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Serie: Die Besonderen – Concordia-Apotheke, Velten
Einträchtig am FrauenOrt
ZUSAMMENFASSUNG
Die Concordia-Apotheke im brandenburgischen Velten (Landkreis Oberhavel) feierte Anfang Februar ihr 130-jähriges Jubiläum. Bis 1990 war sie die einzige Apotheke im Ort. Ein Touristenziel ist sie aber aus einem anderen Grund.
Die Offizin gleicht in diesen Tagen einem Floristengeschäft. Kunden mit und ohne Rezept kommen und gratulieren dem fünfköpfigen Team. Apotheker Stefan Riebe übernahm das Traditionsunternehmen im Januar 2016 von seiner Mutter. Birge Riebe (67) hatte ihre erste Stelle nach dem Studium 1973 als stellvertretende Leiterin der damals staatlichen Concordia-Apotheke angetreten. 1980 wechselte sie ins Klinikum Berlin-Buch. Auf Bitten der Mitarbeiterinnen kehrte sie 1990 zurück und übernahm die Apotheken-Leitung, weil die Vorgängerin in den Ruhestand ging. Sohn Stefan, 43 Jahre jung, arbeitet nach beruflichen Stationen in Berlin und Hamburg seit 2004 in dem 1994 komplett sanierten Gebäude.
Der lange Weg zur Konzession
Bis in Velten eine
Apotheke eröffnen durfte, waren einige Hürden zu nehmen. Im März 1878 hatte die
Gemeindevertretung erstmals eine Konzession beantragt. Vergeblich. Der
Industriestandort wuchs rasant. Zwischen 1858 und 1880 war die Bevölkerungszahl
von 688 auf 3.262 Einwohner gestiegen. Die Besitzer der 30 Ofenkachelfabriken
erklärten, benötigte Chemikalien im Wert von jährlich 25.000 Mark von der örtlichen
Apotheke zu beziehen. Die von Familie Riebe zusammengetragene Apothekenchronik
gibt leider keine Hinweise, welche das waren. Auch Rolf Schmidt,
Geschäftsführer der 1872 gegründeten Ofen- und Kachelfabrik A. Schmidt, Lehmann, muss passen und
verweist an das Ofen- und Keramikmuseum. Die Mitarbeiter wissen (fast) alles
über die Historie der keramischen Industrie in Velten. Diese Frage müssen sie
trotzdem vertagen. In alten Rechnungsbelegen könnte man eines Tages fündig
werden. Zudem haben sich die Techniken der Kachelproduktion bedeutend geändert.
Denkbar ist, dass die Chemikalien für das Verflüssigen der Ton-Masse ohne
Wasser oder für Lasuren benötigt wurden.
Ein moralisch tadelloser Rezeptor
Am 10. Juni 1886 wurde die Einrichtung einer Apotheke in Velten genehmigt. 37 Bewerbungen gingen für die ausgeschriebene Konzession ein. Der Regierungspräsident von Potsdam empfahl. „dem Rezeptor Konrad Emanuel Ihrer aus Perleberg“ die Erlaubnis zu erteilen. Gelobt wurden dessen gute Zertifikate. Zudem sei er tüchtig und moralisch tadellos. Am 1. Februar 1887 konnte die Concordia-Apotheke schließlich eröffnen.
Den Namen soll Ihrers Frau Emma (1857-1911) angeregt haben. „Concordia“ bezieht sich auf die gleichnamige Göttin der Eintracht in der römischen Mythologie. Über die schon in jungen Jahren besonders für Frauenrechte Engagierte ist wenig überliefert. Allerdings taucht einer ihrer Leitsätze „Eintracht macht stark – Bildung macht frei“ regelmäßig auf. „Eintracht und Einigkeit waren viel beschworene Werte der entstehenden Arbeiterbewegung“, weiß Claudia von Gélieu.
