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Eigentlich gar nicht so schlecht, die neue ABDA-Kampagne gegen Rx-Versand, nur: Warum kommt die erst jetzt? Weiterkämpfen heißt die Devise, auch in der Union. Wenn’s denn hilft. Und warum traut man dem Apotheker nicht mal zu, ein Arzneimittel auszutauschen? Schlimm! Außerdem: Ein bisschen Spaß darf sein - der DocMorris-Versuch, die digitale Welt nach Hüffenhardt zu bringen. Der „Apothekenautomat“ - vorgestern geöffnet, heute geschlossen, game over.
18. April 2017
Uns Apothekern traut man nichts zu. Mein liebes Tagebuch, was da im Zusammenhang mit dem Rückruf des Fastjekt-Autoinjektors hochgeschwappt ist, zeigt uns wieder einmal, dass wir nur stur ausführende Handlanger sein dürfen. Eigentlich könnte der Sachverhalt simpel sein: Chargenrückruf, Patient bringt defektes Produkt in die Apotheke zurück, Apotheker tauscht das Produkt gegen neues, funktionierendes Produkt aus – fertig ist der Lack. Von wegen, mein liebes Tagebuch, da kennst du unsere deutsche Superbürokratie nicht. Ein neues Rezept wird fällig! Fastjekt ist verschreibungspflichtig, ergo Abgabe nur gegen Rezept. Zwar hatte der Patient schon mal ein Kassenrezept vorgelegt und – sein Pech – einen kaputten Injektor erhalten, jetzt muss er sich sogar ein Privatrezept besorgen quasi als Legitimation, dass er das Produkt nochmal bekommen darf. Und der Apotheker muss das dem Patienten erklären: „Lieber Patient, ich habe Dir zwar vor drei Wochen gegen Rezept den Autoinjektor abgegeben, aber ich muss mich jetzt ganz dumm stellen: Wenn wir das Produkt jetzt austauschen sollen, musst Du Dir ein neues (Privat-)Rezept besorgen. Ich bin zwar studierter Arzneimittelfachmann, aber das Bundesgesundheitsministerium traut mir den Austausch ohne neues Rezept nicht zu.“ Mein liebes Tagebuch, ja geht’s noch? Das ist doch das Allerletzte! Da ist Handlungsbedarf! Höchste Zeit, dass wir einen Vorstoß zur Kompetenzerweiterung vornehmen, mit der wir mehr Verantwortung übernehmen können. Nachdem der Kampf um das Rx-Versandverbot erstmal auf Eis liegt, sollte die ABDA die freiwerdenden Ressourcen nutzen und sich für Bürokratieabbau und mehr Verantwortung für Apotheker einsetzen. Auch das sind traurige Baustellen!
Zur Rose, der Schweizer Mutterkonzern von DocMorris, schreibt zwar rote Zahlen und ist von satten Gewinnen noch ein paar Millionen Fränkli entfernt, zeigt sich aber wild entschlossen, weiter in die Zukunft zu investieren. Amazon und seine Algorithmen sind das Vorbild. Zur-Rose-Chef Oberhänsli träumt davon, seinen Kunden aufgrund schon getätigter Käufe andere Produkte zu empfehlen. Bei Amazon geht das zum Beispiel so: „Mometa Hexal wird oft zusammen gekauft mit Lorano“. Und mit BigData will er dann auch den Krankheitsverlauf seiner Kunden besser vorhersehen können. Und das könnte dann eines Tages so oder ähnlich aussehen: „Lieber Kunde, als Allergiker sollten Sie aufpassen, kein Asthma oder COPD zu bekommen. Und wenn doch, schicken Sie uns Ihr Rezept.“ Herrn Oberhänsli sind da allerdings die vielen gesetzlichen Restriktionen ein Dorn im Auge – trotz des EuGH-Urteils. Und ja, es gibt immer noch kein E-Rezept! Die Digitalisierung der Rezepte könnte auch den Online-Handel beflügeln, meint der Zur-Rose-Chef. Genau, mein liebes Tagebuch, darauf warten die Versender doch sehnlichst! Heute ist für viele Patienten der Gang zum Briefkasten noch ein limitierender Faktor, das Rezept zum Versender zu schicken. Später mal, wenn das elektronische Rezept auf der Karte gespeichert ist, steckt es der Patient in sein Kartenlesegerät zu Hause, wählt seine Lieblingsversandapo aus und nach zwei Tagen, wenn er Glück hat schon nach einem Tag, klingelt der Postbote. Das könnte Herrn Oberhänsli gefallen.
