„Bild“ und ARD berichten

Neue Vorwürfe gegen Bottroper Zyto-Apotheker

Bottrop - 29.06.2017, 14:15 Uhr

Auf der Titelseite des Boulevardblatts „Bild“ ist auch ein Foto des Zyto-Apothekers abgedruckt, im begleitenden Video ist das Gesicht jedoch unkenntlich gemacht. (Screenshot: DAZ.online)

Auf der Titelseite des Boulevardblatts „Bild“ ist auch ein Foto des Zyto-Apothekers abgedruckt, im begleitenden Video ist das Gesicht jedoch unkenntlich gemacht. (Screenshot: DAZ.online)


Im Fall des Bottroper Apothekers, der in mehr als 50.000 Fällen Zytostatika gestreckt haben soll und deswegen in Untersuchungshaft sitzt, veröffentlicht die „Bild-Zeitung“ ein Interview mit einem ehemaligen Angestellten – und Fotos von der Villa des Apothekers. In dem Beitrag geforderte Kontrollen von Zytostatika würden kaum etwas helfen, erklärt Klaus Peterseim vom Verband der Zytostatika herstellenden Apotheker gegenüber DAZ.online.

„Der Todes-Apotheker!“ titelt das Boulevardblatt „Bild“ in dicken Lettern auf seiner heutigen Titelseite – wie auch im Online-Auftritt. „Für sein Luxus-Leben ließ er Krebskranke sterben“, behauptet sie zu dem Fall des Bottroper Apothekers Peter S., dem die Staatsanwaltschaft zur Last legt, in mehr als 50.000 Fällen Zytostatika gestreckt und damit womöglich Patientenleben gefährdet zu haben. Doch bislang ist nicht einmal Anklage erhoben worden.

Das Blatt belässt es nicht dabei, sondern stellt auch ausführlich die Villa des Apothekers vor. „1000-Quadratmeter-Protz-Bau für sich und seinen Hund“, heißt es beispielsweise. „Besonders zynisch: Peter S. organisierte Spendenläufe und förderte das Bottroper Hospiz“, schreibt die „Bild“. Das Boulevardblatt behauptet, dass der Apotheker Patienten des Hospizes „Medikamente vorenthalten“ hätte.

Außerdem veröffentlichte sie ein „Exklusiv-Interview“ mit dem ehemaligen Mitarbeiter des Apothekers, der offenbar den Fall ins Rollen brachte. „Es gab schon länger Gerüchte, dass etwas nicht mit rechten Dingen zugehen würde“, erklärt der Mitarbeiter, der ab 2014 kaufmännischer Leiter in der Apotheke war. „Als ich in der Apotheke anfing, hörte ich immer wieder Gerüchte von Kollegen, dass Peter Infusionen zu niedrig dosiere“, erklärte er laut einem Bericht des Recherchebüros Correctiv und des ARD-Magazins „Panorama“. Er habe aber nicht geglaubt, dass etwas daran sein kann. Laut einer Sprecherin der Staatsanwaltschaft hatte diese bereits 2013 einen ersten Hinweis erhalten. Nach damaliger Einschätzung hätte die Beweislage zur Erwirkung eines Durchsuchungsbeschlusses aber nicht ausgereicht.

„Peter S. ging mit Straßenkleidung ins Reinraumlabor, in Sakko und Hemd“, zitiert Correctiv eine Mitarbeiterin, die im Labor gearbeitet habe. Später habe der frühere kaufmännische Leiter angefangen, nachzurechnen, inwiefern die abgegebenen Zytostatika mit den tatsächlich eingekauften Wirkstoffen übereingestimmt haben. Schockiert habe er festgestellt, dass die Apotheke nur 30 bis 40 Prozent der angeblich ausgegebenen Wirkstoffe eingekauft habe, erklärt der frühere Mitarbeiter gegenüber der „Bild“. 