Die Berliner Frauengeschichtsforscherin beschäftigt sich seit drei Jahrzehnten mit dem Leben und Wirken von Emma Ihrer und berichtet: „Unermüdlich rief sie Vereine ins Leben, brachte die erste Arbeiterinnen-Zeitung heraus, setzte das erste Arbeiterinnen-Sekretariat durch und kämpfte gegen die gesellschaftliche politische Unterdrückung, aber auch die Frauenfeindlichkeit in SPD und Gewerkschaften an.“
Gedenktafel am FrauenOrt
Seit 7. Januar 2011 ist die Adresse der Apotheke in der Breiten Straße 75 in Velten gleichzeitig ein „FrauenOrt im Land Brandenburg“, der regelmäßig Touristen anzieht. Das 2010 nach dem Vorbild der FrauenOrte in Sachsen-Anhalt und Niedersachsen ins Leben gerufene Projekt würdigt das Wirken bekannter und unbekannter Frauen. Die gelernte Putzmacherin Emma Ihrer war überzeugt davon, dass Frauen einen Beruf brauchen, „der sie unabhängig macht von jeder Art der Bevormundung.“ Claudia von Gelieu vermutet, dass der 22 Jahre ältere Rezeptor Emanuel Ihrer alles für seine Frau getan haben muss.
„Er hat ihr politisches Wirken ermöglicht, seine berufliche Existenz für sie aufgegeben und mit ihr und später mit ihrem neuen Lebensgefährten Carl Legien zusammengelebt.“ Dokumente zur Eheschließung konnten bis heute übrigens weder die damalige Polizei noch Forscherinnen finden. Polizeiakten belegen, dass Apotheker Ihrer wegen der politischen Aktivität seiner Frau zunehmend unter Druck geriet. Nach sieben Jahren verließ das Paar Velten und zog nach Berlin-Pankow. Mitarbeiter Carl Möller führte die Concordia-Apotheke weiter. Es folgten mehrere Pharmazeuten. Am längsten, 37 Jahre von 1900 bis 1937, bestimmte Apotheker Paul Fritsch das Arzneimittelgeschäft im Ort.
„Wir beraten optimal und wollen die Kunden zufrieden stellen“
Seit 1990 sind in der 12.000-Einwohner-Stadt drei Apotheken hinzugekommen. „Hier gräbt niemand dem anderen etwas ab“, sagt Stefan Riebe und lobt das „vernünftige Nebeneinander“. Er hat ein Zusatzstudium zum Praktischen Betriebswirt für Pharmazie absolviert. „Wir beraten optimal und wollen die Kunden zufrieden stellen. Das fängt mit Freundlichkeit an und hört bei Lieferservice nicht auf.“
Er entscheidet manche Sortimentsfragen nach Gefühl, auch wenn das betriebswirtschaftlich nicht immer klug ist. Mutter Birge Riebe lacht: „Die Kunden wissen: ‚Concordia hat’s‘.“ Augenmedikamente sind neben Antibiotika und Erkältungsmitteln im Notdienst regelmäßig gefragt. „Es ist wichtig, dass wir dann liefern können“, so Stefan Riebe. Wenn es sein muss, besorgt er auch Blutegel über Nacht. Rezepturen werden selbst hergestellt. Obwohl im Ort kein Hautarzt praktiziert, geben Kunden ihre Salbenrezepte hier ab.
In den Bereitschaftsdiensten zeichnet sich ein Trend ab: „Die Pille danach wird drei- bis viermal mehr nachgefragt, sei sie rezeptfrei erhältlich ist.“ Während Frauen das Thema schnell hinter sich bringen wollen und auch als Einheimische in der ortsansässigen Apotheke um Hilfe bitten, offenbaren sich Männer mit Potenzproblemen selten in der eigenen Stadt. „Wer bei uns Starthilfe wünscht, kommt meist nicht aus Velten.“ Angst vor dem Apothekensterben hat Stefan Riebe nicht.
Von Dagmar Möbius, freie Journalistin
Lesen Sie hier die Zusammenfassung
Die Concordia-Apotheke im brandenburgischen Velten (Landkreis Oberhavel) feierte Anfang Februar ihr 130-jähriges Jubiläum. Apotheker Stefan Riebe übernahm das Traditionsunternehmen im Januar 2016 von seiner Mutter. Genehmigt wurde die Apotheke am 10. Juni 1886. Der Regierungspräsident von Potsdam empfahl. „dem Rezeptor Konrad Emanuel Ihrer aus Perleberg“ die Erlaubnis zu erteilen. Gelobt wurden dessen gute Zertifikate. Zudem sei er tüchtig und moralisch tadellos. Ihrers Frau Emma entwickelte sich in dieser Zeit zu einer bekannten Frauenrechtlerin.
1 Kommentar
Rezeptor ...
von Axel Helmstädter am 23.03.2017 um 9:19 Uhr
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