19. April 2017
Aber uns Apothekers nicht. Von wegen Postbote und Arzneimittel! Jetzt erst recht, sagt sich die ABDA und haut eine Anti-Versandhandel-Kampagne raus. Das Rx-Versandverbot ist zwar erstmal gescheitert und liegt auf Eis, aber Stimmung gegen den Rx-Versandhandel tut ja immer gut und kann vielleicht ein zukünftiges Gesetz unterstützen – könnte die Botschaft nach innen sein. Mein liebes Tagebuch, ehrlich gesagt, diese Plakat-Kampagne, die einen „richtig guten Postboten“ zeigt, der „aber kein Apotheker“ ist, hätte ich mir von Januar bis März gewünscht. Aber jetzt? Bis das Thema Rx-Versandverbot wieder in die Medien kommt – vielleicht nach der Wahl im September oder später –, erinnert sich kein Mensch mehr an den richtig guten Postboten Jens auf den ABDA-Plakaten. Und dass die Kampagne über die Zeit bis in den Herbst befeuert wird, dafür dürfte das Geld fehlen. Mein liebes Tagebuch, ist wieder alles gut gemeint, aber…
Glaubt Gröhe noch an das Rx-Versandverbot? Aber klar doch, mein liebes Tagebuch. Auch wenn wir Apothekers nach einer eingehenden Plausibilitätsprüfung nicht mehr dran glauben (können) – Gröhe wäre ein schlechter Bundesgesundheitsminister, wenn er nicht hinter seinem Gesetz stünde. Er zeigt sich noch immer kämpferisch, obwohl die SPD-Bundestagsfraktion, zwei SPD-Ministerien (Justiz und Wirtschaft) und ein CDU-Ministerium (Finanzen) nichts vom Rx-Versandverbot halten, es blockieren und Bedenken tragen. Nach Aussage des Gröhe-Ministeriums will man aber auch nach dem Scheitern „weitere Gespräche“ führen. Mein liebes Tagebuch, da fragt man sich, mit wem eigentlich? Wer von den SPD-Gesundheitspolitikern möchte da noch drüber reden? Aber o.k., machen wir weiter. Wie war das doch gleich mit dem Weltuntergang und dem Apfelbäumchen?
20. April 2017
Nach dem EuGH-Urteil wollten sie zwar mal auswandern, unsere großen deutschen Versandapotheker, ins benachbarte Ausland. Aber das steht aktuell nicht mehr auf der To-Do-List. Unsere Versender fühlen sich zwar noch immer diskriminiert – die ausländische Konkurrenz darf Boni geben, sie jedoch nicht –, aber sie scheinen nun doch vorerst mal abwarten zu wollen: Was ergibt sich politisch? Was passiert nach der Wahl? Und überhaupt: Gegen die Preisbindung zu verstoßen und zu klagen ist immer ein Risiko, wer weiß, wie lang es dauert und was dabei herauskommt. Mein liebes Tagebuch, gut so. Ein bisschen Vernunft tut jetzt allen gut. Also, keep calm and carry on (sagte damals schon ABDA-Justiziar-Tisch).
21. April 2017
Mein liebes Tagebuch, es ist wirklich rührend, wie sich nun einzelne Unions-Politiker(innen) noch für uns Apothekers ins Zeug legen: Sie glauben allen Ernstes, das Rx-Versandverbot könnte in dieser Legislaturperiode noch kommen. Maria Michalk, die gesundheitspolitische Sprecherin der Fraktion, sagt im Interview mit DAZ.online, sie habe „noch etwas Hoffnung“. Gespräche mit der SPD, die das Gesetzesvorhaben blockierte, gebe es immer noch, fragt sich nur, ob was dabei herauskommt. Das ist wirklich tapfer, aber ehrlich gesagt, es wäre das achte Weltwunder. Was Frau Michalk auch befürworten würde, wäre das elektronische Rezept. Sie glaubt, dass auch stationäre Apotheken Vorteile durch das E-Rezept hätten, denn: Der Arzt könnte dem Apotheker das Rezept auf den Rechner schicken, und die Apotheke das Rezept schon vorbereiten. Tja, wunderbar. Wie sieht’s da mit der freien unbeeinflussten Apothekenwahl aus? Mit Kungeleien zwischen Ärzten und Apothekern?
