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Schlaganfall
Akutbehandlung hervorragend, Nachsorge unzureichend
Bei einer Pressekonferenz berichteten Experten der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) Mitte der Woche in Berlin im Vorfeld des Weltschlaganfalltags, der am gestrigen Sonntag stattfand, über den aktuellen Stand und neue Entwicklungen in der Schlaganfallversorgung. Dabei lobten sie die Akutbehandlung, monierten aber die unzureichende Nachsorge.
Nach neuen Zahlen haben rund 1,76 Millionen Menschen in Deutschland über 18 Jahren mindestens einmal in ihrem Leben einen Schlaganfall erlitten, Frauen häufiger als Männer.
Viele denken, dass nur ältere Menschen einen Schlaganfall bekommen. Das stimmt jedoch nicht, stellte der Pressesprecher der DSG Wolf-Rüdiger Schäbitz von der Klinik für Neurologie am Evangelischen Krankenhaus Bielefeld-Bethel fest. Fast jeder fünfte Patient in Deutschland sei jünger als 55 Jahre, und die Zahl der „juvenilen“ Schlaganfall-Patienten zwischen 18 und 55 Jahren nimmt laut Schäbitz weiter zu. Die Experten führen dies auf den Anstieg der typischen Gefäßrisikofaktoren, wie Bluthochdruck, Diabetes, Rauchen und Übergewicht, zurück.
Bei Jüngeren komplex zu behandeln
Schlaganfälle seien bei Jüngeren komplexer und schwieriger zu diagnostizieren, hob Schäbitz hervor. Ein Großteil der Schlaganfälle in dieser Altersgruppe entstehe durch Beschädigungen arterieller Gefäßwandschichten oder durch Embolien im Herzen. Eine besondere Rolle spiele dabei das sogenannte persistierende bzw. offene Foramen Ovale (PFO), ein angeborenes Loch zwischen dem rechten und linken Vorhof des Herzens, das sich normalerweise bei der Geburt verschließt. Bei etwa jedem fünften gesunden Erwachsenen bleibe es jedoch offen. Dadurch könnten Gerinnsel aus dem venösen in den arteriellen Kreislauf und damit ins Gehirn kommen. Nach neuesten Studien könne das PFO mit einer Art „Schirmchen“ verschlossen werden, aber die Methode komme nicht für jeden Betroffenen infrage.
„Langzeitfolgen bei juvenilen Schlaganfällen können nur durch eine schnelle und fachkundige Behandlung vermieden werden“, sagte Schäbitz, „aber trotz guter Therapiemöglichkeiten bleibt etwa ein Drittel von ihnen dauerhaft arbeitsunfähig.“
Deutschland führend in der Akut-Behandlung
Bei einem Schlaganfall ist zügiges Handeln das A und O: „Time is brain“. Die Patienten sollten schnellstmöglich in ein Krankenhaus mit einer Schlaganfallspezialstation, einer sogenannten „Stroke-Unit“ eingewiesen werden. Die Stroke-Units gehören nach Meinung der DSG-Experten zu den Meilensteinen in der Schlaganfalltherapie. Mittlerweile gebe es in Deutschland über 300 zertifizierte Stroke-Units, eine im europäischen Vergleich „herausragende Situation“. Die Akutversorgung von Schlaganfall-Patienten ist nach der Schilderung des 1. Vorsitzenden der DSG Martin Dichgans vom Institut für Schlaganfall- und Demenzforschung (ISD) am Klinikum der Universität München, insgesamt gut aufgestellt. Problematisch finden die Experten es allerdings, dass nur zehn Prozent der Betroffenen innerhalb von einer Stunde in die Klinik kommen, eine Zahl, die in den letzten Jahren zu ihrem Bedauern nicht gesteigert werden konnte.
Thrombektomie als großer Fortschritt in der Therapie
Patienten mit einem Schlaganfall bekommen in der Regel als Akutbehandlung eine systemische Thrombolyse zur Wiedereröffnung verschlossener Gefäße. Seit 2014 steht hierfür eine weitere hochwirksame Methode zur Verfügung, die mechanische Thrombektomie (MTE). Die Kombination aus beiden gilt derzeit als optimale Behandlungsform.
Bei der MTE wird der Thrombus mithilfe eines Mikrokatheters aus dem verstopften Hirngefäß entfernt. Die Methode ist technisch sehr anspruchsvoll. „Die individuellen Fertigkeiten des Neurointerventionalisten spielen dabei eine herausragende Rolle“, erläuterte der Vorsitzende der Stroke-Unit Kommission der DSG Darius G. Nabavi von der Klinik für Neurologie am Vivantes Klinikum Neukölln in Berlin. Aktuell sind laut Nabavi in Deutschland etwa 450 Neurointerventionalisten an etwa 140 Standorten tätig, was in weiten Teilen einer flächendeckenden Versorgungsstruktur entspricht. Im europäischen Vergleich stehe Deutschland auch im Hinblick auf die MTE sehr gut da.
Schlaganfall überstanden – und dann?
Defizite gibt es aus der Sicht der DSG demgegenüber bei der Nachsorge. Wie deren 3. Vorsitzender Armin Grau vom Klinikum der Stadt Ludwigshafen berichtete, behielten etwa zwei Drittel aller Betroffenen Beeinträchtigungen, wie Lähmungserscheinungen und Sprachstörungen zurück. „Im ersten Jahr nach einem Schlaganfall entwickeln rund 30 Prozent der Patienten Ängste oder Depressionen, und zehn Prozent zeigen einen relevanten kognitiven Abbau“, so Grau weiter. Als weitere häufige Komplikationen führte er epileptische Anfälle, Muskelverkrampfungen in gelähmten Gliedern, Schmerzen und Inkontinenz an. Insgesamt sei der Schlaganfall eine ganz typische chronische Erkrankung, resümierte Grau.
DSG fordert Nachsorge-Netzwerk
Für eine effektive Nachsorge werde jedoch in Deutschland bisher nicht gesorgt. Die Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft sieht hier dringenden Handlungsbedarf und fordert von der Politik die Rahmenbedingungen für ein umfassendes Nachsorge-Netzwerk. In dessen Zentrum soll eine strukturierte Zusammenarbeit zwischen Hausarzt und Klinik stehen sowie eine „Stroke Nurse“ (Schlaganfall-Pflegekraft), die wichtige koordinierende Aufgaben übernehmen soll.
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