INTERPHARM 2018

Ist Deutschland ein „Gemüse-Mangel-Land“?

Berlin - 23.03.2018, 10:30 Uhr

Muss man als Vegetarier oder Veganer gezielt Mikronährstoffe supplementieren? Professor Smollich meint: „jein.“ (Foto: Schelbert / DAZ.online)

Muss man als Vegetarier oder Veganer gezielt Mikronährstoffe supplementieren? Professor Smollich meint: „jein.“ (Foto: Schelbert / DAZ.online)


Welche Supplemente sind bei veganer und vegetarischer Ernährung sinnvoll? Braucht man überhaupt Nahrungsergänzungsmittel? Mit der Antwort „jein“, begann Professor Martin Smollich vergangenen Samstag auf der Interpharm seinen Vortrag zur sicheren Nahrungsergänzung. Dabei wurde deutlich, dass Ovo-Lakto-Vegetarier sich nicht unbedingt mehr um ihre Mikronährstoffe sorgen müssen, als die restliche Bevölkerung.

Was ist ungesünder? Ein veganer Kindergarten oder den Burger sozusagen schon mit der Brust einzusaugen? Anfang März berichtete die FAZ, dass die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) Kritik am ersten veganen Kindergarten in der Frankfurter Region übt. Das ist die eine Seite, eine andere Überlegung ist: Wenn Vegetarier und Veganer sich einem erhöhten Risiko für Mikronährstoffmangel aussetzen, wie kommt es dann, dass beispielsweise 94 Prozent der Mädchen zwischen sechs und zwölf Jahren nicht die Zufuhrempfehlungen der DGE erreichen? Schließlich werden nicht 94 Prozent der Mädchen dieser Altersgruppe vegan oder vegetarisch ernährt. Martin Smollich (Professor für Klinische Pharmakologie und Pharmakonutrition) stellte zu Beginn seines Vortrags auf der Interpharm folgende These auf: Der deutschen Bevölkerung fehle es weniger an Mikronährstoffen, als an Gemüse. Denn Gemüse besteht nicht nur aus Mikronährstoffen. Ist Deutschland ein „Gemüse-Mangel-Land“?

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Wer setzt sich also einem größeren Risiko aus, Veganer und Vegetarier, die Gefahr laufen, zu wenig Eisen, Vitamin B12, Zink und Omega-3-Fettsäuren zuzuführen; oder die restliche Mehrheit der Fleisch-Esser, die auch oft zu wenige Omega-3-Fettsäuren und Ballaststoffe, dafür aber zu viele Kalorien zuführen. Beispielhaft führte Smollich an, dass 67 Prozent aller Männer adipös und 15 Prozent aller Kinder übergewichtig sind, und führte das auf eine fleischlastige Ernährung zurück. 

Zu den Problemen einer fleischlastigen Ernährung meinte Professor Smollich: „Das wird mehr werden – auf jeden Fall.“ (Foto: Schelbert / DAZ.online)

„First 1000 days“, Prägung für den Rest des Lebens

Speziell ging Smollich im Vortrag zur veganen und vegetarischen Ernährung auf die benötigten Supplemente in Schwangerschaft und Stillzeit ein. Er verwies auf die Aktion „First 1000 days“, die darauf aufmerksam macht, dass die Ernährung in den ersten 1000 Tagen eines Kindes (zwischen Schwangerschaft und zweitem Geburtstag des Kindes) die metabolische Prägung für das restliche Leben darstellt. Die Ernährung solle stets „bedarfsgerecht“ erfolgen, nur was heißt das? Circa 250 kcal mehr pro Tag benötigen Schwangere ab dem zweiten Trimester. Mikronährstoffe müssen dabei kein grundsätzliches Problem darstellen.

Die Apotheke kann Fehlbildungen vorbeugen

Die Folsäure-Zufuhr liegt nicht nur bei Vegetarierinnen und Veganerinnen, sondern bei der gesamten weiblichen Bevölkerung, unter dem Bedarf. Beispielsweise das „Weglassen der Milch“ – über die circa 10 Prozent des Folsäure-Bedarfs gedeckt werde – stelle für Veganerinnen gegenüber anderen Frauen dabei kein zusätzliches Risiko dar. Folsäure-Supplementation in der Schwangerschaft – „ein alter Hut“? Könnte man meinen, dennoch seien 90 Prozent aller Frauen unzureichend mit Folsäure versorgt. Hier könne die Apotheke vor Ort aktiv werden und Fehlbildungen verhindern. In anderen Ländern werde deshalb beispielsweise Mehl mit Folsäure angereichert

2011 hielt die DGE eine vegane Ernährung in der Schwangerschaft und Stillzeit für „nicht geeignet“. Seit 2016 wird sie nur „nicht empfohlen“. Im Rest der Welt steht man der veganen Ernährung offener gegenüber. (Foto: Moll / DAZ.online)

Der Eisenbedarf steige während der Schwangerschaft zwar um 100 Prozent an, der „Menstruationsverlust“ falle aber weg. Auch steige der alimentäre Eisenbedarf nicht generell an, weil die intestinale Eisenresorption in der Schwangerschaft steigt. Trotzdem sollten nicht nur Veganerinnen und Vegetarierinnen Eisen supplementieren, dann aber individuell nach Hb-Wert. Eine gute Eisenquelle ist zum Beispiel auch Vollkorn-Brot. Als weitere kritische Nährstoffe nannte Smollich Vitamin D und Zink.

