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Die SPD mit Hilde Mattheis auf der Jagd nach dem Zeitgeist – kann das gut gehen? Ein fettes Veto zum Rx-Versandverbot vom Finanzminister – das geht nicht gut. Die Apotheken-Landlust mit mehr Maloche und weniger Knete – so sieht’s aus. Ein Gutachten, das alles retten könnte – Pflichtlektüre für Versandapostel. Und die ABDA macht sich ihren Medienkanal selbst mit dem Medien-Bypass: Ein Newsroom mit den Fakten und nichts als den Fakten - oh Gott, wie wir darauf gewartet haben!
20. März 2017
Große Teile der SPD sind zu einer „Gruppe von Bedenkenträgern“ mutiert, die dem Wettbewerbsgedanken auf den Leim gegangen sind – sagte der schleswig-holsteinische Kammerpräsident Gerd Ehmen. Recht hat er! Und er fragte: „Was hat die Politik in der Vergangenheit falsch gelenkt oder versäumt, dass jetzt ausländische Discounter die vermuteten Lücken füllen sollen?“ Gute Frage. Mein liebes Tagebuch, man könnte auch fragen, was hat unsere Standespolitik versäumt, dass die Politik glaubt, ausländische Discounter seien notwendig? Warum hofiert die SPD den (ausländischen) Versandhandel und kriecht vor ihm zu kreuze? Sieht die SPD die Apotheken als reine Distributeure? Ist das die Messias-Martin-Schulz-Politik, die sich für „die hart arbeitende Mitte“ Deutschlands einsetzen will?
Sogar Adexa, die Apothekengewerkschaft, hadert mit der SPD! Der Adexa-Vorsitzende Andreas May spricht Tacheles mit den Sozen: „Wer multinationalen Konzernen Tür und Tor öffnet, die bewährte niederschwellige Arzneimittelversorgung zerstört und Tausende an Arbeitsplätzen gefährdet, ist als sozialdemokratischer Partner nicht ernst zu nehmen.“ Richtig, so sieht’s aus. Statt sich für familienfreundliche Arbeitsplätze und für wohnortnahe persönliche pharmazeutische Beratung stark zu machen, hechelt diese Partei dem Zeitgeist hinterher: Versand, Versand über alles, auch aus dem Ausland! Mein liebes Tagebuch, katastrophal, wie scheinheilig diese Partei ist, wie weit es gekommen ist.
21. März 2017
Das ist Deutschlands Apotheken-Landlust: Mehr Notdienste mit weniger Kunden und mehr Botendienste. Apotheken in kleinen Orten leisten einen überdurchschnittlichen Beitrag zur flächendeckenden Versorgung, aber ohne davon wirtschaftlich so richtig zu profitieren – zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Kölner Instituts für Handelsforschung. Mein liebes Tagebuch, der Titel dieser Studie bringt’s auf den Punkt: „Die Apotheke vor Ort – oft unterschätzt und doch unersetzlich“. Aber SPD und die Grünen scheinen dies nicht würdigen zu wollen: Selbst wenn es immer weniger Landapotheken gibt, ist das für die Sozen kein Problem, denn die Versandhändler, allen voran die ausländischen Versender, können doch die Versorgung übernehmen. Bitter ist das, mein liebes Tagebuch, sehr bitter. Statt alles zu tun, dass Landapos auch weiterhin eine Existenz haben, kämpfen SPD und Grüne mit abstrusen Argumenten fürs Großkapital der Versandunternehmen, nehmen den kleinen inhabergeführten Betrieben ihre wirtschaftliche Grundlage und muten den Patienten weite Weg zu oder zwei Tage lang zu warten, bis das Päckchen aus Holland kommt. Weil Versandhandel Zeitgeist ist, wie die SPD so schön sagt. Hanebüchen ist das, mein liebes Tagebuch.
