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Unfassbar: Die deutsche Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD) besucht den niederländischen Versender DocMorris (der vor drei Jahren schon mal einen Vortrag von ihr sponserte) und jubelt ihn hoch. Die Grüne Kordula Schulz-Asche gönnt den Apotheken die Honorarerhöhung für die Rezeptur nicht. Und Italien lässt Ketten zu. Und außerdem, wo man hinschaut: Nur noch Engpässe in der Welt der Pharmazie! In welcher Welt leben wir Apotheker eigentlich?
31. Juli 2017
Nichts als Engpässe in der Welt der Pharmazie! Neben den Liefer- und Versorgungsengpässen haben wir jetzt auch einen Fachkräfteengpass! Nach den Kriterien der Bundesagentur für Arbeit ist der Apothekerberuf ganz offiziell als „Mangelberuf“ eingestuft. Mein liebes Tagebuch, jetzt haben wir es schwarz auf weiß. Freie Apotheker-Stellen bleiben länger unbesetzt als andere Fachkräfte-Positionen. Und tatsächlich: Eine Apotheke, die heute eine Apothekerin, einen Apotheker sucht, tut sich schwer, wenn sie nicht gerade in einer Stadt mit pharmazeutischem Institut liegt. Und selbst da. Und erst recht auf dem Land jwd. Da lassen sich manche Apotheken schon viel einfallen, um auf sich aufmerksam zu machen – von weit übertariflichen Gehältern bis hin zu witzigen Videos, in denen eine potenzielle Mitarbeiterin in die Apotheke getragen und nach Strich und Faden verwöhnt wird. Ja, mein liebes Tagebuch, als Apotheker(in) ist man gesucht, wie die „Fachkräfteengpassanalyse“ zeigt. Woran liegt’s? Eigentlich wird derzeit noch ausreichend Nachwuchs ausgebildet – allerdings macht dem Beruf die hohe Feminisierung zu schaffen: Über 80 Prozent der Pharmaziestudierenden sind Frauen, viele von ihnen scheiden wegen Familiengründung schon bald aus dem aktiven Berufsleben aus. Ein weiterer Grund: Die Apothekers, die durch Schließungen von Apotheken dem Markt wieder zur Verfügung stehen, finden nicht unbedingt an ihrem Ort wieder einen neue Stelle. Und viele können aus familiären Gründen nicht immer ihren Wohnsitz wechseln. Ein weiterer Grund: Es locken andere Arbeitgeber, vor allem die Industrie mit modernen Arbeitsplätzen und „ordentlichen“ Gehältern. Aber, mein liebes Tagebuch, die ABDA macht es sich zu leicht, wenn sie sagt „Wir haben ein Verteilungsproblem“. Das ist nur ein Aspekt. Gäbe es mehr Pharmazeuten, würde sich das Verteilungsproblem eher relativieren. Vor diesem Hintergrund kann man nicht wirklich verstehen, dass sich die ABDA der Kultusministerkonferenz und anderen „Bildungsexperten“ anschließt und keinen unmittelbaren Handlungsbedarf sieht. Apotheker ein Mangelberuf – das ruft geradezu nach politischen Forderungen, Studienplätze zu erhalten, auszubauen oder sogar an ein neues Institut zu denken. Nicht so die ABDA – die klein bei gibt und nur von Verteilungsproblemen spricht. Oder hat sie Sorge, dass vom Mangelberuf auf Probleme bei der flächendeckenden Versorgung (Versandapo-Gespenst!) geschlossen wird?
