Niederlage der Verteidigung

Gericht lehnt Neustart des Zyto-Prozesses ab

Essen - 09.02.2018, 08:45 Uhr

Am gestrigen Donnerstag hat im Zyto-Prozess unter anderem ein Mitarbeiter der Firma Hexal ausgesagt. (Foto: hfd)

Am gestrigen Donnerstag hat im Zyto-Prozess unter anderem ein Mitarbeiter der Firma Hexal ausgesagt. (Foto: hfd)


Die Verteidigung des Zyto-Apothekers Peter S. hatte diese Woche beantragt, das Verfahren aufgrund einer veröffentlichten Ermittlungsakte neu aufzurollen – doch die Richter schmetterten dies als unbegründet zurück. Ein früherer Mitarbeiter schilderte, schon vor Jahren habe es Auffälligkeiten gegeben. Außerdem bestreitet ein Hexal-Mitarbeiter, er habe dem Apotheker Zytostatika schwarz Arzneimittel verkauft – doch verweigerte er zu einer anderen heiklen Frage die Aussage.

Am vergangenen Montag gab es im Verfahren um mutmaßlich unterdosierte Krebsmittel eine Überraschung: Die Verteidigung des Angeklagten Peter S. wies darauf hin, dass eine geheime Ermittlungsakte offenbar seit Monaten im Internet frei einsehbar war. Die Staatsanwaltschaft leitete deswegen ein Ermittlungsverfahren gegen einen Journalisten des Recherchebüros Correctiv ein, die Verteidigung beantragte die Aussetzung und damit den Neustart des Verfahrens. „Die Intention der Verteidigung von Peter S. ist deutlich“, erklärte Correctiv daraufhin. „Sie möchte den Prozess zum Platzen bringen, mit allen Mitteln, auch oder gerade auf Kosten von ‚Correctiv‘.“ Die Redaktion sei bestrebt, die Vorwürfe „gründlich aufzuklären“.

Am gestrigen Donnerstag hatten die Verfahrensbeteiligten Gelegenheit, zu einer möglichen Aussetzung des Prozesses Stellung zu nehmen. Der Staatsanwalt plädierte dagegen: Eine derart gravierende Änderung der Verfahrenslage, angesichts derer die Verteidigung Zeit für eine Vorbereitung benötige „liegt nicht vor“, erklärte er. Es gebe auch keinen Anhaltspunkt, dass Zeugenaussagen hierdurch beeinflusst wurde. Auch der „Beschleunigungsgrundsatz“ stehe einem Neustart des Prozesses entgegen, da Peter S. seit über einem Jahr in Untersuchungshaft sitzt.

Staatsanwalt: Keine Allianz von Medien und Nebenklägern

Anders als von der Verteidigung behauptet, sei „eine Allianz aus Medien und Nebenklagevertretern“ nicht ersichtlich, erklärte der Staatsanwalt. Er kritisierte gleichzeitig die Veröffentlichung als gravierenden Vorgang: Wer meine, mit rechtswidrigen Mitteln die Aufklärung voranzutreiben, liege falsch, erklärte er – er nehme sie nicht als Unterstützer, sondern als „Störer“ wahr. Dies gelte umso mehr, wenn Prozessbeteiligten die Kritik an der Veröffentlichung als vermeintliches Verteidigungsmanöver „in die Schuhe“ geschoben werde.

Nebenklagevertreter sprachen sich gleichfalls gegen die Aussetzung des Prozesses aus. Wenn Zeugen vom Inhalt des in den Unterlagen enthaltenen Verteidigungsschriftsatzes Kenntnis gehabt hätten, wäre es für den Anklagten „nur förderlich“ gewesen. Der Vorsitzende Richter Johannes Hidding wies daraufhin den Antrag der Verteidigung als unbegründet ab. Obwohl eine PDF-Datei einige Zeit im „World Wide Web“ abrufbar gewesen sei, sei es unwahrscheinlich, dass Zeugen oder Sachverständige hiervon Kenntnis hatten – auch da sie nicht in Presseberichten verlinkt war. In so einem großen Prozess, in dem es aktuell knapp 50 Nebenkläger gibt, müssten alle Verfahrensbeteiligten ohnehin mit Veröffentlichungen von Unterlagen rechnen und sich bei Zeugenvernehmungen hierauf einstellen.

