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Präventionsleistungen aus der Apotheke – nur wenige Kunden wollen’s, die Kassen zahlen nix und Ärzte poltern mit Selbstdispensation. Aber die ABDA will’s. Konzentrieren wir uns lieber aufs Rx-Versandverbot – auch wenn die SPD stur bleibt – und klären die Bürgerinnen und Bürger auf, was wäre, wenn’s immer weniger Apotheken gäbe. Und der Brüller der Woche: Zum Putzen vom Labortisch dürfen wir unseren Isoprop nicht mehr selbst herstellen. Aber für die Händedesinfektion. Hoch lebe die Bürokratie!
6. Juni 2017
Die Ergebnisse einer aktuellen Studie zum Thema Prävention und Apotheke, von der ABDA in Auftrag gegeben, überraschen: 75 Prozent der Befragten wünschen sich gar keine zusätzlichen Präventionsleistungen in der Apotheke. Und das letzte Viertel, das sich solche Leistungen vom Apotheker vorstellen könnte, hält allenfalls Ernährungsberatung und Angebote zur Raucherentwöhnung für sinnvoll. Ist ein bisschen ernüchternd, mein liebes Tagebuch. Gefühlt hatten viele Berufspolitiker den Apotheker sogar schon als Präventionsmanager gesehen, der irgendwann mal bei den Krankenkassen seine Präventionsberatung abrechnen kann. Nix da. Einen Dämpfer erhielt diese Vision bereits dadurch, dass das SGB V überhaupt nicht vorsieht, dass Krankenkassen mit Apothekern Verträge über pharmazeutische Dienstleistungen abschließen können: Krankenkassen dürfen den Apotheker für Vorsorgeberatungen nicht honorieren. Wenn wir Apothekers also Präventionsleistungen erbringen wollen, dann können wir das nur freiwillig tun – gegen cash vom Kunden/Patienten. So sieht’s aus. Und manchmal soll das sogar funktionieren, wenn wir es wirklich gut machen. Natürlich fordert die ABDA nun von der Politik, dass das SGB V geändert wird, damit uns die Kassen für Präventionsleistungen honorieren dürfen. Aber, mein liebes Tagebuch, was haben wir in den letzten Jahren schon für Forderungen aufgestellt… Nicht mal beim Medikationsplan sind wir dabei. Vielleicht sollte sich die ABDA da mal nicht verzetteln und sich nicht so arg auf Nebenschauplätzen austoben. Es gäbe noch so viel mehr zu tun, um allein die Kernkompetenzen des Apothekers in der Öffentlichkeit präsenter zu machen.
7. Juni 2017
Der Kampf um den Hüffenhardter Arzneiautomat geht weiter. In dieser Woche wurden drei Anträge von Apothekerinnen und Apotheker auf Erlass einer Einstweiligen Verfügung vor Gericht beraten. Sie wollen durchsetzen, dass die DocMorris-Videoberatung mit Kommissionierautomat ganz geschlossen wird: kein Rx- und kein OTC-Arzneimittel-Verkauf. Denn der Hüffenhardter Laden ist keine Apotheke und verstößt gegen das Apothekengesetz. Mitte und Ende Juni werden wir wissen, ob das Gericht den Argumenten der Apotheker folgt. Es wäre ein Politikum, wenn nicht.
Auch ein Dauerbrenner: die Apotheker-Forderung nach einem Rx-Versandverbot. So beispielsweise auf der Mitgliederversammlung des Apothekerverbands Nordrhein. Auch wenn allen Beteiligten klar ist, dass sich in dieser Legislaturperiode nichts mehr bewegen kann: Der Rx-Versand muss noch in diesem Jahr verboten werden. Mein liebes Tagebuch, auch wenn das schon vom parlamentarischen Ablauf her unrealistisch ist: Man muss es fordern. Denn diese Forderung ist unbequem für Politiker, insbesondere für die SPD-Bundestagsfraktion, die sich gleich gar nicht auf der Mitgliederversammlung hat blicken lassen. Interessant waren die Äußerungen der Grünen Gesundheitspolitikerin Maria Klein-Schmeink. Sie warf der Bundesregierung vor, während des EuGH-Verfahrens zu den Rx-Boni „zu wenig Engagement“ gezeigt zu haben: „Es ist der Bundesregierung nicht gelungen, während des Verfahrens einen Nachweis dafür zu liefern, dass die flächendeckende Versorgung an die Preisbindung gekoppelt ist.“ Mein liebes Tagebuch, was das mangelnde Engagement im Vorfeld des EuGH-Urteils betrifft, die Zusammenhänge zwischen flächendeckender Versorgung und Preisbindung mit Zahlen zu unterfüttern: da würden mir noch weitere Institutionen einfallen, die sich vor dem Urteil beruhigt zurückgelehnt und den Ernst der Lage wohl nicht gesehen hatten. Vorbei.