1. August 2017
Das ist der Knaller der Woche: Die deutsche Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD) besucht den schweizerisch-saudiarabisch-niederländischen Arzneiversender DocMorris im niederländischen Heerlen und ist entzückt über die spannenden interessanten Einblicke. Mein liebes Tagebuch, geht’s noch? Das ist ein Schlag ins Gesicht von uns Apothekerinnen und Apotheker in Deutschland mit unseren Apotheken vor Ort – und da beziehen wir mal die Versandapos mit ein –, die tagtäglich rund um die Uhr die Versorgung unserer Bevölkerung mit Rat und Tat bewerkstelligen. Da haben die umtriebigen DocMo-Manager gerufen und Frau Zypries eilt – mehr Werbung für DocMo geht nicht. Die Manager zeigten der Ministerin u. a. eine (Vorzeige-)Rezeptur, in der bis jetzt wohl kaum eine Salbe gerührt und versandt wurde, und den Live-Chat, die „digitalisierte Beratung“ per Video-Chat, „der Vorreiter der Telepharmazie in Deutschland“, wie DocMo prahlt. Frau Wirtschaftsministerin, „Ihre“ deutschen Apothekenunternehmen machen einen verdammt guten Job, stehen technisch weit vorne, ja, an der Spitze, digitalisieren sich rauf und runter mit Automaten, Videowänden, Tablets und mehr – und Sie als unsere Wirtschaftsministerin halten uns mit ihrem DocMorris-Besuch und ihrer DocMo-Euphorie den ausländischen Spiegel vor! Sorry, ich glaube, wir sind da nicht überempfindlich, wenn wir das als Ohrfeige für uns spüren. Und das schmerzt so: „Schaut her, ihr Apothekers in euren kleinen Tante-Emma-Buden, nehmt euch ein Beispiel an DocMorris, dem ach so 4.0-Digitalisierten-High-Tech-Versender: viele Bildschirme, Telemedizin per Video-Chat, digitale Bestellvorgänge – so geht Pharmazie 4.0.“ Sagen Sie mal, Frau Ministerin, Sie haben sich aber schon über den ausländischen Versender informiert, oder? Z. B. über den illegalen DocMorris-Arzneiautomaten in Hüffenhardt, der gegen deutsches Recht verstößt. Oder über die damals nicht legalen Boni- und Rabatte. Oder über die Postkartenaktion mit gefakten Adressen, über das Rosinenpicker-Konzept, über Päckchen ohne Hitze- oder Kälteschutz, über den Versand ohne Temperaturkontrolle. Oder sind Sie vielleicht den Marketingsprüchen von DocMo auf den Leim gegangen? Wenn der Versender davon schwafelt, dass er „Innovationen mehr Luft zum Atmen geben“ möchte – meint er etwa die Landluft von Hüffenhardt? Aber vielleicht hat es Ihnen ja auch der Live-Video-Chat angetan? Ein alter Hut! Wir machen da gerne mit, wenn’s Ihnen gefällt. Stoßen Sie bei Ihrem Kollegen Gröhe eine Änderung der Apothekenbetriebsordnung und des Apothekengesetzes an und wir beraten telemedizinisch. Wenn Sie meinen, „das DocMorris-Geschäftsmodell geht mit der Zeit“, dann merken wir uns das. Es könnte nämlich auch passieren, dass es mit der Zeit (dahin)geht.
2. August 2017
Wahlkampfzeit ist auch eine Art Graswurzelarbeit für unsere Politiker. Rausgehen, vor Ort sein, Unternehmen besuchen, mit den Bürgerinnen und Bürgern sprechen. Das geht sogar so weit, dass die deutsche Bundeswirtschaftsministerin Unternehmen in den Niederlanden besucht (ein echter Coup von DocMorris!). Die Chancen, dass Gesundheitspolitiker der Einladung einer Apotheke folgen, sind nie höher als jetzt. Und wie sieht’s bei der ABDA aus? Nutzt die ABDA diese Graswurzelzeit, um unsere Anliegen in die Politik zu tragen? Am besten medienwirksam? Wie wär’s zum Beispiel mit einer berufspolitischen Runde im Lindencorso oder so? Oder ein ABDA-Sommer-Talk mit den gesundheitspolitischen Sprechern der Parteien? Mein liebes Tagebuch, man weiß es nicht so recht, aus Berlin hört man jedenfalls nichts dazu. Oder sagen wir mal so: Die ABDA lässt arbeiten. Sie hat wieder ihre Internetplattform „Wahlradar Gesundheit“ aufgelegt, mit der sie zusammen mit Apothekern die Zukunft der Gesundheitsversorgung in den Blickpunkt der Bundestagswahl rücken will. Konkret: Apotheker sollen in den 299 Wahlkreisen die Direktkandidaten der sechs Parteien befragen, die Antworten sollen dann auf dieser Plattform veröffentlicht werden. O.k., brav und bieder, geordnet und strukturiert. Mein liebes Tagebuch, mir fehlen die spritzigen Ideen vor der Wahl, um unsere Anliegen ins politische und öffentliche Rampenlicht zu rücken.
3. August 2017
Es war zu erwarten: Der Vorstoß der CDU-Politikerin für Verbraucherfragen, Mechthild Heil, die Homöopathika mit deutschen Bezeichnungen versehen und am liebsten aus der Apotheke entlassen möchte, kam nicht gut an bei den Arzneimittelexperten der eigenen Partei. Der CDU-Gesundheitspolitiker Michael Hennrich stellte klar: „Diese Debatte war zum jetzigen Zeitpunkt nicht unbedingt erforderlich.“ Also, mein liebes Tagebuch, da hat Mechthild H. wohl daneben gelangt. Und Hennrich präzisiert: „Die Beratung durch den Apotheker ist mir sehr wichtig…“ Genau. Und damit ist gesagt, was gesagt werden musste.