22. März 2017
Mein liebes Tagebuch, hörst du es, wie es scheppert? Bei den Grünen! Sie biegen sich die Argumente pro Versandhandel zurecht. Es tut weh, sehr weh. Kordula Schulz-Asche meint sogar, dass die Herausforderungen der Arzneimittelversorgung komplexer seien, als dass ihnen durch ein „Verbot von Versandapotheken“ mit ihrem einprozentigen Marktanteil bei Rx-Medikamenten hinreichend begegnet werden könnte. Hallo, Grüne KSA, kein Mensch will die geliebten Versandapos verbieten! Und selbst wenn das „nur“ ein Flüchtigkeitsfehler bei der Super-Argumentationskette gewesen sein sollte: Die Sache mit dem einprozentigen Marktanteil ist sowas von daneben. Das mag vielleicht für den Augenblick gelten, aber wenn der Wettbewerb entfesselt ist, dann geht dieser Marktanteil rasant nach oben – und die Zahl der Vor-Ort-Apotheken in den Keller. Und was soll eine Höchstpreisregelung? Wenn Vor-Ort-Apotheken in diesen Wettbewerb einsteigen, ist das ihr Ruin. So schützt man keine einheimischen Apotheken! Das einzige, was bei solchen Argumenten tröstet: Wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre, hätten die Grünen magere 8 Prozent und wären auf dem Niveau der Linken.
So tickt die SPD: Sie möchte die flächendeckende Arzneimittelversorgung stärken und kleine Landapotheken erhalten, sagte die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion Hilde Mattheis auf dem parlamentarischen Abend der baden-württembergischen Apotheker in Berlin. Aber die SPD ist weiterhin gegen ein Rx-Versandverbot; sie will stattdessen eine Lösung über das SGB V finden. Mein liebes Tagebuch, da kann sie lange suchen. Es gibt sie nicht! Bisher hat diese Partei nichts Brauchbares vorgelegt. Aber die beiden abstrusesten Argumente von SPD-Mattheis sind diese: „Es ist alleine dem Zeitgeist geschuldet, dass wir den Rx-Versandhandel nicht einfach abschaffen können. Aber auch aus Versorgungsaspekten wollen wir nicht auf den Versandhandel verzichten.“ Mein liebes Tagebuch, sie ist dem Zeitgeist verfallen, sie läuft dem Zeitgeist hinterher! Unglaublich! Nur weil sie glaubt, der Zeitgeist will alles über den Versandhandel – genau das ist der Irrglaube der SPDler. Verschreibungspflichtige Arzneimittel sind aber keine Zeitgeistwaren, die man mit dem Paketdienst verschickt. Warum wollen das die Sozen nicht verstehen? Und den Versandhandel wollen wir doch gar nicht verbieten, wir wollen ihn nur auf nicht-verschreibungspflichtige Arzneimittel beschränken. Und was die Versorgungsaspekte betrifft: Dafür ist der Versandhandel in Deutschland überhaupt nicht notwendig. Wir haben 20.000 Apotheken, und dort, wo der Weg ein wenig weiter zur Apotheke ist, kommt der Apothekenbote und es gibt sogar Rezeptsammelstellen. Nur so für die SPD als Merksatz: Man stelle sich mal vor, ab morgen gäbe es keine einzige Versandapo mehr – was würde dann passieren? Nichts! Rien, niente! Jeder Bürger Deutschlands wird ordnungsgemäß mit Arzneimitteln versorgt – wie es sich gehört. Und der Zeitgeist kann uns mal.
Der Gesundheitsökonom Professor May, die Politikwissenschaftlerin Bauer und der Jurist Dettling haben ein Gutachten im Auftrag der Noweda und des Deutschen Apotheker Verlags verfasst, in dem sie Folgeszenarien nach dem EuGH-Urteil durchspielen: Wenn der Gesetzgeber nichts tut, wenn die Arzneipreisbindung aufgehoben wird, wenn in Deutschland ein „sanfter Preiswettbewerb“ mit beschränkten Boni zugelassen wird. Diese drei Szenarien sollten sich alle, die für den unbeschränkten Versandhandel sind und dem Zeitgeist hinterher jagen, genau ansehen: Was nach diesen Szenarien zu erwarten ist, sind verheerende Auswirkungen auf die flächendeckende Versorgung. Die Gutachter belegen das mit Daten und Zahlen. Alle Gegner des Rx-Versandverbots können hier schwarz auf weiß nachlesen: Ein freier Preiswettbewerb bei Rx-Arzneimitteln führt nicht zu einer besseren und kostengünstigeren Versorgung. Für die Gutachter liegt daher die Reaktion des Gesetzgebers, ein Rx-Versandverbot durchsetzen zu wollen, auf der Hand. Mein liebes Tagebuch, nach diesem Gutachten kann sich die SPD-Riege Mattheis, Dittmar, Franke und Lauterbach eigentlich nicht mehr herausreden.
