Erste Switch-Konferenz des BAH

Apotheker wollen mehr Rx-Wirkstoffe für die Selbstmedikation

Bonn - 07.06.2017, 12:00 Uhr

Experten diskutierten in Bonn zum Thema Switches: darunter DAV-Chef Fritz Becker (3. v. l.), Prof. Dr. Niels Eckstein von Hochschule
Kaiserslautern (Mitte), Dr. Elmar Kroth vom (BAH; 4. v. r.); Prof. Dr. Karl Broich vom BfArM (2. v. r.) und Ökonom Prof. Dr. Uwe May (ganz rechts). (Foto: BAH)

Experten diskutierten in Bonn zum Thema Switches: darunter DAV-Chef Fritz Becker (3. v. l.), Prof. Dr. Niels Eckstein von Hochschule Kaiserslautern (Mitte), Dr. Elmar Kroth vom (BAH; 4. v. r.); Prof. Dr. Karl Broich vom BfArM (2. v. r.) und Ökonom Prof. Dr. Uwe May (ganz rechts). (Foto: BAH)


Entlassungen von Arzneimitteln aus der Verschreibungspflicht - sogenannte Switches – stärken die Selbstmedikation und auch den Apotheker als heilberuflichen Berater. Außerdem helfen sie, Kosten zu senken. Das sind die Kernergebnisse der ersten Switch-Konferenz des Bundesverbandes der Arzneimittel-Hersteller e.V. (BAH) in Bonn. Deswegen könnten es durchaus noch ein paar mehr sein.

Bei der ersten Switch-Konferenz des Bundesverbandes der Arzneimittel-Hersteller bezeichnete der Geschäftsführer Wissenschaft des BAH, Elmar Kroth, Deutschland als Vorreiter in Sachen Switches. Im Jahr 1989 sei das Schmerzmittel lbuprofen hierzulande erstmals weltweit aus der Verschreibungspflicht entlassen worden. Als weitere „first-in-world“-Switches führte Kroth die beiden Triptane Naratripan (2006) und Almotriptan (2009) zur Migränebehandlung an. Heute reihe sich Deutschland bei den Entlassungen aus der Rezeptpflicht international betrachtet etwa im Mittelfeld ein. Führend seien die USA, Neuseeland und Australien.

Natalie Gauld, Vorstandsmitglied der Pharmazeutischen Gesellschaft von Neuseeland, laut Kroth die „Switch Queen von Down Under“, hat in ihrem Land in den letzten Jahren zehn bahnbrechende Switch-Projekte begleitet, unter anderem für Sildenafil, einige Impfstoffe und bestimmte orale Kontrazeptiva. Sie berichtet ausschließlich von guten Erfahrungen damit in der Apothekerschaft. So kämen nun mehr Männer wegen Sildenafil in die Apotheke und ließen sich dort fachkundig beraten. Demgegenüber seien die Einfuhren des Mittels gegen erektile Dysfunktion über den Versandhandel seit dem Switch deutlich zurückgegangen.

„Königsdisziplin der Pharmazie“

„Die Beratung in der Selbstmedikation ist die Königsdisziplin der Pharmazie.“ stellte der Vorsitzende des Deutschen Apothekerverbandes (DAV) Fritz Becker fest. Er glaubt, dass die Apotheker für mehr Switches bestens gerüstet sind. „Dass wir das können, haben wir mit der „Pille danach“ bewiesen.“ betonte Becker. Indikationen, die aus seiner Sicht für weitere Switches infrage kommen, sind akute Blasenentzündungen, bakterielle Bindehautentzündungen und entzündliche Hautreaktionen. Eine gemeinsame Arbeitsgruppe mit dem BAH sei bereits angedacht, in der die Apothekerschaft ihre Wunschliste mit der Industrie diskutieren und die Möglichkeiten für Anträge auf Entlassung aus der Verschreibungspflicht ausloten könne. Niels Eckstein, Professor für Regulatory Affairs an der Hochschule Kaiserslautern, hält es für äußerst wichtig, die Apotheker bei Switches immer mit ins Boot zu holen. Er fordert: „Switches niemals gegen die Apothekerschaft.“ 

Apotheke als Alternative zum Arztbesuch

Die apothekergestützte Selbstmedikation entlastet auch das Gesundheitssystem und schafft damit neue Spielräume für die Patientenversorgung, glaubt Uwe May, der an der Hochschule Fresenius eine Professur für Gesundheitsökonomie mit Schwerpunkt Pharmakoökonomie innehat. Er hält die Selbstbehandlung für stark unterschätzt. May hat ausgerechnet, dass jeder Euro über die Selbstbehandlung als Alternative 17,57 Euro spart. In einer Expertenbefragung hat der Gesundheitsökonom überdies festgestellt, dass Switches nach der überwiegenden Meinung der Befragten als Instrument zur Stärkung der Selbstmedikation ganz oben angesiedelt sind. Der therapeutische Nutzen und der gesundheitsökonomische Wert der Selbstbehandlung und damit auch der Switches hängen für ihn in hohem Maße von der Beratung und Betreuung in der Apotheke ab. Ohne die Präsenz und die Funktionen der Apotheken wäre die Selbstbehandlung in der heutigen Qualität und Quantität nicht denkbar, ist May überzeugt, und: „Die Menschen sehen die Apotheke durchaus als Alternative zum Arztbesuch.“

Switch-Verfahren heute erheblich transparenter

Das Verfahren zur Entlassung von Wirkstoffen aus der Verschreibungspflicht, das in Deutschland unter Beteiligung des BfArM und eines Sachverständigenausschusses abläuft, ist nach einhelliger Meinung der Experten aus der Industrie und der Verwaltung sowie dem Gesundheitsministerium gut und solide. Wie der Präsident des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte Karl Broich berichtete, hat seine Behörde in den letzten Jahren viel getan, um die Attraktivität von Switch-Verfahren zu erhöhen. Vor allem die Transparenz der Entscheidungen sei deutlich erhöht worden. „Früher gab es bei uns eher die Attitüde, im Zweifel sind wir dagegen.“ sagte Broich. „Heute gehen wir die Dinge ergebnisoffen an.“ Der BfArM-Präsident legte der Industrie außerdem dringend ans Herz, die Beratung, die das BfArM zu den Switch-Verfahren anbietet, zu nutzen. 

Impfen? So weit sind wir noch nicht

In einer abschließenden Diskussion, die von DAZ-Herausgeber Peter Ditzel moderiert wurde, kam bei der ersten Switch-Konferenz des BAH auch das Thema Impfen zur Sprache. In anderen Ländern wie der Schweiz, Irland oder Portugal dürfen Apotheker bereits bestimmte Impfungen verabreichen. Während ein Teil der Experten, darunter BfArM-Präsident Broich (als Privatperson) kein Problem damit hätte, sich in der Apotheke impfen zu lassen, gab sich DAV-Präsident Becker skeptisch: „Wir sind in Deutschland einfach noch nicht so weit,“ meinte er. „Da müssen wir viel stärker vorbereitet sein. Das Impfen sollte noch beim Arzt bleiben.“



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.