England

Homöopathie, Trimipramin und retardiertes Doxazosin nicht mehr auf Rezept

Berlin - 24.07.2017, 11:57 Uhr


Der englische Gesundheitsdienst NHS will seine Arzneimittelausgaben stark verringern. Um umgerechnet etwa 211 Millionen Euro einzusparen, sollen künftig mehrere Rx-Arzneimittel, zum Beispiel Antidepressiva und Schmerzmittel von der Erstattung ausgeschlossen werden. Aber auch Homöopathika, Phytopharmaka und glutenfreie Nahrung gibt es bald nicht mehr auf Kassenkosten.

Der steuerfinanzierte englische Gesundheitsdienst NHS bleibt ein Sorgenkind für den Haushalt im Königreich. Seit Jahren versucht der Gesetzgeber, den NHS effizienter zu machen: 2014 veröffentlichte der NHS einen 10-Punkte-Plan, wie die Effizienz des Gesundheitsdienstes verbessert werden könne. Ein ganzes Kapitel in diesem Plan beschäftigt sich mit den Ausgaben im Apotheken- und Arzneimittelbereich. Noch vor den Arzneimittelpreisen widmete sich der Gesetzgeber dem Apothekenhonorar: Einige in der Honorarordnung der Pharmazeuten festgelegte Vergütungsbestandteile wurden zusammengelegt. Einige Extra-Honorare werden gar nicht mehr gezahlt. Mehrere hundert Millionen Pfund will der NHS so sparen.

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Zwischen Staatsversorgung und einem Markt ohne Regeln

Nun will der Staat auch die Arzneimittelausgaben schrumpfen. Ende vergangener Woche teilte der Gesundheitsdienst mit, dass verschwenderische und ineffiziente Verordnungen in Zukunft vermieden werden müssten, um pro Jahr mindestens 190 Millionen Britische Pfund (umgerechnet etwa 211 Millionen Euro) einzusparen. Zur Erklärung: In England sind regional tätige Kommissionen aus Ärzten, NHS-Vertretern, Apothekern und anderen Heilberuflern dafür zuständig, Richt- und Leitlinien zur Verordnung von Medikamenten zu erstellen. Insofern gibt es regional teils unterschiedliche Empfehlungen zur Erstattung von Medikamenten.

Um das vorgegebene Sparziel zu erreichen, hat der NHS mit Vertretern der Apotheker und Ärzte nun zahlreiche Arzneimitteltherapien benannt, für die es künftig andere Erstattungsrichtlinien geben soll. Auf der Liste stehen zahlreiche Rx-Arzneimittel, die entweder nur noch in seltenen Fällen oder gar nicht mehr erstattet werden sollen. Grundsätzlich sollen alle Arzneimittel, die auch in geringen Packungsgrößen als OTC-Variante in Supermärkten oder an Tankstellen verkauft werden, auch in medizinischen Ausnahmefällen künftig nicht mehr verordnet werden dürfen. Hier geht es beispielsweise um Hustensäfte, Erkältungsmittel, Augentropfen und Sonnencremes. Alleine dadurch sollen laut NHS 50 bis 100 Millionen Pfund eingespart werden.

Fentanyl, Reiseimpfungen und Trimipramin gestrichen

Aber auch kritischere Arzneimittel sind auf der Liste: So sollen Ärzte beispielsweise kein schnell freisetzendes Fentanyl bei Durchbruch-Schmerzen mehr verordnen. Alleine dafür habe der NHS im vergangenen Jahr knapp 11 Millionen Pfund ausgegeben. Mit der fixen Kombination aus Oxycodon und Naloxon fällt ein weiteres Opioid aus der Erstattungsfähigkeit. Und auch das Antidepressivum Trimipramin (knapp 20 Millionen Pfund in 2016) soll es den Empfehlungen zufolge nur noch geben, wenn gar nicht anders möglich – neue Patienten sollen es gar nicht mehr auf NHS-Kosten bekommen. Reiseimpfungen werden außerdem von der Erstattungsliste gestrichen. Und: Das Blutdruckmittel Doxazosin, das im vergangenen Jahr laut NHS knapp 8 Millionen Pfund verschlungen hat, soll in retardierter Form ebenfalls nicht mehr verordnet werden. Es sei teurer, aber nicht besser als die schnell-freisetzende Variante, heißt es. Ebenfalls gestrichen wird die Schilddrüsenarznei Liothyronin. Der Vorteil gegenüber Levothyroxin ist in den Augen des NHS nicht ausreichend belegt