23. März 2017
Während also Hilde Mattheis von der SPD-Bundestagsfraktion in Berlin den Zeitgeist beschwört und glaubt, der Versandhandel sei unter Versorgungsaspekten wichtig, denkt man auf Landesebene vollkommen anders: Die rot-grüne Landesregierung und die Düsseldorfer SPD-Fraktion unterstützen das Gesetzesvorhaben von Bundesgesundheitsminister Gröhe, den Rx-Versandhandel zu verbieten. NRW-SPD-Familienministerin Kampmann will ein Rx-Versandverbot. Mein liebes Tagebuch, diese Diskrepanz zwischen Land und Bund ist schon seltsam. Woran liegt das? Ist man in den Ländern besser geerdet? Könnte da nicht die NRW-Landesvorsitzende der SPD, Hannelore Kraft, der SPD in Berlin mal die Leviten lesen? Oder ist sie auch dem Messias verfallen? Klaus Michels, Chef des Apothekerverbands Westfalen-Lippe, fordert, dass Kraft ihren Einfluss auf die Bundes-SPD „zum Schutz des deutschen Apothekensystems“ geltend machen soll. Einen Versuch ist es allemal wert.
Noch ein Ministerium – schon das dritte – gegen das Rx-Versandverbot! Nach dem Justiz- und Wirtschaftsministerium legt nun auch das Bundesfinanzministerium sein Veto ein: Der Finanzminister Schäuble hat europarechtliche und fiskalische Bedenken. Er sieht Risiken für den Bundeshaushalt vor dem Hintergrund der Frage, ob das Verbot mit dem EU-Recht vereinbar sei, und zitiert das König-Gutachten des Versandapothekenverbands (Deutschland würde sich mit dem Verbot einer EU-rechtlichen Staatshaftung aussetzen). Drei Ministerien dagegen – mein liebes Tagebuch, bei allem Optimismus, das ist ein echter Dämpfer. Ein Vorschlag: Das Finanzministerium sollte unbedingt das Gutachten von May, Bauer und Dettling lesen!
Ein Landgericht, das Lüneburger, entschied, dass ein Apotheker durchaus Wertgutscheine über 50 Cent an seine Kunden verteilen darf, selbst wenn sie ein Rezept einlösen und somit verschreibungspflichtige Arzneimittel erwerben. Das sei kein Verstoß gegen die Preisbindung, da so ein Wertgutschein in etwa so zu bewerten sei wie Papiertaschentücher oder Hustenbonbons.
Oh, fein mein liebes Tagebuch, ich sehe schon den nächsten schlauen Kollegen, der seinen Kunden bei Abgabe eines Rezepts eine Apotheken-Wundertüte in die Hand drückt – gefüllt mit dem Wertgutschein, Papiertaschentüchern, Hustenbonbons, einer Kundenzeitschrift, einer Mini-Handcreme und einem Taler für Ofenkrustis, mit freundlicher Empfehlung, Ihr 50-Cent-Apotheker.
