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Besser Reinstoffe oder Extrakt
Cannabisblüten – ein therapeutischer Rückschritt?
Das sogenannte Cannabis-Gesetz wurde in den Medien gefeiert. Aus pharmazeutischer Sicht hingegen ist die Anwendung einer Ganzdroge sehr kritisch zu sehen – zumal Reinsubstanzen zur Verfügung stehen. Und auch einige Behandler sehen die Möglichkeit, Cannabisblüten zu verordnen, nicht wirklich als therapeutischen Fortschritt.
Pharmazeuten, Ärzte und Vertreter der Aufsichtsbehörde, des NRF und der Pharmaindustrie befanden sich unter den Experten, die die deutsche Pharmazeutische Gesellschaft und das House of Pharma am gestrigen Montag nach Frankfurt eingeladen hatte. Thema der Diskussionsrunde war „Cannabis als Arzneimittel“. Dabei kristallisierte sich schnell heraus, dass die Möglichkeit, Cannabisblüten auf Rezept zu verordnen, eher dem gesellschaftlichen Druck geschuldet war als einer therapeutischen Notwendigkeit. Zumindest die anwesenden Therapeuten, die über viele Jahre Erfahrung bei der Behandlung mit Cannabinoiden verfügen, kamen mit den bislang verfügbaren Wirkstoffen in den meisten Fällen aus. Sie sehen in der zusätzlichen Option, die sie durch die Blüten jetzt haben, keinen Vorteil.
Warum sie das so sehen? Einmal ist es die fehlende Dosiergenauigkeit bei Anwendung der Ganzdroge. Denn in der Regel wird bei einer Therapie mit Cannabinoiden langsam auftritiert und dann mit der niedrigsten möglichen Dosis therapiert. Das gelinge mit rezepturmäßig hergestellten Dronabinol-Kapseln hervorragend, erklärte eine Ärztin, die seit 17 Jahren Patienten mit Cannabinoid-haltigen Arzneimitteln behandelt. Damit ließen sich sogar Kinderdosierungen realisieren.
Wenig spricht gegen den Einsatz von Reinsubstanzen
Und auch die anwesenden Pharmazeuten hielten nichts vom therapeutischen Einsatz einer ganzen Droge. Es grusele ihn, erklärte Professor Henning Blume, der die Veranstaltung moderierte. Eine ganze Droge einzusetzen, ist tatsächlich in der modernen Medizin nicht mehr sehr verbreitet. In der Regel kommen standardisierte Extrakte zum Einsatz oder sogar Reinsubstanzen, die dann in vielen Fällen sogar synthetisch hergestellt werden. Insbesondere bei Drogen mit hochwirksamen Inhaltsstoffen wie Papaver somniferum oder Digitalis-Arten spielen die Pflanzen selbst oder ihre Extrakte in der Praxis so gut wie keine oder gar keine Rolle mehr. Hier kommen mit Ausnahme der Opiumtinktur nur noch die reinen, in der Regel synthetisch hergestellten Wirkstoffe zum Einsatz.
Ein einziges Argument spreche unter Umständen gegen einen alleinigen Einsatz von Reinsubstanzen: Bei Phytopharmaka sei in der Regel der Gesamtextrakt der Wirkstoff, erklärten die Experten. Konkret bedeute das, dass nicht nur die Leitsubstanzen, im Falle von Cannabis sind das Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannbidiol (CBD), für die Wirkung verantwortlich sind, sondern auch andere Begleitstoffe. Diese können beispielsweise die Resorption verbessern. Bei Cannabis ist den Experten zufolge diesbezüglich noch großer Forschungsbedarf. Ansonsten spreche aber nichts gegen den Einsatz der Reinsubstanzen und sogar den Einsatz entsprechender Fertigarzneimittel, erklärten sie. Letzteres hätte den Vorteil, dass Studien durchgeführt werden müssten. Und derer bedarf es nach Ansicht der Teilnehmer dringend. Die Evidenz für Cannabis sei maximal moderat, in vielen Anwendungsgebieten sogar noch schlechter.
Blüten haben schwankenden THC-Gehalt
Dazu kommt: Cannabisblüten sind nicht gleich Cannabisblüten. Die verschiedenen Sorten unterscheiden sich hinsichtlich ihres THC- und ihres Cannabidiol-Gehalts. Verordnet ein Arzt Cannabisblüten, muss er angeben, welche Sorte er gerne hätte. Die Sorte bestimmt die Qualität, so ist es festgelegt.
Aus pharmazeutischer Sicht ist das nach Meinung der Teilnehmer der Diskussionsrunde ziemlich unbefriedigend. Denn innerhalb einer Sorte könne es von Ernte zu Ernte erhebliche Unterschiede geben. Trotzdem entsprechen diese dann der Monografie. Denn die legt keine festen Ober- und Untergrenzen für den THC- und CBD-Gehalt fest. Wäre auch kaum machbar, da sich die Sorten diesbezüglich erheblich unterscheiden, es aber nicht für jede Sorte eine eigene, sondern nur eine Gesamtmonografie gibt. Dort heißt es nur, dass der Gehalt einer Charge in einem Bereich von +/- 10 Prozent des auf der Packung deklarierten Gehalts liegen muss. Viel sinnvoller wäre im Sinne einer rationalen Arzneimitteltherapie, den gewünschten Gehalt der Leitsubstanzen anzugeben. Einen konkreten Vorschlag, wie das in der Praxis umgesetzt werden könnte, blieb die Runde allerdings schuldig.
