Gestreckte Arzneimittel

Bottroper demonstrieren vor Zyto-Apotheke

Bottrop - 07.09.2017, 11:45 Uhr

In Bottrop demonstrierten am Mittwoch mehr als 150 Personen, die auch strengere Kontrollen bei Zyto-Apotheken forderten. (Fotos: hfd / DAZ.online)

In Bottrop demonstrierten am Mittwoch mehr als 150 Personen, die auch strengere Kontrollen bei Zyto-Apotheken forderten. (Fotos: hfd / DAZ.online)


Am gestrigen Mittwochabend haben sich gut 150 Bottroper einem Schweigemarsch angeschlossen, um auf den Skandal um einen Zyto-Apotheker aufmerksam zu machen. Der Apotheker soll laut Anklage mehr als 60.000 Arzneimittel nicht korrekt hergestellt haben. Die Bürgerinnen und Bürger fordern eine umfassende Aufklärung des Falles – und zukünftig strengere Kontrollen. Viele zündeten in Erinnerung an Verstorbene Kerzen an.

Gegen fünf Uhr Nachmittag ist es am gestrigen Mittwoch noch ruhig an der Apotheke in der Innenstadt in Bottrop, die im Zentrum eines der größten Arzneimittel-Skandale der letzten Jahre steht. Dem früheren Betreiber Peter S. wirft die Anklage vor, allein in den vergangenen fünf Jahren mehr als 60.000 Rezepturen unter schlechten Hygienebedingungen hergestellt und in sehr vielen Fällen erheblich unterdosiert zu haben – tausende Patienten sollen betroffen sein. Seine Mutter führt inzwischen wieder die Apotheke, doch sei sie nicht zu sprechen, erklärt eine Apothekerin. Auch weitere Fragen bleiben unbeantwortet.

„Man fühlt sich so ohnmächtig und wird so wütend“, erklärt eine Frau, die sich nur gut 100 Meter von der Apotheke entfernt mit anderen Demonstranten vor dem Büro des Recherchebüros Correctiv versammelt hat, das zum Fall recherchiert. Ihr inzwischen verstorbener Mann erhielt Zytostatika, die in der Bottroper Apotheke hergestellt worden waren. Viele Betroffene wühlt die Ungewissheit auf, dass ihre Mittel womöglich gestreckt wurden. „Man leidet ganz schön darunter“, sagt eine Brustkrebspatientin, die vor zwei Jahren Zytostatika von dem Beschuldigten erhielt. Furchtbar sei, dass die Ärzte die Patienten nicht informieren, sagt ihr Mann. Die Frau ist dabei, über eine Anwältin Klage gegen den Apotheker einzureichen. In ihrem – wie auch vielen anderen Fällen – ist unklar, inwiefern sie von möglichen Unterdosierungen betroffen ist.

Organisatorin Heike Benedetti bei ihrer Ansprache zum Beginn der Demo.

„Gemeinsam können wir vieles bewegen“, ruft kurz drauf Heike Benedetti, die gleichfalls von dem Fall betroffen ist. Sie hat die Demo bei der Polizei angemeldet – rund 50 Personen hatte sie erwartet. Alle Hoffnung hätten die Patienten in die Chemotherapie gesetzt, erklärt sie, doch Kochsalzlösung könne nicht heilen. Vielen Patienten hätten die mutmaßlichen Taten des Apothekers Monate, wenn nicht Jahre ihres Lebens gekostet, sagt sie zum Auftakt der Demonstration. Gleichzeitig fordert sie für die Zukunft unangekündigte Kontrollen. „Wenn dies hier der Fall gewesen wäre, könnten viele Patienten noch leben“, ist sie sich sicher. Sie werde bei Prozessbeginn an der Tür des Gerichtssaals stehen, erklärt Benedetti. 