Ein Nebenklagevertreter nutzte die Gelegenheit, um erneut die Vernehmung von Patienten bei Gericht zu beantragen, die womöglich gepanschte Krebsmittel von S. erhalten haben – bislang haben die Richter dies nicht vorgesehen. Ihm sei kein Verfahren wegen Körperverletzung bekannt, bei dem die Betroffenen nicht gehört werden, erklärte er. Hier sei außerdem das Vertrauen in die öffentliche Gesundheitsversorgung nachhaltig zerstört worden. Auch die Vernehmung der Amtsapothekerin sei klar geworden, dass die Exekutive „vollständig versagt“ habe – auch die Stadtverwaltung, Staatsanwaltschaft und Polizei. Es sei „eine unheimlich schlechte Anklageschrift herausgekommen“, kritisierte der Anwalt. „Hören sie die Geschädigten bitte“, erklärte er gegenüber den Richtern. 

Apotheker hat schon vor Jahren Merkwürdiges beobachtet

Am gestrigen Prozesstag war der 41-jährige Apotheker Ingo E. als Zeuge geladen, der von April 2009 bis September 2010 im Zyto-Labor der Bottroper Apotheke gearbeitet hat. Aufgrund des Ablaufs möglicher Verjährungsfristen räumte ihm der Vorsitzende Richter anders als Mitarbeitern, die teils weiterhin in der Apotheke arbeiten und sich durch Aussagen womöglich selbst belasten könnten, kein Auskunftsverweigerungsrecht ein. Zwar stünde Apothekern grundsätzlich ein Zeugnisverweigerungsrecht zu, was sensible Gesundheitsdaten anbelangt – doch dies greife auch nicht. „Das soll ja Patienten schützen – das soll nicht davor schützen, dass interne Abläufe von Apotheken geheim bleiben“, erklärte Hidding.

Nach seiner Bewerbung auf eine Chiffre-Anzeige sei der Apotheker von Peter S.‘ Vater begrüßt worden – der Angeklagte sei damals in stationärer Behandlung gewesen, doch habe er ihn im Krankenhaus getroffen, erklärte Ingo E.. Eigentlich habe er das Zyto-Labor übernehmen sollen, damit S. sich auf die anstehende Übertragung der Apotheke von seinen Eltern auf ihn konzentrieren könnte – doch habe er wie ein PTA ganz viel Herstellungsarbeit leisten müssen, was nicht den Versprechungen entsprochen und weshalb er später gekündigt habe. Verdient habe er 4700 Euro brutto plus ein dreizehntes Monatsgehalt – „mehr gab’s nicht“, erklärte der Pharmazeut.

Zeuge: Er entsprach den Standards nicht

Die Verhältnisse im Labor seien „sehr beengt“ gewesen, erklärte E. Er habe sich gewundert, dass teure Antikörpertherapien morgens schon zubereitet waren, obwohl die Gefahr bestand, dass sie nicht zur Anwendung kommen würden und somit ein „größtes“ finanzielles Risiko bestand. Bis auf ein einziges Mal, wo er zusammen mit S. hergestellt habe, habe er seinen Chef nie direkt im Labor arbeiten sehen. Morgens auf dem Weg zur Arbeit habe er ihn ein paar Mal im Labor gesehen, da man von der Straße in die Räumlichkeiten im ersten Stock habe sehen können, wo S. sich ohne Schutzkleidung aufgehalten habe. Er könne sich nicht erinnern, ob er seinen Chef hierauf angesprochen habe, erklärte E. Aber er habe sich „schon gewundert, da es den Standards nicht entsprach“, sagte er vor Gericht.

Wirkstoffe habe es immer ausreichend gegeben, erklärte der Apotheker. Doch es habe Momente gegeben, an denen er gedacht habe, ob aus dem Kühlschrank nicht mehr hätte „weg sein müssen“, erklärte er. „Wo kommt die Ware her, wo geht sie hin“ – das habe er trotz der geplanten Tätigkeit als Leiter des Zyto-Labors nicht beurteilen können. Nicht angewendete Rückläufer seien umetikettiert worden, wenn sie weiterhin haltbar, nicht angestochen waren und die Dosis bis auf wenige Prozent Abweichung stimmte. Auf die Frage, ob dies erlaubt sei, sagte der Apotheker: „Das kann ich nicht beantworten.“

Risiko von unsauberer Zyto-Arbeit? Sepsis!