Mein liebes Tagebuch, das lässt einen in dieser Woche nicht los: Die deutsche Bundeswirtschaftsministerin und frühere Justizministerin, Brigitte Zypries, besucht einen niederländischen Arzneiversender, der deutsche Gesetze bewusst verletzt, und jubelt ihn als Vorbild für die Digitalisierung im deutschen Gesundheitssystem hoch. Nur weil er einen simplen Video-Chat installiert hat. Mein liebes Tagebuch, da versteht man die Welt nicht mehr. Erst recht nicht, wenn man sich die Verbindung Zypries-DocMorris vor Augen hält: Der Versender sponserte 2014 einen Vortrag von Zypries mit 4000 Euro, Thema „Datenschutz und Digitalisierung im Spannungsfeld zwischen Wirtschaftsinteressen und Demografie“. Aufgedeckt wurde dieses dubiose Sponsoring-Konstrukt vom ZDF-Magazin Frontal21 als „Rent-a-Sozi-Story“. Sogar innerhalb der SPD sorgte diese Art von gekauften Vorträgen für Empörung. Mein liebes Tagebuch, man ist am Verzweifeln, wenn man sieht, wie wenig geerdet so manche Politiker sind, wie ihnen mehr und mehr das Gespür dafür abgeht, was man tut und was nicht. Ist schon hammerhart.
Jetzt geht’s in Italien los: Startschuss für Apothekenketten! Das sogenannte italienische „Konkurrenz-Gesetz“ hebt das Fremd- und Mehrbesitzverbot auf. 20 Prozent aller Apotheken einer italienischen Region dürfen in den Händen von Nicht-Apothekern, von Privatunternehmen sein und ein Unternehmen darf mehr als vier Apotheken haben. Da Neugründungen kompliziert sind, geht man davon aus, dass sich Kettenunternehmen nun auf attraktive Apotheken stürzen und Übernahme-Angebot machen. E buonanotte, Italia!
4. August 2017
Es gab in der bisherigen kurzen Geschichte der Grünen eigentlich nur eine Grüne, die etwas vom Gesundheitswesen und vom Wert der Apotheke verstanden hat: Barbara Steffens, bis vor Kurzem noch Gesundheitsministerin von Nordrhein-Westfalen. Bei allen anderen Grünen muss man schon ernsthaft daran zweifeln, ob sie überhaupt wissen, wie Apotheken arbeiten, wie sich Einnahmen und Ausgaben dieser Gesundheitseinrichtungen zusammensetzen. Glanzleistungen und Bravourstückchen in Sachen Unkenntnis legt hier regelmäßig die Grüne Kordula Schulz-Asche aufs Parkett. Mein liebes Tagebuch, Beispiele gefällig? Aber gerne! Statt Rx-Versandverbot setzte sie sich vehement für gedeckelte Boni ein: Alle Apotheken sollten ein oder zwei Euro als Rabatt auf Rx-Arzneimittel geben dürfen. Klare Zahlenbeispiele, die zeigten, dass die Boni kleinere und mittlere Apotheken nicht lange aushalten, dass das Arbeitsplätze kosten würde, wollte sie nicht „glauben“. Jüngstes Beispiel ihrer Kenntnisse über betriebswirtschaftliche Fakten von Unternehmen: Ihr Meinungsbeitrag auf ihrer Homepage. Da versucht sie das wettbewerbsökonomische Gutachten zum EuGH-Urteil, angefertigt von May/Bauer/Dettling, in Auftrag gegeben von der Noweda und des Deutschen Apotheker Verlags, auseinander zu nehmen. Das Gutachten kommt zu dem Schluss, dass rund zehn Prozent der deutschen Apotheken existenziell bedroht sind, wenn sich ausländische Arzneiversender weiterhin nicht an den festen Rx-Preis halten müssen. Schulz-Asche scheint das gar nicht zu interessieren. Was sie aus dem Gutachten liest, ist da so schlicht (es gibt arme und reiche Apotheken) wie falsch (man muss die kleinen Apotheken dadurch retten, indem man Einkünfte von den großen zu den kleinen umsteuert). Dass auch „große“ Apotheken betriebswirtschaftliche Risiken tragen, vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Arbeit und Lohn geben, ständig investieren müssen (Digitalisierung!), will Kordula Schulz.-Asche wohl nicht sehen.