Auch Verordnungen über Gluten-freie Nahrung sollen eingeschränkt werden, da der Gesundheitsdienst 2016 fast 26 Millionen Pfund für solche Rezepte ausgab. Die regionalen NHS-Kommissionen sollen den Ärzten auch empfehlen, keine homöopathischen Arzneimittel mehr zulasten des Gesundheitsdienstes zu verordnen. NHS-Chef Simon Stevens erklärte dazu in einer Pressemitteilung: „Die Homöopathie beruht bestenfalls auf dem Placebo-Prinzip und führt zu einem falschen Einsatz von Steuergeldern.“ Der Spareffekt wird in diesem Bereich allerdings sehr begrenzt sein: Laut NHS-Daten gab es im vergangenen Jahr ohnehin schon nur sehr wenige Verordnungen über homöopathische Arzneimittel. Insgesamt gab der Gesundheitsdienst etwas mehr als 92.000 Pfund für Homöopathika aus.

Ab wann die neuen Erstattungsregeln in den einzelnen Regionen gelten, ist noch offen. Der NHS hat die Öffentlichkeit jetzt zunächst um Stellungnahme zu seinen Vorschlägen gebeten. Die eingesparten Millionen sollen in Zukunft in „neuere und effektivere“ Arzneimittel fließen, teilt der NHS mit. Sir Bruce Keogh, medizinischer Direktor des NHS, erklärte: „In Zeiten, in denen wir das Geld für neue, hocheffektive Medikamente zusammenkratzen müssen, müssen wir sichergehen, dass jedes Pfund intelligent ausgegeben wird.“



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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2 Kommentare

Teure Homöopathie?

von Jens Behnke am 24.07.2017 um 15:43 Uhr

Für Großbritannien sind mir die Daten im Einzelnen nicht bekannt. Ich vermute aber, dass die Verhältnisse mit denen in der Bundesrepublik Deutschland vergleichbar sind. Im Übrigen möchte einige zum Thema Kostenffizienz der Homöopathie grundsätzlich klarstellen:

2015 wurden mit verordneten homöopathischen Arzneimitteln bundesweit 100 Mio. € umgesetzt (http://bit.ly/2rirJ4q). Im selben Jahr betrugen die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherungen für Arzneimittel überhaupt 31,84 Mrd. € (http://bit.ly/2s1MwYo). Somit entsprachen die Aufwendungen für Homöopatika 0,31% der medikamentenassoziierten Gesamtausgaben. Hinzu kommen noch einmal 495 Mio. Umsatz mit nicht rezeptierten homöopathischen Mitteln, welche die Patienten vollständig aus eigener Tasche zahlen.

In Bezug auf die genannten Ausgaben sollte man sich zusätzlich vor Augen halten, dass diverse Studien dokumentieren, dass sich durch den Einsatz vergleichsweise günstiger Homöopathika die Verschreibung teilweise deutlich teurerer Medikamente offensicht-lich erheblich reduzieren lässt:

In Bezug auf Erkrankungen der oberen Atemwege fand die EPI3-Kohortenstudie, dass bei vergleichbaren Behandlungsergebnissen in homöopathischen Arztpraxen gegenüber rein konventionellen nur etwa die Hälfte an Antibiotika, Entzündungshemmern und fiebersenkenden Mitteln verschrieben wird. http://bit.ly/2sSJyFj

Dasselbe gilt für das Gebiet der muskuloskelletalen Erkrankungen, wie etwa Rheuma: Patienten, die homöopathisch behandelt werden, benötigen für die gleichen Therapieerfolge nur etwa die Hälfte an nichtsteroidalen Antirheumatika (z.B Ibuprofen). http://bit.ly/2rhp38b

