Multiples Myelom

Nelfinavir - ein altes Medikament und ein neues Wirkspektrum

St. Gallen / Stuttgart - 06.06.2017, 09:00 Uhr

Nelfinavir in Viracept wird bei HIV einegsetzt. Vielleicht auch irgendwann bei Multiplem Myelom. (Foto: Evaristo_Sa / dpa)

Nelfinavir in Viracept wird bei HIV einegsetzt. Vielleicht auch irgendwann bei Multiplem Myelom. (Foto: Evaristo_Sa / dpa)


Der Wirkstoff Nelfinavir wurde lange erfolgreich in der HIV-Therapie eingesetzt, bevor 2013 nach Ablauf der europäischen Zulassung der Hersteller die Produktion wegen sinkender Nachfrage einstellte. Schweizer Forscher haben nun aber bereits in einer klinischen Studie zeigen können, dass der Wirkstoff auch in einem ganz anderen Spektrum hilft – zur Therapie des Multiplen Myeloms.

20 Jahre ist es her, dass der Wirkstoff Nelfinavir (Viracept) dabei half, der durch das HI-Virus ausgelösten Immunschwäche AIDS zumindest ein wenig ihres Schreckens zu nehmen. Als Bestandteil der HAART-Therapie (highly active antiretroviral therapy) in Kombination mit anderen Wirkstoffen half das Mittel aus der Gruppe der HIV-Proteaseinhibitoren, die Viruslast zu senken und verlängerte die Überlebenszeit von HIV-Patienten deutlich. Mittlerweile allerdings gibt es andere, verträglichere und wirksamere Medikamente, so dass im Jahr 2013 der Hersteller Roche die EU-Zulassung von Viracept wegen der sinkenden Nachfrage nicht mehr verlängerte.

Nun allerdings haben Schweizer Forscher am Kantonsspital St. Gallen den möglichen Weg geebnet, der Nelfinavir eine Karriere als Arzneimittel in der Krebstherapie bereiten könnte. In einer klinischen Studie konnten die Forscher um den Leiter der Arbeitsgruppe für Experimentelle Onkologie und Hämatologie des Kantonsspitals, Professor Christoph Driessen, jetzt gemeinsam mit der Schweizer Arbeitsgruppe für Klinische Krebsforschung frühere Laborergebnisse bestätigen.

Nelfinavir überwindet Resistenzen der Myelom-Zellen

Die Forscher untersuchten dabei das Multiple Myelom, eine bösartige Entartung des Blut- und Lymphsystems, bei dessen Therapie Resistenzen gegen eingesetzte Proteasom-Inhibitoren auftreten können. „Nelfinavir kann diese Resistenz der Myelom-Zellen überwinden, so dass sie wieder ansprechbar für die Proteasom-Inhibitoren werden“, sagt Driessen. Proteasom-Inhibitoren wie etwa der Wirkstoff Bortezomib (Velcade) hemmen den als Proteasom bezeichneten Komplex aus Enzymen, der im Normalfall nicht mehr benötigte oder fehlerhafte Proteine in der Zelle abbaut. Es kommt zu einer Anhäufung von Proteinen, der unter anderem über den so genannten Weg der „Unfolded Protein Response“ (UPR) zum Zelltod durch Apoptose führt.

Im Fall von resistent gewordenen Myelom-Zellen – was die zu erwartende durchschnittliche Lebensdauer der betroffenen Patienten bislang auf unter ein Jahr senkte –, regulieren die Krebszellen die UPR herunter und reagieren nicht mehr auf die angehäuften Proteinmengen. Die Schweizer Forscher hatten bereits in früheren Laborexperimenten zeigen können, dass der Wirkstoff Nelfinavir die UPR-Stressantwort wieder heraufreguliert und damit die entarteten Zellen wieder empfindlich auf Proteasom-Inhibitoren reagieren und apoptotisch absterben.



Volker Budinger, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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