Schweiz

Dispensierende Ärzte verursachen Millionen-Mehrausgaben

Remagen - 23.10.2017, 13:05 Uhr

In der Schweiz dürfen Ärzte vielerorts Arzneimittel abgeben. Einer Studie zufolge verursachen sie damit Mehrausgaben in Millionenhöhe. (Foto: dpa)

In der Schweiz dürfen Ärzte vielerorts Arzneimittel abgeben. Einer Studie zufolge verursachen sie damit Mehrausgaben in Millionenhöhe. (Foto: dpa)


In der Schweiz dürfen Ärzte in vielen Kantonen selbst Arzneimittel an ihre Patienten abgeben (SD-Ärzte). Eine neue Studie belegt, dass besonders die Hausärzte, aber auch Fachärzte die Gesundheitskosten damit immens in die Höhe treiben. Darüber berichten verschiedene Schweizer Medien.

Eine neue Studie der Ökonomen Daniel Burkhard, Christian Schmid und Kaspar Wüthrich vom Volkswirtschaftlichen Institut und Center for Regional Economic Development (CRED) hat ergeben, dass die Selbstdispensation von Arzneimitteln durch die Ärzte die Arzneimittelausgaben in der Schweiz bei Hausärzten um 51 Prozent und bei Fachärzten um 32 Prozent erhöht. Die Mehrkosten sollen vor allem darauf zurückgehen, dass mehr Medikamente verschrieben würden. Hochgerechnet soll die Medikamentenabgabe durch Haus- und Fachärzte nach der Studie zusammengerechnet jährliche Mehrkosten von rund 300 Millionen Franken verursachen. 

Die Studie sei noch nicht veröffentlicht, sagen die Autoren, soll aber verfügbar sein. Das Kernergebnis wurde aber bereits von zahlreichen Schweizer Medien aufgegriffen.

Ärzteschaft: Studie ist unvollständig

Die Ärzteverbindung FMH (Foederatio Medicorum Helveticorum), der Dachverband von über 70 Ärzteorganisationen, hält die Studie laut „blick.ch“ für „fragwürdig und unvollständig“. Wichtige Faktoren würden ignoriert. Ärzte hätten eine bessere Kontrolle darüber, wie viele Medikamente sie verschreiben, ob die Patienten die Medikamente richtig einnehmen und wie sie wirken, behauptet Urs Stoffel, Vorstandsmitglied der FMH.

„Studien als gesundheitspolitisches Instrument“

Die Autoren von der Uni Bern hatten bereits 2013 und 2015 mit Studien zu der Thematik für Furore gesorgt. In der ersten Untersuchung hatten Boris Kaiser und Christian Schmid eine Erhöhung der Medikamentenkosten pro Patient durch die Selbstdispensation um 34 Prozent ermittelt. In der zweiten fanden Daniel Burkhard, Christian Schmid und Kaspar Wüthrich einen Mengeneffekt, der bei SD-Allgemeinärzten um 26 Prozent und bei SD-Fachärzte 10 Prozent höhere Arzneimittelausgaben verursachte.

5830 dispensierende Ärzte

Ein gegenteiliges Bild vermittelte eine Studie des Wirtschafts-Beratungsunternehmens Polynomics in Olten („Polynomics-Studie“) im Auftrag des Schweizer Bundesamtes für Gesundheit (BAG), deren Ergebnisse 2015 publiziert wurden. Im Gegensatz zu den Berner Wissenschaftlern fanden die Autoren für die SD-Ärzte um 13 Prozent (inklusive Leistungsorientierte Abgeltung, LOA) beziehungsweise 6 Prozent (ohne LOA) tiefere Medikamentenkosten als für die nicht dispensierenden.

Die Vereinigung der Ärzte mit Patientenapotheke (APA) spricht deshalb in einer vergleichenden Analyse der Stärken und Schwächen der drei Untersuchungen von „Studien als gesundheitspolitisches Instrument“.

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Insgesamt gibt es in der Schweiz mehr als dreimal so viele dispensierende Ärzte (5830) wie Apotheken (1792). Über die Erlaubnis entscheiden die Kantone. In 17 von 19 Deutschschweizer Kantonen dürfen die Ärzte Medikamente an ihre Patienten abgeben. Anders präsentiert sich die Situation in der Westschweiz sowie in den Kantonen Basel-Stadt und Aargau. Dort besitzen die Apotheken das Monopol für die Abgabe von Arzneimitteln. Die Kantone Bern und Graubünden und bis Ende 2017 auch der Kanton Schaffhausen betreiben ein spezielles Mischsystem.

Je mehr SD-Ärzte, umso weniger Apotheken

Die Auswirkungen auf die Arzneimitteldistribution, die sich hieraus ergeben, sind eklatant. Kantone mit einem hohen Anteil an SD-Ärzten haben gegenüber den anderen Kantonen in der Regel eine deutlich niedrigere Apothekendichte. Der Kanton St. Gallen zum Beispiel hatte im Jahr 2014 pro 100.000 Einwohner 169 SD-Ärzte, aber nur 11 Apotheken. Während in Gebieten ohne ärztliches Dispensierrecht 96 Prozent der Arzneimittel über die Apotheken abgegeben werden, geben in SD-Gebieten Ärzte 85 Prozent der kassenpflichtigen Medikamente direkt an ihre Patienten ab. Insgesamt verkaufen die Ärzte in der Schweiz nach Wert rund ein Viertel aller Medikamente.

Lohnendes Geschäft

Das „Geschäft“ kann bei den SD-Ärzten einen großen Anteil am Praxisumsatz ausmachen. Rund 40 Prozent aller praktizierenden Ärzte bessern damit ihr Salär auf. Sie werden dabei auch durch die Erstattungsregelungen begünstigt, denn die Höchstpreise der Spezialitätenliste sind unabhängig vom Abgabekanal immer gleich. Der Vertriebsanteil, der in diese Preise einfließt, ist aber auf die Situation in den Apotheken abgestellt und nach Meinung des Apothekerverbands pharmaSuisse für SD-Ärzte zu hoch angesetzt. Dass die Abgabe über die Ärzte einen Teuerungseffekt induziert, belegt die Kostenentwicklung bei den Arzneimittelausgaben. Zwischen 2000 und 2013 stieg der Umsatz an kassenpflichtigen Präparaten in Apotheken um rund 36,6 Prozent, bei den SD-Ärzten mit direktem Medikamentenverkauf dagegen um 73,2 Prozent.

SD-Ärzte machen 1,3 Milliarden Franken Umsatz mit Arzneimitteln

Trotzdem sollen die durchschnittlichen Medikamentenkosten pro versicherter Person in Kantonen mit Selbstdispensation deutlich tiefer liegen als in den Rezepturkantonen. Dies behauptet jedenfalls die Vereinigung der Ärzte mit Patientenapotheke (APA). Die Apotheken verdienten mit Abstand am meisten Geld mit dem Verkauf von Medikamenten, schreibt die APA auf ihrer Webseite. Sie hätten 2016 einen Umsatz von über 2,8 Milliarden Franken mit Arzneimitteln erzielt, während die SD-Ärzte lediglich auf 1,3 Milliarden Franken kämen.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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