Ein Nebenklagevertreter frage E., welche Folgen unhygienische Arbeitsweisen haben könnten. „Das Risiko besteht halt, dass der Patient, der das infundiert bekommt, eine Sepsis kriegt“, erklärte der Apotheker – dies könne lebensbedrohlich sein. Allen Pharmazeuten müsste dies bewusst sein, sagte er.

Auf die Frage der Verteidigung, ob er von seinem Chef mal eine Anweisung erhalten habe, Krebstherapien unterzudosieren, antworte E. klar „nein“. Auch die PTAs sowie er selber hätten nie falsche Dosen verwendete. „Das habe ich nie getan“, erklärte er. Auch sei er nie „ausdrücklich oder stillschweigend in einen Tatplan eingeweiht worden, unterzudosieren“, erklärte der Apotheke auf Nachfrage eines Verteidigers.

Hexal-Referent bestreitet Verkäufe aus dem Kofferraum

Als zweiten Zeugen hatte das Gericht den 54-jährigen Pharmareferenten Wilfried H. geladen, der für Hexal tätig ist und den Angeklagten S. seit gut sechs Jahren kennt. Auf Nachfrage von Hidding beschrieb er zunächst allgemein seine Tätigkeit. Bei Terminen mit Ärzten würde er mit diesen die Vorteile einzelner Präparate besprechen, erklärte er – und teils erfahren, mit welchem Apotheker der Onkologe zusammenarbeite. Daraufhin würde er den Pharmazeuten aufsuchen um die Möglichkeit zu bekommen, „Präparate meiner Firma anzubieten“. Normal seien Besuchsrhythmen „von alle paar Monaten“, erklärte H., doch S. sei ein Apotheker gewesen, der an Veränderungen auf dem Markt „sehr interessiert war“ und geguckt habe, „wie man sein Geschäft eventuell ausweiten kann“. Der Pharmareferent bezeichnete ihn als „Schlüsselkunden“.

600-Euro-Wirkstoffe gingen für 50 Euro über den Tisch

„Es ist so, dass ich mit den Präparaten außer den Preisverhandlungen nichts zu tun habe“, erklärte der Hexal-Mitarbeiter – Muster der großteils toxischen Krebsmittel habe er daher auch nicht dabei. Konfrontiert mit einem Statement der Verteidigung, er habe S. „zu deutlich unter Marktpreisen liegenden Konditionen Wirkstoffe aus dem Kofferraum heraus“ verkauft, bestritt H. Es sei in dieser Form auch gar nicht möglich, da die Einkaufskonditionen ohnehin so gut seien: Bestimmte Wirkstoffe mit einem offiziellen Preis von beispielsweise 600 Euro würden teils für 40 oder 50 Euro verkauft, „weil einfach der Markt kaputt ist“, erklärte H. „Natürlich gibt es Rabatte“, sagte er.

Angesichts der Marktpreise stelle sich kein Apotheker ins Parkhaus, um Zytostatika schwarz einzukaufen, sagte der Zeuge. In Schriftsätzen hatten die Verteidiger im Zusammenhang mit den mutmaßlichen Schwarzmarkteinkäufen vorgebracht, dass S. – ordentlich versteuert – Bargeld im sechsstelligen Bereich entnommen habe. Eine derartige Summe hieße, dass es um 30.000 Packungen gehen könnte, erklärte H. – Lieferungen per Kofferraum hätten dann mehrfach wöchentlich erfolgen müssen. „Das kriegen Sie nicht einmal in einen LKW rein“, betonte er.

Der Staatsanwalt fragte den Hexal-Referenten, ob es einen Schwarzmarkt für Antikörper gebe – die Hexal selber im Anklagezeitraum nicht im Programm hatte. „Ich weiß da nichts“, erklärte H. Angesichts der öffentlich bekanntgewordenen Vorwürfe sei er innerhalb des Unternehmens befragt worden, Hexal hatte die Vorwürfe auch gegenüber DAZ.online abstritten. Ein Nebenklagevertreter fragte den Zeugen, ob er gegen die harten Vorwürfe vorgehen werde. „Ich habe mir noch keine Gedanken dazu gemacht“, antwortete er. Wie auch der als Apotheker Ingo E. erklärte der Pharmareferent, er habe über Fachmedien wie DAZ.online über den laufenden Prozess gelesen, nicht aber die veröffentlichte Ermittlungsakte gekannt.