Viele Betroffene stellen in der Nähe der Apotheke Kerzen ab

Der Demonstrationszug setzt sich nach der Rede mit gut 150 bis 180 Personen in Bewegung. Auch viele Medienvertreter sind dabei, darunter auch große Fernsehsender. Auf einigen Postern stehen Aufschriften wie „Warum klären unsere Gesundheitsämter die Betroffenen nicht auf“, oder „Weil Gesundheit ein Geschenk ist ???“ – eine Anspielung an das Motto der Apotheke. Insgesamt ist die Stimmung sehr ruhig. Vor der Apotheke des Angeklagten kommt der Zug zum Stoppen. Viele Betroffene stellen vor der gegenüberliegenden Kirche Kerzen ab, man spricht miteinander und stärkt sich gegenseitig.

Eine Frau, die vor drei Jahren auch Chemotherapeutika aus der Apotheker erhalten hatte sagt: „Es kann nicht sein, dass unser Gesetzgeber da nichts macht.“ Seitdem der Skandal ans Licht der Öffentlichkeit gekommen ist, spiele sich bei ihr ein Kino im Kopf ab. „Es ist alles wieder so präsent“, sagt sie. Sie habe erst durch die Medien von dem Fall gehört – niemand sei informiert worden. Inzwischen haben sie Anzeige gegen Peter S. gestellt.

Eine junge Frau erzählt, dass ihre Mutter gleichfalls betroffen war. Im Dezember habe sie eine Anwältin eingeschaltet – auch da ihr nicht als Nebenwirkung der Chemotherapie die Nägel ausgefallen sind. „Sie hat die ganze Zeit auf die Nebenwirkungen gewartet“, sagt die Tochter – aber ihrer Mutter sei es erstaunlich gut gegangen. Doch im April dieses Jahres verstarb sie dann.

Zur Demonstration ist auch der ehemalige kaufmännische Leiter der Zyto-Apotheke Martin Porwoll gekommen. „Ich finde es schon beeindruckend“, sagt er zur Zahl der Demonstranten. Er konnte es lange nicht glauben, was sein langjähriger Freund und später dann Chef getan haben soll. Doch nachdem es schon über Jahre Gerüchte gab, rechnete Porwoll nach und gab im vergangenen Jahr entscheidende Hinweise, die mit zur Verhaftung des Apothekers führten. Wie kam es, dass nicht schon vorher ein Mitarbeiter eingeschritten ist? „Auch der größte Wahnsinn wird normal“, sagt Porwoll. Das System des Zyto-Apothekers sei „nahezu perfekt“ gewesen. Alle paar Minuten kommt ein Betroffener und bedankt sich bei ihm.  

Demonstrationen sollen nun monatlich stattfinden

Die letzten Demonstranten bleiben bis kurz vor sieben vor der Apotheke. Sie sei sehr zufrieden, sagt Organisatorin Benedetti. „Ich habe ehrlich gesagt nicht geglaubt, dass so viele kommen“, erklärt sie. Sie hoffe, dass sich jetzt auch etwas bewegt – der Oberbürgermeister habe sich bislang nur einmal zum Thema geäußert. Benedetti will die Demonstrationen nun regelmäßig organisieren – zumindest einmal im Monat. „Bis uns etwas anderes einfällt“, erklärt sie.

Der Betreiber einer nahegelegenen Apotheke zeigt sich bestürzt über den Skandal. „Wir sind alle fassungslos“, erklärt der Apotheker, der namentlich nicht genannt werden möchte. „Natürlich waren wir erstmal geschockt.“ Vielen Apothekern in Bottrop begegneten die Kunden nun mit etwas Misstrauen. „Das Ausmaß an krimineller Energie ist nicht vorstellbar“, sagt der Pharmazeut. „Wir können das nicht verstehen.“

Peter S. schweigt bislang zu den Anschuldigungen. Auf Anfrage von DAZ.online haben sich auch seine Verteidiger bislang nicht geäußert. 



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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