Großbritannien

Wird die Pille-danach vom Versandhandel verramscht?

Remagen - 15.08.2017, 09:00 Uhr

Die Online-Apotheke Chemist 4 U bietet Notfallkontrazeption zu Schleuderpreisen, (Foto: Screenshot/ DAZ.online)

Die Online-Apotheke Chemist 4 U bietet Notfallkontrazeption zu Schleuderpreisen, (Foto: Screenshot/ DAZ.online)


In Großbritannien tobt der Preiskampf um das Notfallkontrazeptivum Levonorgestrel. Seit einiger Zeit sind entsprechende Präparate bei der Online-Apotheke Chemist 4 U für 4,99 Pfund (5,52 Euro) zu bekommen. Die Konkurrenz Pharmacy 2 U bietet das gleiche Medikament für 6,50 Pfund (7,19 Euro) an. Noch ziehen die Präsenz-Abgabestellen nicht mit, aber der Druck wächst.  

Angefangen hatte das Ganze mit einer Kampagne eines der führenden Schwangerschaftsberatungs-Services British Pregnancy Advisory Service (BPAS), wonach die Notfallkontrazeption für die Frauen erschwinglicher und einfacher zugänglich werden sollte. Wie „The Guardian“ berichtet, hatte BPAS die Einzelhändler angeschrieben mit der Bitte, die Präparate preisgünstiger anzubieten. Britische Frauen müssten für die Pille-danach mehr als fünfmal so viel hinlegen wie in anderen europäischen Ländern, wurde als Begründung angegeben. Tesco and Superdrug knickten unter dem Druck von BPAS ein und senkten ihre Preise auf die Hälfte. Wie im „Guardian“ nachzulesen ist, kostet Levonelle (Levonorgestrel) bei Tesco seitdem 13,50 Pfund (14,93 Euro), und Superdrug nimmt für eine generische Version 13,49 Pfund (14,91 Euro). 

Boots bleibt standhaft

Boots dagegen blieb standhaft. Dort müssen Frauen für Levonelle demgegenüber 28.25 Pfund (31,23 Euro) und für ein Boots-Generikum 26.75 (29,57 Euro) bezahlen. Eine Preissenkung würde den Missbrauch der Notfallkontrazeption begünstigen, gibt Boots als Grund für seine Verweigerungshaltung an. „Das wollen wir uns nicht vorwerfen lassen“, sagt der Chef-Apotheker von Boots UK Marc Donovan. BPAS ließ jedoch nicht locker: „Es gibt keinen Zweifel, dass der hohe Preis eine absolute Barriere für die Frauen ist und dass er sie unnötigerweise einem erhöhten Risiko einer ungewollten Schwangerschaft aussetzt”, reklamiert Clare Murphy, Direktorin für externe Angelegenheiten bei BPAS. Boots solle noch einmal darüber nachdenken. Die so gescholtene ließ BPAS auch bei diesem zweiten Vorstoß abblitzen.  

Online-Kauf ist noch billiger, aber nur im Voraus

Damit ist aber noch nicht Schluss. Einige Online-Apotheken verkaufen das Medikament sogar für weniger als die Hälfte der Tesco-und Superdrug-Angebote, schreibt das Pharmaceutical Journal. Die Online-Apotheke Chemist 4 U bietet Levonorgestrel seit Februar 2017 unter dem Handelsnamen Ezinelle 1,5 mg für 4,99 Pfund (5,52 Euro) an, und die Konkurrenz Pharmacy2U ein Präparat für 6,50 Pfund (7,19 Euro). „Wir arbeiten seit Februar mit dem Britischen Schwangerschaftsberatungs-Service zusammen“, erklärt der Geschäftsführer von Chemist 4 U Shamir Patel. „Er hat bei uns angefragt, zu welchem Preis die Pille verkauft werden könnte und sollte. Danach haben wir unseren Preis auf 4,99 Pfund gesenkt.“ Patel betont, dass seine Versandapotheke das Notfall-Kontrazeptivum im Einklang mit den Leitlinien des National Institute for Health and Care Excellence (NICE) nur als Lieferung im Voraus vertreibt. „Für den sofortigen Einsatz würden wir es nicht herausgeben, sondern empfehlen, hierfür in eine Apotheke zu gehen“, sagt er. Für Patel ist das nicht viel anders, als beim Kauf eines Erfrischungsgetränks. Hier zahle der Kunde auch einen „convenience“-Aufschlag, wenn er das Produkt irgendwo an der Tankstelle kauft, statt dafür in einen Supermarkt zu gehen. 