Kein Bedarf für eine schnelle Anflutung
Und auch an der Art der Verabreichung, dem Verdampfen, gab es Kritik: Zum einen sahen die Ärzte, die an der Runde teilnahmen, keinen Bedarf für eine schnelle Anflutung des Wirkstoffs, die ja bei der Inhalation erreicht wird. Vielmehr ist in ihren Augen ein gleichmäßiger Spiegel wünschenswert, wie nach oraler Aufnahme, zum Beispiel durch Dronabinol-Kapseln. Aufgrund der langen Halbwertszeit reiche oft eine einmal tägliche Einnahme. Das Motto „the flatter the better“ gelte auch in der Cannabinoidtherapie. Lediglich in Einzelfällen sehe man Bedarf für eine Kombination aus schnell- und langwirkenden Komponenten, erklärten die Therapeuten. Diesem Umstand versuche die Industrie nach eigener Aussage mit der Vermarktung schnell freisetzender Formulierung gerecht zu werden. Daher bestehe kein oder zumindest nur wenig Bedarf, Blüten zu inhalieren.
Zum anderen scheint pharmakokinetischen Daten zufolge die aufgenommene Wirkstoffmenge sehr zu variieren. Beim geübten Rauchen komme demnach deutlich mehr Wirkstoff in den Bronchien an als bei anderen, hieß es. Außerdem scheint es große individuelle Unterscheide zu geben, wie viel Wirkstoff dann tatsächlich systemisch verfügbar ist – eine Tatsache, an der der Versuch, systemisch wirksame Arzneimittel pulmonal zu verabreichen, schon mehrfach gescheitert ist. Letztendlich landet man aber also wieder beim Thema Dosiergenauigkeit.
Ärzte sehen Defizite bei der Kostenübernahme
Den einzigen, theoretischen Vorteil, den die Therapeuten im Cannabisgesetz sehen, ist die Möglichkeit der Erstattungsfähigkeit. So sei die Cannabinoid-Therapie eine Zwei-Klassen-Medizin gewesen, die man sich leisten konnte oder nicht, erklärte eine Ärztin. Doch warum nur ein theoretischer Vorteil? Das Verfahren funktioniere nicht gut, erklärte ein anderer Arzt. Obwohl der Medizinische Dienst der Krankenkassen eine Behandlung für gerechtfertigt erachtet, werde den Medizinern von einzelnen Kassen mitgeteilt, dass sie selbst entscheiden müssten, ob sie zulasten der GKV oder privat verordnen. Bei Verordnung auf ein Kassenrezept fürchteten sie daher Regresse. Die Kassen schöben also den Ärzen den schwarzen Peter zu. Aus ärztlicher Sicht sei daher eine definitive Aussage zur Kostenübernahme wünschenswert.
24 Kommentare
Genau dosierbare Reinsubstanzen helfen besser
von woewe am 14.01.2019 um 12:42 Uhr
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Einspruch
von Henning Becker am 25.05.2017 um 13:57 Uhr
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AW: Einspruch
von David Pres am 21.09.2017 um 16:26 Uhr
Studienbedarf
von Maria am 10.05.2017 um 14:41 Uhr
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AW: Studienbedarf
von David Pres am 21.09.2017 um 16:33 Uhr
Irrlehrer
von Marcin am 10.05.2017 um 10:23 Uhr
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Nicht wissenschaftlich und schon gar
von Julia Borsch /DAZ.online am 10.05.2017 um 10:07 Uhr
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AW: Nicht wissenschaftlich und schon gar
von Michael Thole am 10.05.2017 um 14:58 Uhr
AW: Nicht wissenschaftlich und schon gar
von Gordon Budhead am 10.05.2017 um 17:39 Uhr
AW: Nicht wissenschaftlich und schon gar
von Beatrix Porsch am 10.05.2017 um 21:18 Uhr
Nicht wissenschaftlich und schon gar nicht unabhängig
von Beatrix Porsch am 10.05.2017 um 9:24 Uhr
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AW: Nicht wissenschaftlich und schon gar
von Michael Thole am 10.05.2017 um 15:48 Uhr
Heilpflanzen
von Albrecht Bodegger am 10.05.2017 um 4:51 Uhr
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Suboptimal...
von Michael Thole am 09.05.2017 um 23:32 Uhr
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Sativex-Bedrocan Morbus Crohn
von andré b am 09.05.2017 um 22:46 Uhr
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AW: Sativex-Bedrocan Morbus Crohn
von Michael Thole am 10.05.2017 um 0:15 Uhr
Da haben welche Angst vor Cannabis
von D.K. am 09.05.2017 um 22:05 Uhr
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AW: Da haben welche Angst vor Cannabis
von Remo am 10.05.2017 um 12:35 Uhr
Notwendigkeit
von Hans80 am 09.05.2017 um 21:43 Uhr
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AW: Notwendigkeit
von Michael Thole am 10.05.2017 um 0:47 Uhr
Ängste...
von Martin Albrecht am 09.05.2017 um 20:32 Uhr
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Bedarf zu Inhalieren
von Julia Borsch /DAZ.online am 09.05.2017 um 17:55 Uhr
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Cannabisblüten zur Inhalation
von Jürgen Leikert am 09.05.2017 um 16:31 Uhr
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AW: Cannabisblüten zur Inhalation
von Luigi am 09.05.2017 um 20:27 Uhr
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