutschland „in Staatshaftung“ genommen werde. „Dummes Zeug“, meint ABDA-Justiziar Tisch. Die Voraussetzungen dafür lägen gar nicht vor. Allerdings gibt er sich auch keinen Illusionen hin: Die Versender würden ein Versandverbot sowieso beklagen. Seine Prognose: Der EuGH muss sich in drei Jahren mit dem Rx-Versandverbot erneut beschäftigen. Mein liebes Tagebuch, und wenn schon! Entscheidend ist: Das Gesundheitsministerium hält das Verbot für möglich und setzt es entschlossen durch.
EU-Gesundheitskommissar Andriukaitis aus Litauen hat den Gesundheitsausschuss des Bundestags besucht. Der Mann ist in gewisser Weise „vom Fach“, er ist von Haus aus Chirurg, sollte Gesundheitsfragen also nahestehen. Der Gesundheitsausschuss konnte den Kommissar zu seiner Meinung über das EuGH-Urteil befragen. Und, mein liebes Tagebuch, ist ein Rx-Versandverbot europarechtlich haltbar? Was meint der Kommissar? Dem Vernehmen nach wollte sich der Kommissar so genau nicht festlegen. Immerhin, es sei legitim, sich über Problemlösungen Gedanken zu machen, Ups, scheint wirklich schwer zu sein, diese Frage.
Auch im Bundestag kommt man zur Frage eines Rx-Versandverbots nicht recht weiter. Die Abgeordneten setzten sich in einer virtuellen Debatte (Reden wurden schriftlich zu Protokoll gegeben) mit dem Antrag der Linksfraktion auseinander, der ein Rx-Versandverbot vorsieht. Die Beiträge zeigen: Noch sind Union und SPD meilenweit auseinander. Während die SPD-Politikerin Dittmar bei einem Versandverbot sogar Probleme mit dem Botendienst sieht und Rx-Boni lieber verbieten oder deckeln möchte (aber was nun und wie?), ist für den CDU-Gesundheitspolitiker Hennrich der einfachste und schnellste Weg ein Rx-Versandverbot. Und die Linken-Politikerin Vogler setzt auf die Apotheke vor Ort: Arzneimittel gehören in fachkundige Apothekerhand und nicht in den Pakettransporter. So. Ist. Es.
21. Januar 2017
Der „Spiegel“ schießt „aus allen Rohren“ gegen die Apotheke, eine „aggressive“ Berufsgruppe, vor der sogar die Sozialdemokraten eingeknickt seien: Lauterbach habe eine spektakuläre Wende vollzogen, die Genossen gäben dem massiven Druck der Lobby nach. Die ABDA-Kampagne, bei der „das Verkaufspersonal“ der Apotheke die Kunden belehrt, dass bald ein Apothekensterben bevorstehe, kanzelt der „Spiegel“ ab: Bei der Kampagne handele es sich eher um Fake News als um Aufklärung. Was beim Magazin angekommen ist: „Wie die Apotheker den Versandhandel mit Medikamenten verhindern wollen“, heißt es unzutreffend im Inhaltsverzeichnis. Mein liebes Tagebuch, kein Wort zum EuGH-Urteil, kein Wort zu den Folgen. Oberflächlicher geht’s nimmer.
14 Kommentare
Auch die Großen werden diesen Kampf verlieren
von Thomas Luft am 24.01.2017 um 12:41 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort
AW: Auch die Großen werden diesen Kampf
von Thomas Luft am 24.01.2017 um 13:12 Uhr
nicht postfaktisch
von Karl Friedrich Müller am 23.01.2017 um 7:35 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Blutspiegel - Sic transit gloria speculi
von Andreas P. Schenkel am 22.01.2017 um 21:34 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort
AW: Blutspiegel - Sic transit gloria speculi
von Albert Bonell am 27.01.2017 um 9:34 Uhr
Faktenlöcher
von Reinhard Rodiger am 22.01.2017 um 16:01 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 2 Antworten
AW: Faktenlöcher
von Christian Timme am 22.01.2017 um 17:32 Uhr
AW: Faktenlöcher
von Reinhard Rodiger am 22.01.2017 um 19:31 Uhr
Spiegel und off-topic
von gabriela aures am 22.01.2017 um 14:18 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Gelassenheit hilft weiter
von Ulrich Ströh am 22.01.2017 um 12:06 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Spieglein, Spieglein an der Wand ... wer der Lücke folgt ...
von Christian Timme am 22.01.2017 um 11:34 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Hohlspiegel
von Dr Schweikert-Wehner am 22.01.2017 um 11:04 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Grüne
von Frank Ebert am 22.01.2017 um 9:21 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Ergänzung zu Müller-Bohn
von Karl Friedrich Müller am 22.01.2017 um 9:02 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.