8. Juni 2017
Isopropanol zur Flächendesinfektion ab 1. Juli nur noch mit Zulassung – d.h., wenn eine Apotheke ihren Isoprop 70 Prozent selbst herstellen will, um damit ihren Labortisch zu desinfizieren, braucht sie eine offizielle Zulassung – die sie selbstverständlich gerne erwerben kann, wenn sie umfangreiche Wirkstoff- und Produktdossiers einreicht und dann 14.300 Euro laut Chemikalien-Kostenverordnung berappt, gültig für zehn Jahre. Mein liebes Tagebuch, sag mal, geht’s noch? Sind wir hier in der Pharmaklappsmühle? Das Rattenschärfste dabei: Wird der 70er Isoprop von der Apotheke zur Anwendung am menschlichen Körper als Rezeptur oder Defektur hergestellt, gilt diese neue EU-Biozid-Verordnung nicht. Also, nochmal das schier Unfassbare: Eine Apotheke muss ihren Isopropanol 70% zur Flächendesinfektion fertig gemischt von den Chemikalienhändlern kaufen, ihren Isopropanol 70% zur Anwendung am menschlichen Körper darf sie selbst mischen.
Das kann kein Normalo verstehen, nur ein Bürokrat der edelsten Sorte. Nein, mein liebes Tagebuch, es ist wieder einmal eine dieser EU-Gurken-Verordnungen, die uns an der menschlichen Vernunft verzweifeln lassen. Vor allem wenn man weiß, dass sich unsere Berufsvertretung um eine Gesamtzulassung des Produkts auf Bundesebene für alle Apotheken bemühte, damit aber aufgrund hoher bürokratischer Vorgaben scheiterte. Mein liebes Tagebuch, das sind sie, diese superbürokratischen Vorgänge, weswegen ich meinen Beruf „liebe“.
Und schon heulen Ärzte auf: Wenn ihr Apotheker euch auf dem Gebiet der Präventionsleistungen tummeln wollt, dann werden wir in unseren Praxen Medikamente abgeben. Huch, mein liebes Tagebuch, das lässt mich aber arg erzittern! Diese Drohung mit der Selbstdispensation von Arzneimitteln, den manche Ärzte wie einen Pawlowscher Reflex drauf haben, ist mehr als lächerlich. Futterneid der billigsten Sorte. Wenn Ärzte sagen, Prävention müsste in der Arztpraxis stattfinden und nicht am Apothekentresen, dann könnte man als Apotheker entgegnen: Lieber am Tresen als überhaupt nicht. Wobei den Ärzten wohl entgangen ist, dass sie selbst kaum Zeit für Präventionsberatung und die meisten Apotheken auch ein „Sprechzimmer“ haben, wo sie beraten und Präventionsöeistungen dann privat abrechnen können. Letztlich geht es bei dem Aufschrei, der vor allem vom Verein Freie Ärzteschaft, einem alternativen Berufsverband der Mediziner kommt, also ums Geld: die Sorge, der Apotheker könnte seine Präventionsempfehlungen mit dem Verkauf von Produkten verbinden. Gegenfrage: Und was läuft in den Arztpraxen mit den IGeL-Empfehlungen ab, bei denen ahnungslosen Patienten ärztliche Leistungen aufgeschwatzt werden, die sie selbst zahlen müssen? Ach, mein liebes Tagebuch, lass sie aufmucken. Erstens wird das Thema Prävention in Apotheken sowieso nicht der große Bringer werden. Zweitens gibt es wichtigere Dinge als das Gepoltere alternativer Verbände. Und drittens: Wir sollten uns überlegen, ob wir nicht auch mal ganz mutig sind und die Forderung erheben, dass Apotheken impfen dürfen – was in manchen Ländern bereits gut angenommen wird. Ich sehe schon den Pawlowschen Speichelfluss…
9. Juni 2017
Es war erschütternd, zu erleben, wie groß das Halbwissen bzw. Unwissen bei manchen Bürgerinnen und Bürger zum Thema Apotheke und Versandhandel ist. Mein liebes Tagebuch, die finanzpolitische Sprecherin der Unionsfraktion im Bundestag, Antje Tillmann, hatte Bürgerinnen und Bürger zu einem Gespräch über die Arzneimittelversorgung eingeladen. Anlass war u. a. die PR-Aktion von DocMorris. Der Versender hatte seine Kunden mobilisiert, vorgedruckte Schreiben gegen das Rx-Versandverbot zu unterschreiben, und angeboten, diese Briefe dann an die zuständigen Abgeordneten in den Wahlkreisen zu versenden. Bei der CDU-Abgeordneten Tillmann kamen fast 1000 Briefe an. Tillmann gefiel diese Aktion nicht, zumal inzwischen vermutet wird, dass im Rahmen einer anderen Aktion Postkarten an Unionsabgeordnete geschickt worden waren, ohne dass die Absender etwas davon wussten. Aber es gab unabhängig davon auch