Praktisch verlinkt

Clare Murphy von BPAS freut sich: „Wir haben die Frauen immer dazu ermutigt, die Pille danach in ihrem Badezimmerschrank parat zu haben. Deswegen ist es großartig, wenn Chemist 4 U das so macht.“ Auf der Website der Schwangerschaftsberatung wird direkt und exklusiv auf die Bezugsquelle Chemist 4 U verwiesen, zusammen mit einem Link für den sofortigen Einkauf und mit der Einschränkung, dass das Präparat dort nur vorab bezogen werden kann. Murphy hält es jedoch nicht für realistisch, dass viele Frauen dieses Angebot tatsächlich wahrnehmen, weil sie denken, dass sie sie niemals brauchen werden. Deswegen will BPAS erreichen, dass auch die anderen Vor-Ort-Abgabestellen preislich nachziehen. Murphy bezieht sich bei ihrer Forderung auf eine YouGov-Umfrage vom letzten Jahr.

Beratung in der Apotheke unnötig und peinlich?

Die YouGov-Umfrage war infolge der BPAS-Kampagne gestartet worden. Sie bezog sich auch auf eine der Hauptforderungen von BPAS, die notwendige Beratung in der Apotheke vor der Abgabe der Pille-danach abzuschaffen. Das sei „unnötig und peinlich", fand BPAS. Die Ergebnisse der Befragung offenbarten jedoch geteilte Meinungen dazu. 42 Prozent befürworteten die Abschaffung, aber ebenso viele sprachen sich dagegen aus. Interessanterweise wollten mehr Männer (45 Prozent) als Frauen (39 Prozent), dass die Beratung abgeschafft wird. Für die Beibehaltung waren fast 50 Prozent der Frauen und nur 35 Prozent der Männer.

Weiterhin wurden die Bürger gefragt, welchen Preis sie für die Pille-danach für angemessen hielten. Rund ein Drittel der befragten Frauen gab an, die Pille gar nicht selbst bezahlen zu wollen. Gut die Hälfte erklärte sich zur Kostenübernahme bereit, und zwar in Höhe von 8 Pfund (im Mittel). Die Männer würden demgegenüber im Schnitt lediglich 5 Pfund dafür hinlegen wollen.  

Teilweise auch kostenfrei erhältlich

Sowohl Levonelle als auch EllaOne sind in Großbritannien teilweise auch unentgeltlich zu bekommen, aber nur in bestimmten Abgabestellen, wie zum Beispiel Gesundheitszentren des NHS und für Frauen über 16 Jahren in einigen Landesteilen auch in Apotheken.

Die Vorsitzende der Royal Pharmaceutical Society England Sandra Gidley würde sich wünschen, dass alle öffentlichen Apotheken in England Notfallkontrazeptiva im Rahmen des NHS kostenfrei an die Frauen abgeben dürfen, so wie dies in Schottland und Wales schon seit einiger Zeit gehandhabt wird.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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4 Kommentare

Frau Murphys Wunsch

von Sven Larisch am 16.08.2017 um 15:29 Uhr

Ich Frage mich, ob die BPAS immer solche erpresserischen Methoden verwendet. Und warum soll jede Frau in GB die Pille danach im Badezimmerschrank haben (abgesehn davon, das die bestimmt nicht den üblichen Lagervorschriften für Medikamente entspricht)?
Die Dame der BPAS scheint doch zu Mitteln zu greifen, die ihre kognitiven Fähigkeiten einschränken (darf man das schreiben?)
Und selbst nahc einer Panner bein Sex sollte es auch in GB möglich sein zu jeder Tages- und Nachtzeit eine Apotheke/Verkaufsstelle zu finden.
Ich kenne meinen Einkaufspreis für Ellaone und Pidana.. daher frage ich mich,k wie online das Prokukt knapp 5 Pfund kosten kann? Da ist doch nichts dran verdient. Ist ja eine Schenkung.
Brrrrr einfach gruselig der Gedanke

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Alles wird verramscht werden - egal was es kostet

von Ratatosk am 16.08.2017 um 10:29 Uhr

Warum hier sich wundern ?
In Spanien die Antibiotika im Supermarkt, wenn dann tausende an explodierenden Resitenzen sterben, ist in der Politik sowieso keiner Schuld, und vorher sind noch Schlagzeilen über die tollen Erfolge der Verbilligung in der Presse, ist in D ja auch nicht mehr anders. In der UDSSR war ja sogar die Abtreibung mit allen gravierenden Problemen eher Standard als normale Verhütung.
Die online Bestellung und das Schicken ist aber z.B gerade bei der FDP irgendwie hipp und cool und digital ist sowieso toll.

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Wert der Frau?

von Heiko Barz am 15.08.2017 um 11:22 Uhr

Welch eine Welt, in der niemanden mehr die komplexe Hormonstruktur des weiblichen Körpers interessiert.

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AW: Wert der Frau

von Felix Maertin am 15.08.2017 um 13:20 Uhr

Was hat die Hormonstruktur mit einem gerissenem Kondom und der Notwendigkeit einer Schwangerschaftsverhütung zu tun?

Ich frage mich eher, ob für 5 Pfund nicht gleich jede Verhütung weggelassen wird und einfach die Pille danach zum Standard wird...

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