Auch in Bezug auf psychische Erkrankungen konnte demonstriert werden, dass für Patienten, die einen homöopathischen Arzt aufsuchen, die Wahrscheinlichkeit, Psycho-pharmaka verordnet zu bekommen, gegenüber der konventionellen Arztpraxis um den Faktor vier geringer ist. http://bit.ly/2se6PDK

Durch den Übergebrauch von Antibiotika entstandene multiresistente Keime verursa-chen jährlich eine kaum abzuschätzende Zahl an Todesfällen(z.B 99.000 allein in den USA, http://bit.ly/2gyddh1). Nichtsteroidale Antirheumatika sind die Wirkstoffgruppe, für die die höchste Zahl an Fällen ernster Nebenwirkungen beobachtet wird, (z.B. mindestens 15.000 Todesfälle pro Jahr in den USA http://bit.ly/2tbzO8I). Psychopharmaka sind laut dem Direktor des Nordic Cochrane Centres, Peter Götzsche, in der Altersgrup-pe der über 65-Jährigen für ca. 500.000 Todesfälle pro Jahr in Europa und den USA ver-antwortlich (http://bit.ly/2ssRuQo).

Diese Fakten geben zusammengenommen Grund zu der Annahme, dass sich durch den flächendeckenden Einsatz von Homöopathie ein beachtliches Einsparungspotential für das Gesundheitssystem realisieren ließe. Denn nicht nur der Verbrauch konventioneller Arzneimittel würde reduziert, auch die noch erheblich höheren Folgekosten durch deren Nebenwirkungen sänken.

Zum Thema Kosteneffizienz der Homöopathie existiert im Übrigen eine systematische Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2014 (http://bit.ly/2rRsv8j). Sie fasst die Ergebnisse aus 14 gesundheitsökonomischen Analysen zur Homöopathie mit über 3.500 Patienten zu-sammen:

In 8 von 14 Studien wurden Verbesserungen der gesundheitlichen Situation und Kostenersparnisse gegenüber den ausschließlich konventionell behandelten Patien-ten dokumentiert. In 4 Studien entsprachen die Behandlungsergebnisse der konventionellen Kontrolle, und die Kosten waren gleichwertig. In zwei Studien wurden vergleichbare Therapieerfolge, aber höhere Kosten im Vergleich zur konventionellen Therapie gefunden.

Wie sinnvoll es ist, die Homöopathie aus der Krankenversorgung zu entfernen, um Kosten zu sparen, kann jeder aufgrund dieser Daten selbst beurteilen.

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Re: Teure Homöopathie

von D. Schmole am 25.07.2017 um 10:31 Uhr

Lieber Herr Behnke
es ist ziemlich unnütz, wenn Sie die homöopathische Therapie bestimmter Indikationen mit Ihren oben genannten Studien mit niedrigstem Evidenzgrad (z.B. wurde der letztgenannte Review auf Basis von 15 Artikeln erstellt, die große Heterogenität und enorme methodische Schwächen aufweisen, da es eben KEINE randomisierten, Placebo-kontrollierten Studien sind!) mit gängigen Arzneimitteln/ Therapiestandards der Wahl vergleichen! Wird die Wirkung, Wirksamkeit (die positive Risiko-Nutzen-Abwägung der gängigen Arzneimittel ist der Grund, warum die von Ihnen genannte Aufzählung von potentiellen Nebenwirkungen nur Relevanz für die Pharmakovigilanz, jedoch NICHT für die alltägliche therapeutische Praxis hat!) und Kosteneffizienz konsequent durch RCTs oder andere Studien (mit signifikant besserer Studienqualität als die oben genannten Homöopathie-Studien) bewiesen, dann können statistisch signifikante und im Optimalfall auch praktisch-relevante Aussagen getroffen werden. Ihrem umständlich-ausgedehnten Kommentar kann ich derart relevante Aussagen leider nicht entnehmen!

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