Arzneimittelkosten

Wer finanziert das 1-Million-Dollar-Arzneimittel?

Berlin - 24.10.2017, 14:45 Uhr

Schon bald könnte es Arzneimittel geben, die mehr als eine Million Dollar kosten. Wer finanziert solche Arzneimittel? (Foto: shima-risu / stock.adobe.com)

Schon bald könnte es Arzneimittel geben, die mehr als eine Million Dollar kosten. Wer finanziert solche Arzneimittel? (Foto: shima-risu / stock.adobe.com)


Die Medizin erlebt eine Phase therapeutischer Durchbrüche. Technologien wie die CAR-T-Immuntherapie oder große Fortschritte in der Immuntherapie haben aber ihren Preis: Behandlungskosten von mehreren hunderttausend Dollar sind keine Seltenheit mehr. Mittlerweile entwickelt die Biotech- und Pharmaindustrie Arzneimittel, deren Preis sogar bei einer Million Dollar liegen könnte. Aber wie sollen die Gesundheitssysteme solche Produkte finanziell tragen? Sind Pay-for-Performance-Modelle eine Lösung?

Eine Krebstherapie aus der Kombination von Antikörpern und Chemotherapie kostet nicht selten über 100.000 Dollar. Novartis verlangt für sein neues Blutkrebspräparat Kymriah in den USA 475.000 Dollar. Das sind stattliche Preise – doch sie werden wohl nicht das Limit bilden: Es zeichnet sich ab, dass Präparate auf den Markt kommen könnten, die eine Million Dollar kosten. „Die Frage, ob das passiert, ist nicht länger akademisch“, stellte kürzlich das US-Fachmedium Stat fest. Insbesondere hochwirksame neue Produkte aus dem Bereich Gentherapie, die beispielsweise die Blutgerinnung bei Hämophilen wiederherstellen oder seltene Erkrankungen heilen, dürften sehr teuer sein. Konkret verweist Stat auf das US-Unternehmen Spark Therapeutics, das für seine Gentherapie Luxturna kürzlich die Unterstützung eines Beratergremiums der US-Arzneimittelbehörde FDA erhalten hat. Damit dürfte dem Arzneimittel, das bei Kindern eine bestimmte Form der Blindheit heilen könne, in den kommenden Monaten wohl die Marktreife zuerkannt werden. Der Preis, so mutmaßen Marktkenner, könnte bei eben jener einer Million Dollar liegen. Doch wer wird das bezahlen?

Gesundheitsministerium setzt auf bestehende Mechanismen

Hierzulande scheinen angesichts derartiger Szenarien wesentliche Marktteilnehmer weiterhin auf das bestehende System der Preisfindung und Preisgestaltung zu setzen. So stellt das Bundesgesundheitsministerium auf Anfrage von DAZ.online fest: „Für neue Arzneimittel verhandelt der GKV-Spitzenverband einen Preis auf Basis des vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) festgestellten Zusatznutzens. Dies würde auch für die genannten neuen Arzneimittel gelten.“ Der Preis folge also dem belegten Zusatznutzen und könne nicht einseitig vom Hersteller festgelegt werden. Im Übrigen lasse der rechtliche Rahmen für die anschließenden Preisverhandlungen ausreichend Spielraum, „dem Einzelfall angemessene Vereinbarungen abzuschließen und dabei auch einzelfallspezifische Besonderheiten zu berücksichtigen.“

Die Barmer verweist ihrerseits auf die bewährten Regelungen des Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetzes (AMNOG), stellt aber auch klar, dass der Gesetzgeber künftig gefordert sei, die richtige Balance zwischen Innovation und Bezahlbarkeit sicherzustellen. Während sich die frühe Nutzenbewertung neuer Arzneimittel mit anschließender Preisverhandlung etabliert habe, sei dies beim zweiten Schritt, einer Kosten-Nutzen-Bewertung nach Erfahrungen des Arzneimittels im Einsatz, noch nicht der Fall. „Deshalb ist es notwendig, bestehende Einschränkungen für die Kosten-Nutzen-Bewertung aufzuheben und diese bei besonders versorgungsrelevanten Arzneimitteln, welche einen bestimmten GKV-Jahresumsatz überschreiten (zum Beispiel 80 Millionen Euro), regelhaft einzuführen“, so ein Barmer-Sprecher gegenüber DAZ online.

Brainstorming in den USA

In den USA scheint man bei der Frage, wie mit teuren Arzneimitteln umgegangen werden soll, bereits einen Schritt weiter zu sein. Mark McClellan, ein früherer FDA-Mitarbeiter, der heute das Duke-Margolis Center for Health Policy leitet, hat dazu laut dem Stat-Bericht führende Vertreter der US-Gesundheitsbranche an einen Tisch gebracht - unter ihnen Pharmafirmen wie Spark, Bluebird Bio und Pfizer, die an neuen Gen-Arzneien arbeiten, aber auch US-Versicherer wie Harvard Pilgrim und Anthem. „Tatsache ist, dass wir unser Gesundheitssystem des 20. Jahrhunderts weiterentwickeln müssen, um es mit den wissenschaftlichen und medizinischen Durchbrüchen des 21. Jahrhunderts aufzunehmen“, zitiert das Medium Jeff Marrazzo, Vorstandschef von Spark Therapeutics.

Bei Gentherapien werden mithilfe aufbereiteter und DNA-besetzter Viren krankheitserzeugende molekulare Prozesse korrigiert. Dabei handelt es sich um ein kostspieliges Verfahren, dessen Entwicklung meist Jahre dauert. Zudem ist die Patientenanzahl bei vielen der damit behandelbaren Krankheiten relativ klein.

Sparen mit Gentherapien?