Den Vogel der betriebswirtschaftlichen Blässe schießt sie mit Ihrer neidgetränkten Bemerkung ab, die Honorarerhöhung mute in Anbetracht der üppig alimentierten Apotheken „fast wie eine Veruntreuung von Versichertengeldern“ an und es wäre absurd, „per Gießkannenprinzip das Honorar für alle immer weiter anzuheben“. Weiß sie nicht, warum und wie das Honorar für Rezepturen ausgezahlt wird? Weiß sie nicht, dass dies gerade nicht per Gießkannenprinzip verteilt wird, sondern nur die Apotheken bekommen, die Rezepturen anfertigen? Und dies politische auch so gewollt war. Oh Gott, mein liebes Tagebuch, Grün ist viel, aber bestimmt nicht die Hoffnung.
Lesenswert dazu ist auch der Kommentar von Christian Rotta, auf den Schulz-Asche auf Facebook antwortete mit Ihrem Fazit: „Es gibt Apotheken die scheinbar ‚durchs Raster’ fallen und ungewöhnlich wenig verdienen – gleichzeitig gibt es Apotheken die unverhältnismäßig stark vom aktuellen Preissystem profitieren. Das hat Ihr Gutachten gezeigt. Und das gilt es zu ändern. Dafür setze ich mich ein.“ Mein liebes Tagebuch, wer kann das noch verstehen? Möchte sie, dass alle Apotheken gleich viel verdienen? Sollen Apotheker keine Kaufleute mehr sein? Sollen die Erträge der Apotheken sozialistisch nivelliert werden?
Gut, dass es jetzt auch für Außenstehende offensichtlich wird: Ein Medikationsplan ohne volle Einbeziehung der Apotheker ist für die Katz. Das ARD-Wirtschaftsmagazin hat Experten und Patienten befragt. Würde der Medikationsplan konsequent genutzt und umgesetzt, auch mithilfe der Apotheker, die dann z. B. die OTCs ergänzen und die Arzneimittel auf Neben- und Wechselwirkungen prüfen, könnten viele arzneimittelbedingte Klinikbehandlungen vermieden werden. Mein liebes Tagebuch, wenn Bundesgesundheitsminister Gröhe beim Rx-Versandverbot auch Verständnis für die Anliegen der Apotheker zeigte – den Apotheker beim Medikationsplan abzuhängen war ein Fehler. Vielleicht hat er die Chance, dies in der nächsten Legislaturperiode zu korrigieren.
16 Kommentare
Nachtrag
von Dr.Diefenbach am 07.08.2017 um 8:45 Uhr
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Zukunft
von Dr.Diefenbach am 07.08.2017 um 8:37 Uhr
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AW: Zukunft
von Peter Lahr am 07.08.2017 um 9:17 Uhr
Mein liebes Tagebuch
von Alexander Zeitler am 07.08.2017 um 2:47 Uhr
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AW: Mehr Spass!
von Peter Ditzel am 07.08.2017 um 9:20 Uhr
Putzig - DAS sind wir
von Thomas Luft am 07.08.2017 um 0:41 Uhr
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AW: Putzig - DAS sind wir
von Anita Peter am 07.08.2017 um 6:13 Uhr
AW: Putzig - DAS sind wir
von Christian Giese am 07.08.2017 um 8:44 Uhr
Kassen wollen mit Biosimilars weiter
von Julia Borsch / DAZ.online am 06.08.2017 um 14:40 Uhr
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Kassen wollen mit Biosimilars weiter sparen
von Dr Schweikert-Wehner am 06.08.2017 um 14:07 Uhr
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SPD
von Frank ebert am 06.08.2017 um 11:28 Uhr
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AW: Chapeau...
von Andreas P. Schenkel am 06.08.2017 um 14:20 Uhr
Für die Katz oder noch nicht mal was für die Tonne
von Bernd Jas am 06.08.2017 um 10:44 Uhr
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In welcher Welt werden wir Apotheker nach der Wahl leben?
von Dr. Jochen Pfeifer am 06.08.2017 um 9:57 Uhr
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AW: In welcher Welt werden wir Apotheker
von Reinhard Rodiger am 06.08.2017 um 12:14 Uhr
Getriebene des Wandels
von Ulrich Ströh am 06.08.2017 um 9:54 Uhr
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