Pflegereform wirkt

Plus 220.000 Leistungsempfänger in der Pflege

Berlin - 23.10.2017, 11:35 Uhr

Mehr Leistungsempfänger nach der Pflegereform: Durch die Überarbeitung der Pflegebedürftigkeits-Begutachtungen haben nun mehr Menschen Anspruch auf Pflege-Leistungen. (Foto: Ingo Bartussek / fotolia)

Mehr Leistungsempfänger nach der Pflegereform: Durch die Überarbeitung der Pflegebedürftigkeits-Begutachtungen haben nun mehr Menschen Anspruch auf Pflege-Leistungen. (Foto: Ingo Bartussek / fotolia)


Es war die größte Reform seit dem Start der Pflegeversicherung 1995. Nach jahrelangen Vorbereitungen kam die Umstellung des Pflegesystems Anfang dieses Jahres. Wurden die Pflegebedürftigen zuvor in drei Pflegestufen eingruppiert, gelten nach dem Pflegestärkungsgesetz II fünf Pflegegrade: Die Reform wirkt: Hunderttausende haben nun einen Anspruch auf Leistungen. Für eine mögliche Jamaika-Koalition bleibt trotzdem noch viel Arbeit.

Die Große Koalition hat in der nun endenden Legislaturperiode mehrere Pflege-Gesetze beschlossen. Das Wichtigste war sicherlich das sogenannte Pflegestärkungsgesetz II, mit dem die Einstufung von Pflegebedürftigen revolutioniert wurde. Mit einer Neudefinition des Pflegebedürftigkeitsbegriffes wurde sichergestellt, dass beispielsweise auch Demenzkranke, die vorher keinen Leistungsanspruch hatten, nun von Pflegeleistungen profitieren können. Außerdem wurden die drei Pflegestufen auf fünf Pflegegrade umgestellt.

Nun zeigt sich: Die offiziellen Erwartungen an die Reform scheinen sich zu erfüllen. Zum Start der Reform rechnete der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) mit rund 200.000 zusätzlichen Personen. Mittelfristig sollen es laut Gesundheitsministerium sogar 500.000 sein. Nun liegen Zahlen für die ersten drei Quartale des Jahres vor: 220.000 Menschen bekamen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum zusätzlich Leistungen – die meisten aufgrund der Pflegereform.

„Mehr pflegebedürftige Menschen werden anerkannt, und sie erreichen durch die neue Pflegebegutachtung höhere Pflegegrade“, sagt der Geschäftsführer des Medizinischen Diensts, Peter Pick. Neu oder deutlich besser berücksichtigt werden Beeinträchtigungen von Wahrnehmung, Aufmerksamkeit und Erinnern etwa bei Demenz. Leichter Leistungen bekommt, wer von zu Hause oft wegläuft, Arztbesuche nicht gut absolvieren oder sonst den Alltag nicht gut bewältigen kann. Körperliche Beeinträchtigungen spielen nicht mehr die alles dominierende Rolle – gemessen wurde über Jahre exakt die Dauer der benötigten Unterstützung.

Nach PSG II: Mehr Gutachten, mehr Leistungsempfänger

Mit dem PSG II wurde das gesamte Begutachtungsverfahren auf den Kopf gestellt: Seit Anfang des Jahres gelten für die Begutachtungsverfahren bei der Pflegebedürftigkeit neue Regeln, die die Gutachter des MDK erst einmal einstudieren mussten. Und auch bei den Gutachten-Statistiken zeigt sich, wie die Reform wirkt: 2016 erstellten die MDK-Gutachter noch für 1,67 Millionen Menschen Gutachten über ihre Pflegebedürftigkeit. 20 Prozent wurden als nicht bedürftig eingestuft, 37,9 Prozent bekamen Pflegestufe 1 – und 35,1 Prozent die höheren Pflegestufen 2 und 3. Von den 1,11 Millionen Versicherten, die in den ersten neun Monaten des laufenden Jahres vom MDK begutachtet wurden, wurden nur noch 13,6 Prozent als nicht bedürftig eingestuft. 17,6 Prozent erhielten den geringsten Pflegegrad 1. Für 29,1 Prozent empfahlen die Gutachter Grad 2. Als schwer oder schwerst beeinträchtigt wurden knapp zwei Fünftel eingestuft: 21,7 Prozent in Grad 3 – 18 Prozent in Grad 4 und 5.

Die Gutachter im Kassenauftrag haben viel zu tun. Hunderttausende wurden noch nach dem alten Verfahren begutachtet, weil sie ihre Anträge vor Jahresbeginn gestellt hatten, viele stellten zudem einen Antrag auf Höherstufung oder ließen sich neu begutachten. Über 1,38 Millionen Versicherte wurden begutachtet. Die Bearbeitungszeiten gingen in die Höhe, gingen dann aber wieder leicht auf nun 32 Tage zurück.

Jamaika-Koalition hat viele Baustellen in der Pflege

Die Überarbeitung des Pflegebedürftigkeitsbegriffes wurde erstmals von der damaligen SPD-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt 2006 mit einem Expertenbeirat angestoßen. Dann zog es sich über Jahre. Mit dem Reformstart wurde außerdem der Pflegebeitragssatz zum 1. Januar 2017 noch einmal um 0,2 Prozentpunkte angehoben, um die besseren Leistungen finanzieren zu können, auf 2,55 Prozent vom Brutto.

Nun kann Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU), der in der großen Sondierungsrunde für eine Jamaika-Koalition mit am Tisch sitzt, auf Erfolge verweisen, wenn das Thema Pflege zur Sprache kommt. Trotzdem ist der Reformdruck nach wie vor enorm. In den Krankenhäusern fehlen landauf, landab Schwestern und Pfleger – auch weil die Kliniken eigentlich für die Pflege vorgesehene Mittel nicht selten anders einsetzen. Seit einem Vierteljahrhundert ist die Zahl der Klinikärzte um 66 Prozent auf rund 158.100 gestiegen. Eine Abnahme um 1000 auf rund 325.100 gab es bei den Pflegekräften.

In der Altenpflege sieht die Lage nicht viel besser aus. Es gibt seit Jahren immer mehr Pflegebedürftige. Vor zehn Jahren waren es rund 2,03 Millionen, bis Ende 2016 stieg die Zahl binnen einen Jahres um 84 000 auf 2,75 Millionen. Hektik und Stress ist in vielen Heimen an der Tagesordnung, die Zeit ist knapp, die Bezahlung der Pflegekräfte oft mäßig, und die Betroffenen müssen hohe Eigenanteile zahlen.



dpa-AFX / DAZ.online
redaktion@daz.online


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