Fachleute weisen darauf hin, dass diese Arzneien – sofern sie wirken – die Gesundheitssysteme trotz ihrer hohen Preise viel Geld sparen können. So schreibt Stat, dass herkömmliche Hämophilie-Arzneien pro Jahr mehrere hunderttausend Dollar kosten. Könnte hingegen ein Patient mit einer einmaligen Infusion eines Gen-Arzneimittels geheilt werden, dürfte dies kosteneffektiv sein – selbst wenn das Präparat mehr als eine Million Dollar kostet. Vor diesem Hintergrund, so McClellan, hätten die Unternehmen durchaus einen Grund, Premiumpreise für ihre Produkte zu verlangen.

Auf der anderen Seite werden derartige wissenschaftliche und medizinische Durchbrüche ins Leere laufen, wenn sie nicht bei den Patienten ankommen. „Wenn mehrere solcher teuren Therapien auf dem Markt sind, werden die Premiumpreise vielleicht nicht mehr bezahlbar sein“, sagt Dr. Michael Sherman, Chief Medical Officer des Bostoner Versicherers Harvard Pilgrim Health Care. „Wir müssen also kreativ sein, um die richtige Balance zwischen Marktzugang und Bezahlbarkeit zu finden.“

Geld-Zurück-Garantie in der Arzneimittelversorgung?

Das US-Brainstorm-Konsortium verfolgt vor allem ein Hauptkonzept: die sogenannte Value-Based-Bezahlung, eine Art Geld-Zurück-Garantie oder auch Pay-for-Performance genannt. Patienten oder Versicherer zahlen nur, wenn die Therapie anschlägt und die Krankheit damit bekämpft werden kann. Um den Kostendruck derartiger Arzneimittel zu reduzieren, gibt es zudem die Idee, die Zahlungen über mehrere Jahre zu strecken und den Gesamtbetrag damit von der nachhaltigen Genesung des Patienten abhängig zu machen.

Der Schweizer Pharmakonzern Novartis hat einen ähnlichen Weg mit seinem neuen Krebsprodukt Kymriah bereits beschritten. In den USA hat der Konzern mit den staatlichen Versicherern Medicare and Medicaid vereinbart, dass nur gezahlt werden muss, wenn der Krebs einen Monat nach der Behandlung schwindet.

vfa setzt auf Einzelverträge mit Versicherungen

Auch beim Verband der forschenden Arzneimittelhersteller (VFA) macht man sich zu derartigen Modellen Gedanken. Auf Anfrage von DAZ.online stellt Birgit Fischer, Hauptgeschäftsführerin des Verbandes, fest: „Pay-For-Performance-Modelle waren in Deutschland schon vor Jahren durchaus erfolgreich. Leider kamen sie mit dem Amnog weitgehend zum Erliegen. Man müsste also hierzulande erst einmal Fehlsteuerungen beseitigen, damit der Vertragswettbewerb stimuliert werden kann.“

Laut Fischer könnten die Pharmaunternehmer Pay-For-Performance-Modelle aber nur zusammen mit einzelnen Krankenkassen umsetzen, die nahe am Versorgungsgeschehen seien. Dafür gebe es in Deutschland durchaus ein passendes Instrument: Verträge zwischen einzelnen Pharma-Unternehmen und einer einzelnen Krankenkasse. „Über sie wäre tatsächlich versorgungsnaher Wettbewerb um innovative Vertrags- und Erstattungslösungen möglich“, so die Verbandschefin. Allerdings stehe dem das Amnog entgegen: Zentralverhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband hätten Vorrang vor vertraglichen Lösungen einzelner Kassen mit einzelnen Pharmaunternehmen. Fischer wörtlich: „Es wäre interessant zu sehen, was in Deutschland möglich wäre, wenn der Gesetzgeber den Mut hätte, einzelvertragliche Lösungen aus der babylonischen Gefangenschaft des Amnog zu befreien.“

Hürden des erfolgsabhängigen Modells

In den USA weist Bluebird Bio-Chef Leschly darauf hin, dass auch das erfolgsbasierte Bezahlmodell nicht frei von potenziellen Hürden ist. Was, wenn ein Patient Jahre nach der Gentherapie den Krankenversicherer wechselt? Wer zahlt dann die verbleibenden Rechnungen? Oder was, wenn ein Patient nach einer Behandlung festgelegte Untersuchungstermine nicht einhält und damit nicht festgestellt werden kann, ob das Arzneimittel wirklich wirkt? Was wäre, wenn ein Arzneimittel wie Kymriah nach einem Monat Behandlungszeit zu wirken scheint und die Versicherung zahlt, danach der Krebs aber wieder auftritt?

Die Frage nach der Messbarkeit eines Behandlungserfolges stellt auch der deutsche GKV-Spitzenverband: „Es liegt auf der Hand, dass hier die Bewertungen zwischen einem Unternehmen und einer Krankenversicherung weit auseinandergehen können“, so ein Sprecher gegenüber DAZ.online.

Experten verweisen laut Stat zudem auf ein grundlegendes Problem bei diesem Bezahlmodell: Es gebe derzeit keinen Prozess, wie ein Unternehmen eine Ein-Million-Dollar-Rechnung über mehrere Jahre hinweg streckt, während die Gesundheit des Patienten und dessen therapeutische Fortschritte regelmäßig begutachtet werden. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass neue Preis- und Bezahlmodelle gefunden werden müssen, wenn in Zukunft weitere Gentherapien auf den Markt kommen. Es müsse eine neue Art der Kooperation zwischen Gesundheitspolitikern, Pharmaunternehmen und Versicherern gefunden werden, so Bluebird Bio-Chef Leschly: „Wir sind zuversichtlich, dass uns das gelingen wird.“



Thorsten Schüller, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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