Inkontinenzprodukte im Praxistest

Billig knistert und läuft aus

Stuttgart - 22.02.2017, 14:30 Uhr

Was die Kasse zahlt, taugt nichts. Viele Betroffene zahlen daher freiwillig in der Apotheke oder anderen Versorgern drauf. (Foto: tibanna79 / Fotolia)

Was die Kasse zahlt, taugt nichts. Viele Betroffene zahlen daher freiwillig in der Apotheke oder anderen Versorgern drauf. (Foto: tibanna79 / Fotolia)


Günstige Inkontinenzprodukte können nicht überzeugen: Sie knistern, die Haut bleibt nicht trocken oder sie laufen sogar aus – so lautet das Fazit von Stiftung Warentest. Viele der Produkte, die von den Kassen derzeit bezahlt werden, entsprechen nicht den demnächst geltenden, neuen Qualitätsstandards.

Bei Windeln und Vorlagen, die bei Inkontinenz verwendet werden, scheint zu gelten: Teurer ist in der Regel besser. Zu diesem Ergebnis kam zumindest die „Stiftung Warentest“. Die Verbraucherschützer ließen 110 Frauen und 79 Männer verschiedene Inkontinenzhilfsmittel testen – unter Alltagsbedingungen. Alle Probanden litten an mittlerer Harninkontinenz. Dabei wurde einmal die Funktion beurteilt, also beispielsweise, ob die Haut trocken bleibt, wie der Urin aufgenommen und verteilt wird oder ob das Produkt gar ausläuft. Zum anderen beurteilten die Tester den Tragekomfort des Hilfsmittels. Sitzt es gut? Ist es weich? Verformt es sich? Auch die Diskretion wurde bewertet. Für Geräusche wie Rascheln und Knistern gab es Abzüge, ebenso wie dafür, wenn sich die Windel unter der Kleidung abzeichnete. Funktion und Tragekomfort gingen mit je 40 Prozent in die Gesamtnote ein. Mit jeweils 10 Prozent spiegelten sich dann noch Handhabung und die Informationen auf der Packung im Endergebnis wider. So wurde beispielsweise geprüft, ob allen Deklarationsvorschriften des Medizinproduktegesetzes genüge getan wurde. Getestet wurde in drei Gruppen: Windelslips, Einmalhosen und Vorlagen. Innerhalb einer Gruppe wurde jedes Produkt von mindestens 62 Probanden getestet – und zwar mindestens eine Woche lang. Zusätzlich wurden Daten zum Auslaufen und Rücknässen im Labor erhoben.

Jede zweite Vorlage läuft aus

Bei den Vorlagen fiel jede zweite durch. Vorlagen sind vergleichsweise günstig – die getesteten sind für 34 bis 65 Cent pro Stück zu haben – und leicht zu wechseln. Kassen raten dazu, sie vorrangig zu verordnen – weil sie angeblich hautfreundlicher sind. Im Test klagten aber einige Probanden über Irritationen. Am besten schnitten die Produkte von Hartmann (Moliform Premium Extra Soft ), Seni (San Seni Uni), Attends (Contours Regular 7) und Tena (Comfort extra) ab. Sie alle wurden mit der Gesamtnote „gut“ bewertet. Die Vorlagen von Tena und Attends schnitten bei der Handhabung noch etwas besser ab als die Konkurrenz. Die Kosten liegen zwischen 65 Cent pro Stück für das Hartmann-Produkt und 41 Cent für jenes von Attends. Letzteres war damit das einzige günstige Hilfsmittel, das mit gut bewertet wurde. Als deutlich schlechter beurteilten die Probanden die Hilfsmittel von Abena (Delta San 9), Nonaform (Super), Unizell (Medicare Easy f super) und Param (Form Plus Premium). Gesamtnote war hier lediglich ausreichend. Diese vier Vorlagen konnten vor allem bei der Funktion nicht überzeugen. Sie liefen zum Teil aus und die Haut blieb nicht trocken. Vom Tragekomfort her waren zumindest das Param- und das Noniform- Produkt vergleichbar gut wie die Testsieger. Mit Abena Delta San 9 wurde bemerkenswerterweise die zweitteuerste Vorlage im Test (58 Cent pro Stück) von den Testern verrissen. Die anderen drei schwach Bewerteten sind jedoch mit einem Stückpreis zwischen 34 und 37 Cent die Günstigen.

Bei den Windeln ist teuer besser

Bei den Windelslips gilt klar: Die Teuren sind im Test die Besten. So konnten bei den Testern die Windeln von Hartmann (Molicare Premium Slip Super  Plus L)  und Tena (Slip Super Large) punkten. Sie kosten allerdings mit 1,18 Euro bzw. 1,13 Euro pro Stück auch doppelt so viel wie das günstigste Produkt im Test – das von Unizell (Medicare Easy S Large), wurden aber durchweg mit „gut“ bewertet. Die Windeln von Param (Slips Premium), Nona (Slip), Abena (Delta Form) und Unizell  (Medicare Easy S) hinterließen immer ein nasses Gefühl, bemängelten die Patienten. Zwei davon, Nona und Unizell, liefen zudem zu allem Überfluss noch aus. Und nicht nur die Funktion war unzureichend. Kritik gab es auch bei den Verschlüssen. So riss beispielsweise die Folie. Daher gab es für diese vier nur die Gesamtnote „ausreichend“. Alle vier sind Hilfsmittel, die von den Kassen erstattet werden.

