POP-Seminar

„Noch nie ein Retax wegen pharmazeutischer Bedenken“

Bonn - 31.03.2017, 16:30 Uhr

Apotheker Christian Schulz ist als Referent ein alter INTERPHARM-Hase. Hier bei seinem Vortrag im vergangenen Jahr. (Foto: A. Schelbert)

Apotheker Christian Schulz ist als Referent ein alter INTERPHARM-Hase. Hier bei seinem Vortrag im vergangenen Jahr. (Foto: A. Schelbert)


Die Angst einiger Kollegen vor Retaxationen, wenn sie pharmazeutische Bedenken geltend machen, ist laut Apotheker Christian Schulz unbegründet. Er habe noch nie von einem Retax deswegen gehört, erklärte er in seinem Vortrag auf der INTERPHARM, in dem er außerdem die Medikationsanalyse mit Keller aufräumen verglich. 

Bereits 1113-mal hat Apotheker Christian Schulz andere Apotheker gefragt, ob ihnen schon jemals ein Retax wegen pharmazeutischer Bedenken zu Ohren gekommen sei. Und 1112-mal war die Antwort „nein“. Die Retaxation, von der berichtet wurde, erfolgte aufgrund von Verstößen gegen den Rahmenvertrag – die Begründung fehlte. Die pharmazeutischen Bedenken seien das Instrument der Apotheker der „Rabattitis maligna“ der Krankenkassen, also dem Sparwahn, etwas entgegenzusetzen, erklärte Schulz in seinem Vortrag auf der INTERPHARM. „Die Sonderziffer haben wir uns erstritten, die sollten wir nutzen“, appellierte er an die Kollegen. Ganz wichtig dabei: die Begründung. Die müsse pharmazeutisch sein, nicht emotional, betonte Schulz. „Schwieriger Patient“ oder Ähnliches sind in seinen Augen keine Option.

Das Problem ist laut Schulz  „die vereinfachte Weltsicht der Gesundheitsbürokraten“, also das SGB V. Dort würden nämlich die Unterschiede der jeweiligen Darreichungsformen kaum berücksichtigt. „Gleicher Wirkstoff, gleiche Wirkstärke = austauschbar. Hauptsache man spart Geld. “ So ist nach Schulz´ Ansicht die Devise. Die Schwierigkeiten des Präparatewechsels veranschaulichte Schulz am Beispiel von COPD-Patienten, denen sich der ganze erste Block beim POP-Symposium widmete. Denn unter Umständen müsse im Rahmen eines Rabattvertrags der gewohnte Inhalator gegen einen anderen getauscht werden. Bei vielen Menschen könne dies zu Schwierigkeiten führen, zum Beispiel weil sie schlecht sehen oder aufgrund von rheumatischen Beschwerden Probleme beim Handling haben, erklärte Schulz. Sein Rat lautet daher: „Im Zweifel immer pharmazeutische Bedenken.“

„Bei Bedarf ist viel zu schwammig"

Ein weiteres Problem bei dieser Patientengruppe, das Schulz ansprach, war die Bedarfsmedikation. Bei COPD-Patienten ist das oft ein kurzwirksames Beta-Sympathomimetikum. Die Angabe „bei Bedarf“ ist seiner Ansicht nach hochproblematisch. „Viel zu schwammig“, kritisiert der Apotheker. „Oder haben Sie schon mal ein Straßenschild gesehen, auf dem stand: ‚Fahren Sie so schnell, wie Sie es für angemessen halten‘? Wohl eher nicht“. Da gebe es auch immer konkrete Angaben und genau das benötigten Patienten auch. Er belegt dies auch mit einer Geschichte aus dem eigenen Umfeld. Seine Großmutter habe nach 17 Hüben Salbutamol am Tag Herzrasen bekommen. Schuld waren aber ihrer Ansicht nach die Herztabletten, die wirkten nämlich nicht. So entstehen Verschreibungskaskaden, konstatierte er. Mit solchen Dingen gelte es im Rahmen einer Medikationsanalyse aufzuräumen. Im Falle der Großmutter ist das natürlich geschehen. Medikationsanalyse ist nach Schulz Ansicht ohnehin ein bisschen wie aufräumen – und zwar den Keller. „Viel Arbeit, man hat da im ersten Moment nicht wirklich Lust drauf. Aber es lohnt sich, weil am Ende ist dann alles schöner.“


Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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