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Europa-Diskussion auf dem Apothekertag
„Kathedrale“ Europa - mit Macken
Vielversprechend war es angekündigt, das Themenforum „Europa und die Gesundheitspolitik – was war, was ist, was wird“. Drei Referate, eine zerfledderte Diskussion und drei Stunden später blieb man ein wenig ratlos zurück, wie man sich in diesem Europa als Heilberuf zurechtfindet, mit welchen Strategien man nationalstaatliche Interessen bewahrt und wie man verhindert, dass Europas Maximen wie neoliberale Gedanken und Wettbewerb an erster Stelle alles dominiert.
Fundiert und auf hohem Niveau setzte sich der Jurist Prof. Dr. Klaus Rennert, Präsident des Bundesverwaltungsgerichts, mit Europa und dem Thema der Freien Berufe auseinander. Wobei, so Rennert, die Bezeichnung „Freie Berufe“ leicht irreführend sei, denn gerade diese Berufe, zu denen auch der Apothekerberuf gehört, unterlägen in den meisten EU-Staaten strengeren Regulierungen als andere Berufe, wegen des Mandanten- und Patientenschutzes.
Wettbewerb über alles
Der Europäischen Kommission gefiel allerdings nicht, dass bestimmte Regulierungen vor unliebsamer Konkurrenz schützten, man deregulierte. Rennert: „Jede nationale Reglementierung ist Europa ein Dorn im Auge, denn Reglementierungen sind gegen Wettbewerb. Wettbewerb aber schafft Wohlstand, so die Denke, und das ist ein wichtiges Ziel der Kommission.“ Mit einem Maßnahmenbündel strebt die Kommission daher den Abbau von Reglementierungen an.
Rennert kritisierte, dass die Kommission dabei die Regelungsautonomie der Mitgliedstaaten gering achtet und nannte als Beispiel die Dienstleistungsrichtlinie, die sich zurzeit im europäischen Gesetzgebungsverfahren befindet und von der europäischen Kommission bearbeitet wird. Gemäß dieser Richtlinie sollen nationale Reglementierungen bei Freien Berufen künftig mit dem Rest Europas abgestimmt werden. Die Freiberufler in Deutschland laufen schon seit Monaten Sturm dagegen. Die ABDA hat sich bereits mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, der Bundesärztekammer, der Bundeszahnärztekammer, der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung sowie der Bundes-Psychotherapeutenkammer zusammengetan und alle Ausschussmitglieder angeschrieben. Das Ziel dieser Aktion ist, eine Ausnahmeregelung für den Gesundheitsbereich zu erwirken.
Nach Rennert stehen bei solchen Diskussionen und Gesetzesvorhaben Politik und Gerichtsbarkeit, Mitgliedstaaten und Kommission im Wettstreit: „Darf ein Mitgliedstaat eine Regelung für richtig erachten, wenn es ein anderer nicht tut?“ Rennert sieht hier zudem eine Kompetenzverschiebung: Denn Mitgliedstaaten würden durch solche Richtlinien Gestaltungsmacht zugunsten der Kommission verlieren. Letztlich werde auch die Justiz überfordert, da Gerichte immer mehr über Fragen entscheiden müssten, die eigentlich politisch geregelt werden müssten. Rennerts Fazit: Man sollte solche Bestrebungen wieder auf ein normales Maß zurückführen, um an der Kathedrale Europa weiterzubauen.
Dienstleistungspaket: Heilberufe ausschließen!
Michael Jung, Jurist im Geschäftsbereich Recht der ABDA, stellte die vielen positiven Errungenschaften der EU heraus wie Freizügigkeit im Binnenmarkt und beim freien Warenverkehr, insbesondere auch die automatische Anerkennung der Berufsqualifikationen in den EU-Ländern. Aber das Dienstleistungspaket sieht auch er kritisch. Die Kommission könnte beispielsweise untersagen, dass bestimmte Regelungen für die Heilberufe erlassen werden. Der Mitgliedstaat müsste sich vor dem EuGH wehren. Noch ist die Richtlinie nicht verabschiedet, es muss auch die Zustimmung des Europäischen Parlaments und des Rats der Europäischen Union erhalten. Hier könnte man ansetzen. Derzeit versucht man auch mit Gesprächen zwischen den Beteiligten, zu überzeugen, dass Heilberufe von diesem Dienstleistungspaket ausgeschlossen werden sollen. Jungs Fazit: Unsere Arbeit zu EU-Themen wird sich intensivieren. Allerdings müssen nachteilige Tendenzen korrigiert werden, die Kommission ist in ihre Schranken zu weisen.
Verhandlungstisch statt Schlachtfeld
Kritisch setzte sich auch der Journalist Rolf Dieter Krause mit dem Thema EU auseinander. Die EU habe, das stehe an erster Stelle, Frieden und Prosperität geschaffen. Die europäischen Nationen haben ihre Eigenheiten behalten, „sie gehen sich auch mal auf den Wecker“, so Krause, „aber das Schlachtfeld wurde durch den Verhandlungstisch ersetzt, Konflikte werden friedlich ausgetragen – das geht nur in einer EU.“ Dennoch, zum Teil überfordere europäische Politik den Bürger. Niemand erkläre dem Bürger beispielsweise, was die Währungsunion wirklich bedeute. So sei vielen nicht bewusst, dass sie auch Auswirkungen auf die Tarifpolitik habe. Oder: „Was bedeutet eigentlich die Forderung nach Schutz der Außengrenzen? Die EU habe, so Krause, auch Schwachstellen. „Wir schätzen unsere Werte in Europa nicht. Die Pressefreiheit in Ungarn und Polen sei fast erledigt, auch die Justiz sei massiv beschädigt. Aber die EU hat keine Mittel und Wege, dagegen vorzugehen“, so Krauses Ansicht. Den Euro sieht er nicht als Erfolgsgeschichte, die Ungleichgewichte der Länder seien größer geworden. Einen Ausstieg aus dem Euro könne sich aber kein Staat leisten, „der Euro ist auch eine Zwangsjacke.“ Krauses Prognose: „Auf Dauer wir eine EU nicht überleben, wenn es nicht allen gut geht. Wir müssen auf andere Länder zugehen.“
In der sich anschließenden Diskussion versuchten die Teilnehmer unter der Moderation von ABDA-Sprecher Reiner Kern, die angesprochenen Punkte zu vertiefen. Themen wie Klimapolitik oder Subsidiarität, heruntergebrochen auf Regelungen für Staubsauger oder den Dieselverbrauch von Fahrzeugen, die Einschätzung, dass sich die Richter am Bundesgerichtshof mögen, Äußerungen wie „wir sind alle Menschen“ oder der Appell, dass Apotheker ihre Arbeit in den Apotheken weiterhin gut machen sollten, außerdem Fragen und Antworten, die aneinander vorbeiliefen, brachte die Diskussion gefühlt auf ein Stammtischniveau. Man kann es allerdings auch als Beispiel sehen, dass es nicht einfach ist, Europa zu verstehen, an der Kathedrale Europa zu bauen. Manchmal wäre wohl weniger mehr.
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