Durchweg die besten Noten gab es für Pants. Sie werden allerdings nur im Ausnahmefall von den Kassen erstattet. „Schade“, findet das Stiftung Warentest, denn die Anwender seien zufrieden gewesen. Sie haben sich sicher gefühlt, heißt es. Getestet wurden hier drei der so genannten Pull-Ons: Tena Pants Plus, Hartman MoliCare Mobile ideal fit und Seni Active. Sie kosten zwischen 1,09 Euro (Seni) und 1,46 Euro (Hartmann) pro Stück. Die Tena Pants liegen mit einem Stückpreis von 1,28 in der Mitte, die die Versicherten in der Regel aus eigener Tasche bezahlen.

Warum ist auf so viele Produkte kein Verlass?

Stiftung Warentest thematisiert auch die aktuelle Lage. Wie viel die Kasse bezahlt, sei unterschiedlich. So sind es bei der Techniker Krankenkasse pauschal 18,45 Euro im Monat und damit 8 Euro weniger als früher, heißt es. Warum? Qualität sei mittlerweile auch für einen geringeren Preis zu haben, wird eine Sprecherin der Kasse zitiert. Produkte von manchen Firmen seien aber schlicht zu teuer. Andere Kassen zahlen mehr. So gibt es bei der AOK plus 24 Euro monatlich. Barmer-Versicherte hingegen bekommen noch weniger – 16,66 Euro. Die Betroffenen kommen ebenfalls zu Wort, viele zahlen aus freien Stücken drauf – für die Lebensqualität. Wer unzufrieden ist solle sich an seine Versicherung wenden, fordert Stiftung Warentest auf. Zudem wird erklärt, warum Apotheken vor Ort das Rezept unter Umständen nicht einlösen – eben weil sie keinen Vertrag mit der betreffenden Kasse haben.

„Warum ist auf so viele Produkte kein Verlass?“ Auch diese Frage beantworte Stiftung Warentest. Viele der derzeit erstatteten Produkte entsprechen nicht mehr dem Stand der Entwicklung, heißt es in dem Bericht. Mit dem gerade verabschiedeten Heil- und Hilfsmittelgesetz treten allerdings neue Qualitätsstandards in Kraft – erstmalig seit 23 Jahren. Alle Hilfsmittel, die im Test nur mit „ausreichend“ bewertet wurden, erfüllten zum Beispiel das neue Kriterium für die Rücknässung nicht, erklärt der Projektleiter von Stiftung Warentest.  

Die Kassen müssen ihre Hilfsmittelverzeichnisse bis Endes 2018 gemäß der neuen Standards überarbeiten. Dabei muss auch immer eine aufzahlungsfreie Option angeboten werden. Ob und wie das mit den derzeitigen Dumping-Pauschalen einiger Kassen realisierbar ist, bleibt abzuwarten



Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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3 Kommentare

Stiftung Warentest verfehlt ihr Ziel

von Timo Scharpenberg am 24.02.2017 um 12:24 Uhr

Was sich die Redaktion der Stiftung Warentest bei Ihrem aktuellen Test 03/17 gedacht hat bleibt schleierhaft. Zum einen wurden die Tests kurz vor Anpassung der Qualitäten an die neuen Anforderungen des Hilfsmittelverzeichnes durchgeführt. Zum anderen hat man sich bei der Produktauswahl anscheinen auf eine zweifelhafte Expertise gestützt.
Wie kann es sein, dass von den großen Herstellern die Topqualitäten und von den kleinen Herstellern die Basisqualitäten für Kassen Standardversorgungen geprüft werden? Unizell beispielsweise hat hervorragende Produkte der Marke forma-care premium im Angebot, die sicherlich unter den Top3 anzusiedeln wären. Und auch Seni hat beispielsweise seine Standardprodukte, die sicherlich nach einer objektiven Prüfung in der unteren Hälfte der Qualitätsskala anzusiedeln wären.

Unsere Einschätzung: Einseitiger Test mit Bevorzugung großer Markenhersteller

Tip fürs nächste Mal: Entweder testet man ganz oder gar nicht. Dem Kunden hat man damit keinen Gefallen getan.

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Es wird viel zu wenig geschossen ... sagte mein Vater ...

von Christian Timme am 23.02.2017 um 21:52 Uhr

Wenn Menschen andere Menschen meiden, haben diese Krankenkassen diesen Menschen das Leben weggenommen. Dafür gibt es noch keine Strafe. Das ist unsere Gesellschaft, das ist der kümmerliche Rest, von uns. Kann man noch tiefer sinken?.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Auch bei "Menge" zahlt man drauf

von Vanessa Sky am 23.02.2017 um 16:47 Uhr

Die Kostenbeteiligung der Krankenkassen ist ein Witz. Wir pflegen selber zu Hause (Pflegegrad 5). Die Krankenkasse hat ohne Begründung die Kostenbeteiligung für Inkontinenzversorgung von 62,10€ pro Monat bis August 2016 auf 20,90€ gesenkt. Die Apotheke war diejenige, die uns dies mit Bedauern mitgeteilt hat.
Unsere zu Pflegende benötigt zwei Windeln am Tag. In einer Packung sind 26 Windeln bei einem Preis von 17,99€. Mit einer Packung Windeln im Monat kommen wir nicht weit und müssen auch selber dazu zahlen. Die Marke, die wir benutzen, wird im Artikel nicht getestet, aber mit der Passform und Saugkraft sind wir sehr zufrieden

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