Mitarbeiter fordert Gesetzesänderung

Doch in dem Artikel der Bild-Zeitung geht es um mehr, auch Systemkritik ist im Spiel. Der frühere kaufmännische Leiter erklärt gegenüber der Bild, dass Zyto-Apotheker „im Großen und Ganzen“ in Deutschland nicht überwacht würden, was die Qualität der Rezepturen angeht. „Was kontrolliert wird, ist der ordnungsgemäße Betrieb des Reinraumlabors“, sagte er – und fordert Gesetzesänderungen. „Was nicht kontrolliert wird, sind die Produkte, die aus dem Labor herauskommen – das kann so nicht sein.“

Es geht inzwischen um viele Arzneimittel

Wie die Sprecherin der Staatsanwaltschaft Essen gegenüber DAZ.online bestätigte, gibt es Unregelmäßigkeiten bei deutlich mehr Wirkstoffen als zuvor berichtet. Abrechnungen zu rund 50 Arzneimitteln seien näher geprüft worden. „Bei dieser Vielzahl von Medikamenten taucht immer wieder auf, dass der Apotheker nach unserem bisherigen Erkenntnisstand signifikant weniger Material eingekauft hat als er abgegeben haben will. Wir reden hier über signifikante Unterschiede, das heißt, es geht hier nicht um Unterdosierungen von wenigen Prozent“, hatte sie gegenüber Correctiv erklärt. Bei einzelnen Arzneimitteln seien die Abrechnungsunterschiede bei 20 zu 80 Prozent gelegen.

Nicht nur der Angeklagte, dessen Anwälte auch auf Nachfrage von DAZ.online keine Stellungnahme abgeben wollten, schweigt. Laut Staatsanwaltschaft gilt das auch für fast alle Mitarbeiter. Diese seien von der Polizei vorgeladen worden, doch nach der Belehrung über die Möglichkeit, vom Schweigerecht Gebrauch zu machen, hätten die allermeisten davon Gebrauch gemacht. Es sei nicht weit hergeholt, dass es Mitwisser gegeben habe, erklärte die Pressesprecherin. „Aber wir können nicht den Finger in die Wunde legen und sagen: Du hast das gemacht“, betonte sie.

Kontrollen sind laut Zyto-Verbandspräsident fast aussichtslos

Angesichts des Falles – wie auch der Berichterstattung seitens der „Bild“ – ist Klaus Peterseim, Präsident des Verbands der Zytostatika herstellenden Apothekerinnen und Apotheker, sprachlos. „Bildzeitungs-Schlagzeilen kann man gar nicht kommentieren“, erklärte er auf Nachfrage. So ist der Zusammenhang, dass aufgrund womöglich gestreckter Arzneimittel tatsächlich Patienten frühzeitig gestorben sind, schwer nachweisbar und noch nicht geführt – auch wenn die Rechtsanwältin Sabrina Diehl denkt, dies glaubhaft beweisen zu können und demnächst in zwei Fällen Klage einreichen will.

Zusätzliche Überprüfungen sind nach Ansicht von Peterseim vergebens. „Bei entsprechender krimineller Energie gehen Kontrollen ins Leere“, erklärte der Verbandspräsident gegenüber DAZ.online. Er betont, dass vor gut zwei Jahren stichprobenartige Überprüfungen aller Zytostatika-herstellenden Apotheken in Nordrhein-Westfalen durchgeführt worden seien. „Von der Dosierung und Mikrobiologie her waren alle Proben in Ordnung“, erklärt er. „Darauf sind wir sehr stolz.“

Zwar könnten beispielweise auch Restmengen in Zyto-Beuteln aus Arztpraxen überprüft werden, aber dies wäre ein „ungeheurer Aufwand, der wahnsinnige Kosten verursachen würde“, betont Peterseim. „Wenn man das in irgendeiner Weise flächendeckend machen wollte, stünden die Kosten in keinem Verhältnis zu der realen Gefahr.“ Das Gesundheitsministerium von Nordrhein-Westfalen erwägt laut „Panorama“, entweder Rückläufer oder einen zukünftig herzustellenden Überschuss für Kontrollen heranzuziehen.

Peterseim betonte, dass die Vorwürfe nur einen Einzelfall betreffen. „Wenn das stimmt, ist es unfassbar“, erklärte er. Er hätte nicht ausgeschlossen, dass ein Apotheker die Steuer betrügt oder einen Menschen im Affekt totschlägt – aber ein derartiges Vorgehen schon. „Apotheker sind keine besseren Menschen als andere“, betonte Peterseim. „Aber ich hätte bis zu dem Moment, als der Bottroper Fall bekannt wurde, behauptet, dass ein Apotheker niemals wissentlich ein schadhaftes Arzneimittel abgeben würde oder ein handwerklich minderwertiges Arzneimittel herstellt.“ Von daher sei er angesichts des Falls „komplett ratlos“.

Das ARD-Magazin Panorama berichtet am heutigen Donnerstagabend um 23:30 Uhr über den Fall. 



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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