Nahrungsergänzungsmittel sind sinnvoll, wenn sie gezielt und bewusst eingesetzt werden. (Foto: Moll / DAZ.online)

DHA ist relevant für „Wenig-Fisch-Esser“

Ein weiterer diskussionswürdiger Nährstoff sei die Docosahexaensäure (DHA). Circa ab dem sechsten Schwangerschaftsmonat mache das Gehirn „eine Explosion“. Mit dem Gehirn-Gewicht steige dann auch der DHA-Gehalt. Dabei ist DHA aber nicht nur für die Gewichtsentwicklung, sondern auch für die kognitive Entwicklung wichtig. Die kognitiven Effekte seien grundsätzlich belegt, jedoch nicht anhaltend über lange Zeit. Was aber die Stillzeit betreffe, würde DHA beim Säugling deutlich das Risiko für allergische Erkrankungen reduzieren

Zwar können Omega-3-Fettsäuren grundsätzlich auch aus Leinöl und nicht nur aus Fisch zugeführt werden. Jedoch werden nur maximal 10 Prozent der Omega-3-Fettsäuren aus Leinöl in DHA umgewandelt. Deshalb sei eine DHA-Supplementation für alle „Wenig-Fisch-Esserinnen“ wichtig, also auch für Omnivore. Wenig Fisch heißt übrigens, weniger als zweimal pro Woche Seefisch zu essen. 

Veganer müssen Vitamin B12 ergänzen

Während in der Schwangerschaft und Stillzeit an mehrere Supplemente gedacht werden muss, brauchen gesunde Erwachsene bei sorgfältiger Lebensmittelauswahl, nur wenn sie vegan leben, ein Supplement: Vitamin B12. (Foto: Moll / DAZ.online)

Weil Vitamin B12 hauptsächlich über tierische Lebensmittel zugeführt wird, ist die Supplementation bei veganer Ernährung in der Schwangerschaft obligatorisch. Denn dann liege definitiv ein Mangel vor, der zu irreversiblen Nervenschäden führen kann. Bei vegetarischer Ernährung stelle Vitamin B12 vor allem dann einen zusätzlichen Risikofaktor dar, wenn die vegetarische Ernährung schon lange vor der Schwangerschaft begonnen wurde. Gynäkologische Leitlinien empfehlen laut Smollich deshalb die unspezifische Vitamin-B12-Supplementation aller Schwangeren. 

Die „Iod-Anamnese“

In der Schwangerschaft steigt der Iod-Bedarf um 15 Prozent. Deshalb sollten Schwangere täglich ein Supplement mit 100 (bis150) μg Jod einnehmen – das ist allgemeiner Konsens. Allerdings sollte zuvor eine „Iod-Anamnese“ erfolgen. So hätten manche „Angst" vor Iodsalz, andere wiederum „essen ganz viele Iod-haltige Algen“, die häufig die Maximalzufuhr überschreiten und zu Hyperthyreosen beim Neugeborenen führen können. Kontraindiziert ist Iod einzig bei einer ausgeprägten Hyperthyreose der Schwangeren.

„Sinnvolle Supplementation im Überblick“ für Schwangere

Professor Smollich schaffte es, mit seinem Vortrag Ordnung in das Dickicht der Nahrungsergänzungsmittel zu bringen. (Foto: Moll / DAZ.online) 

Smollich bot seinem Publikum als Zusammenfassung eine Checkliste für die wichtigsten Supplemente in der Schwangerschaft: Während eine Veganerin also Folsäure, Iod (Anamnese!), Eisen (Hb-Wert!), DHA, Vitamin D, Vitamin B12 und Zink supplementieren sollte, gelten für Vegetarier kaum andere Empfehlungen als für Omnivoren. Alle müssen vor allem Folsäure ergänzen. Ovo-Lacto-Vegetarierinnen empfiehlt Smollich besonders auch die Supplementation von DHA. Auch die anderen genannten Mikronährstoffe können sinnvoll sein, wenn die Schwangere es nicht schafft, sich entsprechend zu ernähren. Veganerinnen empfiehlt Smollich grundsätzlich eine ernährungsmedizinische Begleitung in Schwangerschaft und Stillzeit. In der anschließenden Fragerunde, interessierte sich das Publikum vor allem für die unterschiedlichen Verbindungen von Mikronährstoffen in den verschiedenen Nährstoffpräparaten, die Folsäure und Vitamin B12 enthalten. 

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Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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2 Kommentare

Genug ist nicht immer genug

von Richard Weiß am 11.04.2018 um 15:16 Uhr

Ich habe mit verschiedenen Ärzten und Experten geredet. Diese meinen, dass bei normaler Ernährung kein Mangel zustande kommt. Andererseits enthält Gemüse und Obst immer weniger Inhaltsstoffe. Und ein sehr wichtiger Faktor: Stress sorgt dafür, dass spezifische Vitalstoffe vermehrt ge- und verbraucht werden. Deshalb frage ich mich, was von Nahrungsergänzung seriöser Hersteller wie Neurolab Vital (die es ja auch in Apotheken gibt) zu halten ist, die auf Basis medizinischer Erkenntnisse Nährstoffdefizite ausgleichen wollen? Kann/soll/darf man das empfehlen?

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Genug ist nicht immer genug

von Tom Hofmann am 06.07.2018 um 21:15 Uhr

Ich fress keine Leichenteile toter Tiere. Beim großen teuren Blutcheck (nicht beim Arzt, die blicken das nicht) stellte sich ein Mangel an Zink, Jod und B12 raus.
Preiswerte Nährstoffergänzung bei DM und nach 6 Monaten war alles im Lot.

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