Oh, das war schon ’ne besondere Nummer in dieser Woche, hatte die Spannung eines Vorabendkrimis: Schon lange angekündigt machte der niederländische Versender DocMorris sein Vorhaben tatsächlich wahr und eröffnete in der 2000 Seelen-Gemeinde Hüffenhardt im Neckar-Odenwald-Kreis sein Arzneimittelabgabeterminal mit Videoberatung. Und 48 Stunden später war der Spuk schon wieder vorbei, die Behörde war vor Ort und hat den Laden geschlossen. Das Ereignis schaffte es in Baden-Württemberg sogar in die Abendnachrichten von Funk und Fernsehen: „Doc Morris muss Apotheken-Automaten schließen.“ War alles nur ein PR-Gag? Es gibt Stimmen, die das vermuten. Allerdings, irgendwie scheint da auch eine gehörige Portion Ernst dabei gewesen zu sein, wenn man bedenkt, welcher Aufwand dahintersteckt. Renovierung von Räumen, Installation und Befüllung eines Kommissionierers, Aufbau eines Bezahlterminals, Einbau und Entwicklung von Hard- und Software, Aufbau einer stabilen und sicheren Online-Verbindung ins niederländische Heerlen. Und der juristische Überbau, mit dem man versuchte, das Unterfangen mit dem deutschen Apothekenrecht kongruent zu machen. Das ging dann etwa so: Eigentlich werden in den Räumen nur Arzneimittel gelagert. Dass der Patient nach der Tele-Videoberatung seine Arzneimittel gleich mitnehmen kann, ist eigentlich so was wie Versand, denn – und jetzt kommt’s – der beratende Kollege in Heerlen drückt dort im Ausland auf den Knopf und löst damit in Hüffenhardt die Arzneimittelausgabe des Kommissionierers aus. Dumm nur, dass sich die Beamten des Regierungspräsidiums davon nicht überzeugen ließen. Mein liebes Tagebuch, natürlich fragt man sich, ob DocMorris allen Ernstes glaubte, dass das so durchgeht. Vermutlich steckt das in der DNA dieses Versenders: Wir machen es einfach und schauen, was dabei herauskommt. Gelang allerdings nie wirklich, z. B. damals, als DocMorris mit ministerialer Unterstützung seine Fremdbesitz-Apotheke in Saarbrücken eröffnete. Oder als der kleine DocMorris-Bus durch die Lande fuhr. Und jetzt die Videoberatung mit Abgabeterminal. Wie geht’s weiter? Vermutlich wird der Versender noch ein bisschen die Anwälte und Gerichte beschäftigen und versuchen, das Hüffenhardt-Konzept zu reanimieren. Aber, mein liebes Tagebuch, wie viele Bewohner des beschaulichen Dörfchens hätten sich in die Videoberatung begeben, Datenschutzerklärungen ausgefüllt und vor einen Bildschirm gehockt, um mit einem Tele-Apotheker zu plaudern? Die nächste Live-Apotheke ist 5 km entfernt. Und bringt’s sogar nach Hause.
9 Kommentare
Doc Morris Maschine
von Dr.Diefenbach am 24.04.2017 um 8:32 Uhr
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AW: Märtyrer
von Christian Giese am 24.04.2017 um 10:59 Uhr
Hueffenrose und Antipostkampagne
von Dr.Mauz am 23.04.2017 um 19:35 Uhr
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Hüffenrath: Mal der Realität ins Auge sehen
von Wolfgang Müller am 23.04.2017 um 15:47 Uhr
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RX-Versandverbot
von Dr. Radman am 23.04.2017 um 11:27 Uhr
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Ohnmacht...?
von Gunnar Müller, Detmold am 23.04.2017 um 10:56 Uhr
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Die eigene Zukunft wird auch in Zukunft nicht vom Himmel fallen ...
von Christian Timme am 23.04.2017 um 10:03 Uhr
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Das Spiel ist schon abgepfiffen!
von Ulrich Ströh am 23.04.2017 um 9:41 Uhr
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Doc Morris
von Frank Ebert am 23.04.2017 um 8:48 Uhr
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