Verteidigung befragt Hexal-Mitarbeiter

Die Verteidigung versuchte, H. mit ihren Fragen zur Entlastung zu nutzen – Schwarzmarkteinkäufe könnten schließlich ein Indiz dafür sein, dass S. womöglich mehr Wirkstoffe verwendet hat, als ihm vorgeworfen wurde. Die Fragen zielten zunächst offenbar darauf ab, zu zeigen, dass fragwürdige Verkäufe möglich seien: Nach der Inhaftierung von S. habe der Hexal-Referent gegenüber dessen Vater erklärt, er würde auf einem Hamburger Zyto-Kongress „jede Menge Zyto-Apotheker“ treffen und könne schauen, ob er nach Schließung des Zyto-Labors die „Restware unters Volk“ bringen könne, erklärten die Verteidiger.

Er selber könne keine Arzneimittel vertreiben, erklärte H. „Ich kann nur einen Kontakt zwischen zwei Apothekern herstellen“, sagte er. Auf die Frage, ob er mal Bargeld von S. erhalten habe, erwähnte der Zeuge zunächst nur Fortbildungen für Praxis-Mitarbeiter, für die der Apotheker die Fahrtkosten erstattet habe, „um die Aktivität zu erhalten“ – Pharmafirmen selber könnten inzwischen nur noch die Kosten für Referenten, das Catering und die Räumlichkeiten übernehmen. Doch auf Nachfrage, ob er sonst mal Bargeld oder sonstige Leistungen erhalten habe, zögerte H. zunächst lange – und erklärte nach Rücksprache mit seinem als Zeugenbeistand tätigen Anwalt, er wolle vom Aussageverweigerungsrecht gebrauch machen, um sich nicht womöglich selbst zu belasten.

Nach der Vernehmung beantragte die Verteidigung, einen weiteren Zeugen hören zu lassen – der aussagen könnte, dass S. Gegenstände im Wert von mehreren tausend Euro an die Privatadresse von H. liefern hat lassen – und erneute den Vorwurf, der Angeklagte habe Zytostatika auch von anderen Firmen von H. bezogen. Offenbar wollen die Verteidiger trotz des Dementis des Zeugen so weiter Zweifel an den von der Staatsanwaltschaft verwendeten Einkaufsmengen streuen, da Einkäufe auf dem Schwarzmarkt „nicht in die Berechnung der Einkaufsquoten einbezogen“ worden seien.

Außerdem verwiesen sie auf Ausführungen der PTA Sonja C. aus dem früheren Zyto-Labor ihres Mandanten, die im Gerichtsprozess zwar die Aussage verweigert hat, um sich womöglich nicht zu belasten – doch hatte C. im Jahr 2014 bei einer früheren Anzeige wegen möglicher Unterdosierungen ausgesagt, die ihr frühere Ehemann erstattet hatte. „Grundsätzlich geht es ihm nur ums Geld“, hatte ihr damals in Haft sitzender früherer Gatte in Bezug auf den Apotheker erklärt. Die PTA hatte damals erklärt, „auf gar keinen Fall“ habe S. bei Zytostatika Manipulationen vorgenommen. „Es ginge auch gar nicht“, erklärte sie laut Vernehmungsprotokoll, da die Therapien dann nicht richtig wirken und Patienten und Ärzte dies bemerken würden. „Wenn das alles stimmen würde, was die Frau gesagt hat, gäbe es ja keine Anklage“, erklärte ein Nebenklagevertreter daraufhin vor Gericht.

Prozess zieht sich in die Länge

Eigentlich hatte der Vorsitzende Richter angekündigt, dass ab der kommenden Woche die Plädoyers beginnen könnten – doch ist für Mittwoch zunächst ein Finanzermittler als Zeuge geladen, außerdem gibt es inzwischen viele weitere Beweisanträge. Während bislang der letzte angesetzte Verhandlungstermin Mitte März war, nannte Hidding nun mehr als ein Dutzend weitere mögliche Termine – die sich auf den Zeitraum bis zum 24. Mai erstrecken.

Auf Nachfrage von DAZ.online zu den Aussagen vor Gericht erklärte ein Hexal-Sprecher, dass die Firma die neuen Vorwürfe gegen ihren Mitarbeiter intern prüfen werde. Die wichtigste und von H. bestätigte Aussage sei jedoch gewesen, dass es keine Schwarzmarkteinkäufe gegeben habe. „Das ist ja exakt das, was wir von Anfang an gesagt haben“, sagte der Sprecher. Er ließ jedoch weiterhin offen, inwiefern die Firma womöglich rechtlich gegen die Aussagen der Verteidigung vorgehen wird.



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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