24. März 2017
Ist ja nett, ist ja fein, dass unsere ABDA die Kommunikationsarbeit ausbauen will. Man liegt ja nicht falsch, wenn man, hypervorsichtig formuliert, hie und da ein wenig Kommunikationsmangel diagnostiziert. Oder im Klartext: Das ist bitter nötig! Aber, mein liebes Tagebuch, jetzt übertreibt unsere ABDA gleich wieder: Sie will einen „Newsroom“ schaffen. Oh Gott, oh Gott, was ist das denn? ABDA und Newsroom – wie muss man sich das vorstellen? Ist das dann so, als würde der Bundesnachrichtendienst twittern? Also, mein liebes Tagebuch, nicht wirklich. Und sicher ist ein ABDA-Newsroom kein kleines Zimmerchen mit Eckbank, Plüschkissen und Alfi-Kanne mit Kräutertee auf dem Tisch. Nein, Newsroom ist ein abgehobener Begriff für einen virtuellen „Raum“. Oder wieder im Klartext: Es soll bald neue ABDA-Internetseiten als Nachrichtenportal geben, die ein neuer Redakteur, ein Ex-Rundfunkmoderator, betreut. Der stellt dann die Nachrichten auf die Seite, die Schmidt, Schmitz, Becker, Kiefer und Co. abgezeichnet haben, Motto: „Was heute bei uns passiert“. Wie meinst du, mein liebes Tagebuch? Du meinst, die Seiten werden dann aber „dünn“ ausfallen? Und wofür braucht man da einen Rundfunkmoderator? Jetzt bist du aber echt gemein, mein böses Tagebuch. Na ja, vielleicht soll der Rundfunkmensch dann auch noch ein bisschen Hitparade spielen oder Entertainment machen: Glücksspiele, Talkrunden und so. Ach ja, Livestreams von ABDA-Veranstaltungen sollen auch in den Newsroom gestellt werden. Der erste Spatenstich zur neuen Berliner ABDA-Residenz hätte so ein prickelnder Livestream sein können. Vielleicht gibt es auch eine Webcam, die jede Minute ein neues Bild vom Baufortschritt zeigt. Mensch, da tut sich doch endlich mal was! Ja, und dann sollen mit dem Newsroom auch Themenschwerpunkte und die Transparenz gefördert werden. Totale Transparenz! Super, oder? Aber das Schärfste kommt noch: Mit ihrem eigenen Nachrichtenportal will die ABDA einen „Medien-Bypass“ schaffen, sprich die Informationshoheit gegenüber der pharmazeutischen Fachpresse zurückgewinnen. Also, es ist doch heute so, dass alle echt interessanten Nachrichten aus den ABDA-Circles z. B. auf DAZ.online und Apotheke adhoc stehen – und nicht bei abda.de oder aponet.de oder im ABDA-Newsletter. Das soll sich nun ändern, meint die ABDA, mit dem Newsroom. Wird sich aber nicht ändern, meint mein liebes Tagebuch, denn das widerspräche der Arbeitsweise einer freien Presse. ABDA und Newsroom, das ist dann so, wie wenn Trump seine eigene Zeitung machen würden und sagt, das seien die Fakten. Und was Fakten bei Trump sind, wissen wir.
13 Kommentare
Online Beschränkungen, nur bei den doofen Deutschen nicht
von Karl Friedrich Müller am 27.03.2017 um 6:58 Uhr
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Kommenden Mittwoch wird es ernsthaft...
von Ulrich Ströh am 26.03.2017 um 20:28 Uhr
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SPD
von frank ebert am 26.03.2017 um 18:11 Uhr
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Guten Morgen, meine Lieben !
von gabriela aures am 26.03.2017 um 11:10 Uhr
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AW: Guten Morgen, meine Lieben ... ja ...
von Christian Timme am 26.03.2017 um 11:31 Uhr
Von Oldsroom, Stents und einem Zeitgeistjahr für Amazon ...
von Christian Timme am 26.03.2017 um 10:45 Uhr
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Untergang
von frank ebert am 26.03.2017 um 10:02 Uhr
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So sehen Verlierer aus!
von Ulrich Ströh am 26.03.2017 um 9:04 Uhr
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@ Anita Peter
von Thesing-Bleck am 26.03.2017 um 9:03 Uhr
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Oh man-o-man, was für ein Desaster!
von Thesing-Bleck am 26.03.2017 um 8:22 Uhr
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AW: Oh man-o-man, was für ein Desaster
von Anita Peter am 26.03.2017 um 8:45 Uhr
Verrückt ist der, der immer die gleichen Dinge tut, aber andere Ergebnisse erwartet
von Martin Didunyk am 26.03.2017 um 8:20 Uhr
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Namensänderung
von Anita Peter am 26.03.2017 um 7:51 Uhr
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