Verfolgung von Tötungs- oder Morddelikten

Starke Kritik an Staatsanwaltschaft im Zyto-Prozess

Essen - 09.02.2018, 09:50 Uhr

In einem offenen Brief fordern Nebenkläger im Zyto-Prozess, dass der Angeklagte auch wegen Tötungs- und Morddelikten verfolgt wird. (Foto: hfd)

In einem offenen Brief fordern Nebenkläger im Zyto-Prozess, dass der Angeklagte auch wegen Tötungs- und Morddelikten verfolgt wird. (Foto: hfd)


Im Verfahren gegen den Bottroper Zyto-Apotheker Peter S. hagelt es Kritik an der Staatsanwaltschaft: In der Verhandlung vom Donnerstag wurde der Anklage „Versagen“ vorgeworfen. Ein Offener Brief aus den Reihen der Nebenklage fordert nun die Verfolgung von Tötungs- oder Morddelikten – und die Hinzuziehung weiterer Staatsanwälte.

Im Prozess um laut Anklage gepanschte Arzneimittel wenden sich eine Nebenklägerin und ihr Prozessbevollmächtigter in einem offenen Brief an die Staatsanwaltschaft Essen, um ihrer Ansicht nach erhebliche Probleme bei deren Tätigkeit zu beanstanden. Dabei reihen sie sich ein in frühere Kritik an der Anklage, die nach Ansicht eines anderen Nebenklagevertreters „vollständig versagt“ habe – wie auch die Polizei, die Amtsapothekerin und die Stadtverwaltung.

Bereits mehrfach wurde im Prozess dazu aufgerufen, nicht nur Körperverletzungsdelikte zu verfolgen: Die Anklageschrift beschränkt sich neben Betrugsvorwürfen und möglichen Verstößen gegen das Arzneimittelgesetz auf versuchte Körperverletzung in 27 Fällen, für die laut den Ermittlungen unterdosierte Krebsmittel gefunden wurden. Bei tausenden weiteren Patienten, die zu früherer Zeit Krebsmittel aus der Apotheke erhielten, glaubt die Staatsanwaltschaft im Gegensatz zu Nebenklagevertretern keine Nachweise möglicher Körperverletzungen oder gar Tötungsdelikte führen zu können. Nach den bisher gewonnen Erkenntnissen „kann nicht mehr nachvollzogen werden, warum die Staatsanwaltschaft nicht mit deutlicher Stimme auf jedenfalls versuchte Kapitaldelikte seitens des Angeklagten hinweist und auf einen überfälligen rechtlichen Hinweis durch das Gericht zielgerichtet und begründet hinwirkt“, heißt es in dem offenen Brief nun.

Viele Betroffene konnten nicht am Prozess teilnehmen

Dieser Schritt dränge sich aus Sicht der Betroffenen auf. „Durch die Beschränkung der Anklage auf die nun verhandelten Delikte erfolgte auch Beschränkung der zu untersuchenden Tatzeiträume aufgrund der Verjährungsvorschriften“, kritisieren die Autoren. „Vielen Betroffenen ist es so nicht möglich am Verfahren teilzunehmen, weil ihre Behandlung vor dem hier gesteckten Tatzeitraum erfolgte.“

Allgemein sei auch „nicht nachvollziehbar“, warum die Staatsanwaltschaft im Zyto-Prozess nur einen Staatsanwalt beschäftigt. „Dies mag auch ein wesentlicher Grund für die Lücken des Ermittlungsverfahrens sein“, heißt es in dem Schreiben, das das Verhalten der Staatsanwaltschaft in vielerlei Hinsicht beanstandet. So sei beispielsweise lange Zeit die vollständige Liste der betroffenen Medikamente zurückgehalten worden, obwohl diese bekannt gewesen seien. „Viele Betroffenen konnten daher erst spät erkennen, dass sie Betroffene sind“, erklären die Verfasser.

Vergleich mit Loveparade-Unglück

Das Verfahren könne außerdem „nicht in qualifizierter Art und Weise“ von einem einzigen Staatsanwalt betreut werden, heißt es in dem Brief, der das Verfahren mit dem Prozess um das Loveparade-Unglück vergleicht, bei dem 21 Personen starben und 541 verletzt wurden. Mit diesem seien zwei Oberstaatsanwälte und ein Staatsanwalt befasst. der befasste Staatsanwalt wirke auch angesichts der schwierigen Beweisführung und der zahlreichen Zeugen und Sachverständigen „teilweise verloren“ zwischen den vier Verteidigern des Angeklagten und einer großen Zahl von Nebenklägern.

„Eine Vielzahl von prozessualen Fragen und Anträgen sind zu klären, ein umfangreicher Sachverhalt ist zu bewältigen“, heißt es in dem offenen Brief. Die Verteidigung könne sich hierauf gut vorbereiten und sei in der Lage, „das Verfahren aktiv zu gestalten“, während sich die Tätigkeit der Staatsanwaltschaft auf „ein Bemühen der sachgerechten Reaktion auf die Geschehnisse im Verfahren“ beschränke – „mehr nicht.“ Die Autoren des Schreibens stellen auch die Frage in den Raum, ob nicht Ermittlungsverfahren gegen weitere potenzielle Tatbeteiligte eingeleitet werden sollten – nämlich beispielsweise gegen weitere frühere Mitarbeiter von Peter S. 

„Geflecht der Abhängigkeiten“

Neben Forderungen, Informationen von Fingerabdrucksensoren am Eingang des Zytolabors auszuwerten und Kritik an fehlenden Blutuntersuchungen womöglich Betroffener fordern die Autoren des Schreibens, dass die Staatsanwaltschaft sich die „auffällige Vernetzung einiger Onkologen mit dem Angeklagten“ vornehmen sollten. Der Angeklagte unterhielt ihrer Ansicht nach „ein Netzwerk mit von ihm belieferten Onkologen“, welches weit über den Umfang einer zu erwartenden geschäftlichen Beziehung hinausgegangen sei. So seien eine bezahlte Weihnachtsfeier, unentgeltlicher Personaleinsatz oder kleinere Geschenke bekannt – außerdem unterhielten einige der Onkologen ihre Praxen in Immobilien von Peter S.

„Dies zeugt von einem engen Geflecht zwischen dem Angeklagten und einigen belieferten Onkologen“, heißt es in dem Brief – sowie von einem „Geflecht der Abhängigkeiten“. Dieses habe womöglich seinen Teil dazu beigetragen hat, die mutmaßlichen Taten des Angeklagten zu ermöglichen. „Diese Vernetzung muss aus hiesiger Sicht durchleuchtet werden, auch um den modus operandi des Angeklagten restlos aufzuklären“, fordern die Autoren. „Auch um zu verhindern, dass sich solche Ereignisse wiederholen können und um festzustellen was verändert werden muss, damit zukünftige Taten dieser Art hoffentlich nicht noch einmal geschehen.“



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Strafrecht

von Holger am 12.02.2018 um 9:18 Uhr

Im Strafrecht, unter das Tötungsdelikte zweifelsfrei fallen, muss halt ein eindeutiger Kausalzusammenhang zwischen Tat und Tod nachgewiesen werden. Bei einer Erkrankung, an der schon bei suffizienter Behandlung viele Patienten versterben, dürfte es jedoch nahezu unmöglich sein, den Nachweis zu führen, dass ein bestimmter Patient ausschließlich wegen einer vom Angeklagten begangenen Tat verstorben ist. So bedauerlich ich das auch aus Sicht eines juristischen Laien finden mag, aber wegen Tötungsdelikten dürfte der "Kollege" leider nicht dranzukriegen sein ...

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