individuelle, ernst gemeinte Zuschriften von Bürgern und so versuchte Tillmann zum Thema Versandhandel zu informieren. Der Gesprächsabend verlief zum Teil hochemotional – ein Ehepaar verließ schon nach wenigen Minuten die Runde, nachdem es sich lautstark für den Versandhandel eingesetzt hatte. Zahlreiche andere Bürgerinnen und Bürger lobten ihre Versandapo über den grünen Klee. Mein liebes Tagebuch, da kam, wie auch bei so manch anderer Wortmeldung, die starke Vermutung auf, dass hier Äußerungen „im Auftrag“ abgegeben wurden. Hauptargument, warum man gerne bei Versandapotheken, z. B. Europa Apotheek, bestellt, war: keine oder nur die halbe Zuzahlung. Mit einer kleinen Rente müsse man eben jeden Euro sparen. Die zwei, drei Tage, bis das Päckchen ankomme, warte man gerne. Und „beraten“ werde man ja auch: Ein vorgedruckter Zettel weist doch darauf hin, was man bei der Einnahme beachten muss. Und klar, wenn’s mal dringend sei, gehe man auch in die Apotheke vor Ort. Und den Notdienst nimmt man natürlich gerne wahr – aber die Vor-Ort-Apotheke zu unterstützen, damit sie erhalten bleibt und der Notdienst möglich ist, das zählt nicht als Grund, die Apotheke an der Ecke zu unterstützen. Und was wäre, wenn dann die Apotheke schließen müsste und es keinen Notdienst mehr gäbe? „Dann rufe ich eben den Notarzt“, so eine Bürgerin keck. Was bei diesem Bürgergespräch immer wieder aufpoppte: Es gebe doch eh zu viel Apotheken - „wer soll denn das alles bezahlen?“ Manchen war nicht bewusst, dass Apotheker ihre Apotheke auf eigene Rechnung betreiben und nicht auf Staats- oder Kassenkosten. Mein liebes Tagebuch, wenn man diese Unkenntnis mancher Bürgerinnen und Bürger zum Thema Apotheke, Zuzahlungsbefreiungen, Versandhandel erlebt, dann möchte man am liebsten ein Aufklärungsprogramm ausarbeiten. Oder anders ausgedrückt: Wir müssen den Wert unserer Leistungen, angefangen bei der persönlichen Face-to-Face-Beratung, beim Nacht- und Notdienst, bei Rezepturen, bei Betäubungsmitteln, unsere Bring- und Botendienste, die Möglichkeiten von Rezeptsammelstellen und Zweigapotheken noch viel, viel stärker und vor allem immer wieder kommunizieren – und zwar in einer Sprache, dass es auch der einfache Bürger versteht.
Noch eine Erfahrung: Auf der politischen Diskussionsrunde beim Thüringer Apothekertag kam die Sprache auch auf das Rx-Versandverbot. Am Vertreter der SPD, Carsten Schneider, stellvertretender Landesvorsitzender der SPD in Thüringen und MdB, prallte jedes Argument pro Rx-Versandverbot ab. Seine Argumentationskette: Apotheken machen ausreichende Gewinne, der Mensch im Plattenbau muss durch Versandhandel ein paar Euro sparen können. Und damit sich zuzahlungsbefreite Rentner nicht durch Rx-Boni bereichern, plädiert die SPD für gedeckelt Boni. Der Hinweis, dass Boni-Deckel gar nicht möglich sind, viele Apotheken Boni von ein, zwei Euro nicht aushalten würden, interessierten ihn nicht. Ach ja, und die flächendeckende Versorgung muss natürlich erhalten bleiben – aber wie? Da kam kein Vorschlag. Mein liebes Tagebuch, das war mehr als ernüchternd Diese Politiker sind keinen Argumenten mehr zugänglich.
8 Kommentare
Prävention ist mehr ....
von Gunnar Müller, Detmold am 12.06.2017 um 16:50 Uhr
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Sonne!
von Uwe Hansmann am 11.06.2017 um 10:43 Uhr
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AW: ABDA – Sonnenschein ...?!
von Gunnar Müller, Detmold am 11.06.2017 um 12:44 Uhr
...in einer Sprache, dass es auch der einfache Bürger versteht.
von Christian Giese am 11.06.2017 um 10:14 Uhr
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Gesundheitswesen
von Karl Friedrich Müller am 11.06.2017 um 9:41 Uhr
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Berliner Klagemauer
von Ulrich Ströh am 11.06.2017 um 9:26 Uhr
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AW: Berliner Klagemauer
von Peter Ditzel am 11.06.2017 um 9:43 Uhr
Prävention und Boni
von Dr. Jochen Pfeifer am 11.06.2017 um 8:29 Uhr
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