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AKNR unterliegt im Rechtsstreit gegen Betriebskrankenkasse
DocMorris-Werbung als Presseprivileg
Die Siemens Betriebskrankenkasse muss nun doch nicht für einen DocMorris-Flyer, der im Jahr 2014 ihrer Mitgliederzeitschrift beilag, juristisch gerade stehen. Die Kasse könne sich nämlich auf das „Presseprivileg“ berufen, entschied das Oberlandesgericht München. Danach hafte sie nur, wenn eine Anzeige ganz offensichtlich gegen das Gesetz verstoße – im Fall des DocMorris-Flyers sei dies nicht der Fall gewesen.
Das Landgericht München hatte im Mai vergangenen Jahres in einem Rechtsstreit zwischen der Apothekerkammer Nordrhein (AKNR) gegen die Siemens Betriebskrankenkasse (SBK) zu entscheiden. In dem Verfahren ging es um einen Werbeflyer der niederländischen Versandapotheke DocMorris, den die SBK im Oktober 2014 ihrer Mitgliederzeitschrift beigelegt hatte. Darauf war zu lesen: „Testen Sie uns jetzt – Rezept einsenden – 10 Euro Gutschein sichern“. Der Gutschein konnte bei der nächsten Bestellung rezeptfreier Produkte ab 40 Euro Bestellwert eingelöst werden. Die AKNR machte einen Unterlassungsanspruch unter anderem wegen Verstoßes gegen das Heilmittelwerberecht geltend.
Das Landgericht gab der klagenden Apothekerkammer Recht: Es sah in der Werbung einen Verstoß gegen das Verbot von Werbegaben in § 7 Abs. 1 Satz 1 Heilmittelwerbegesetz (HWG). Diese Norm sei auch nach der am 16. Oktober 2016 ergangenen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zum Arzneimittelpreisrecht anwendbar – jedenfalls soweit sie nicht an die Verletzung des Preisrechts anknüpft. Dies ergebe sich aus den unterschiedlichen Schutzzwecken des Heilmittelwerbe- und des Arzneimittelpreisrechts. Ersteres soll den Verbraucher schützen, Heilmittel zu viel oder falsch anzuwenden, weil er – etwa durch Zugaben – unsachlich beeinflusst wird. Die Preisbindung soll dagegen die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sicherstellen.
Erste Instanz: SBK hätte Verstoß erkennen müssen
Das Landgericht München führte auch aus, dass sich die SBK sich nicht auf ein Haftungsprivileg als Presseunternehmen berufen könne. Zwar gebe es bei Anzeigen in Presserzeugnissen keine umfassende Prüfungspflicht. Vorliegend sei aber zu berücksichtigen, dass es sich bei der SBK um eine Körperschaft öffentlichen Rechts handelt – und als solche hätte sie auch bei nur „angemessener” Prüfung erkennen müssen, dass hier ein Wettbewerbsverstoß vorlag.
Genau das sahen die Richter am Oberlandesgericht (OLG) München nun in zweiter Instanz anders. Zwar gehen auch sie davon aus, dass die Verbotsvorschrift des § 7 HWG greift. Im Unterschied zu ihren Kollegen am Landgericht meinen sie jedoch, dass hier eine Beurteilung nach der Ausnahmeregelung für Zuwendungen, die in Form eines bestimmten Geldbetrages gewährt werden (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 a) HWG), erfolgen müsste. Die Werbung wäre demnach nur dann unzulässig, wenn sie entgegen den Preisvorschriften des Arzneimittelgesetzes erfolgt.
Wie weit geht die Wirkung des EuGH-Urteils?
Und damit kommt das Gericht zu der Frage: Ist die Anwendung des deutschen Arzneimittelpreisrechts gegenüber einer niederländischen Versandapotheke mit dem europäischen Recht vereinbar? Laut dem hinlänglich bekannten Urteil des EuGH vom Oktober 2016 ist es das nicht. Und diese Entscheidung ist den Richtern am OLG München zufolge auch zu berücksichtigen, wenn die Ausnahmeregelung des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 a) HWG geprüft wird. Sie erklären, dass sie grundsätzlich an die EuGH-Entscheidung gebunden seien, gehen aber auch kurz auf die Möglichkeit eines neuen Vorabentscheidungsersuchen ein. Ein solches hält auch der Bundesgerichtshof grundsätzlich für möglich, wenn es weitere, neue Feststellungen gibt, die belegen können, dass die deutsche Preisbindung geeignet ist, die flächendeckende und gleichmäßige Arzneimittelversorgung in Deutschland sicherzustellen.
SBK keine taugliche Beklagte
Letztlich kommen die Richter am Münchener OLG aber zu dem Schluss, es könne dahingestellt bleiben, ob DocMorris als niederländische Versandhandelsapotheke vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EuGH den deutschen Arzneimittelpreisregelungen unterworfen ist. Denn die SBK könne sich auf das Presseprivileg berufen, das aus dem Grundrecht der Meinungsfreiheit abgeleitet wird. Damit sei die Kasse im Hinblick auf einen etwaigen Wettbewerbsverstoß nicht passivlegitimiert. Das heißt: Sie ist keine taugliche Beklagte.
Vielmehr könne sich die SBK auf die Grundsätze der eingeschränkten Haftung der Presse für wettbewerbswidrige Anzeigen ihrer Inserenten berufen. Nach ständiger Rechtsprechung hafte der Herausgeber eines Presseerzeugnisses nur dann für die Veröffentlichung gesetzeswidriger Werbeanzeigen Dritter, wenn er seine Pflicht verletzt hat, zu prüfen, ob die Veröffentlichung der Anzeigen gegen gesetzliche Vorschriften verstößt. Eine Haftung bestehe nur dann, wenn die Anzeige grobe und eindeutige, unschwer erkennbare Wettbewerbsverstöße enthalte. Das gelte auch für Kundenzeitschriften wie die der SBK.
Gesetzeswidrigkeit muss sich aufdrängen
Die Richter erklären auch den Hintergrund dieser eingeschränkten Haftung von Presseherausgebern: Sämtliche Werbeanzeigen auf etwaige Gesetzesverstöße juristisch zu überprüfen, würde deren Tätigkeit unzumutbar erschweren. Es zöge nicht nur einen beträchtlichen Zeitaufwand nach sich, sondern binde auch erhebliche personelle Ressourcen. Maßstab für die Beurteilung sei nicht die Sichtweise eines juristisch gebildeten Betrachters, sondern des Redaktionsmitarbeiters, der mit der Anzeigenschaltung befasst ist. „Nur wenn sich aus dessen Warte die Gesetzeswidrigkeit der Anzeige geradezu aufdrängt, ist er gehalten, die Werbeanzeige nicht bzw. erst nach Durchführung einer fachkundigen juristischen Prüfung freizugeben“. Im vorliegenden Fall sei dies nicht der Fall gewesen.
Ebenfalls mit Hinweis auf das Presseprivileg lehnte das OLG zudem einen Unterlassungsanspruch ab, der sich auf einen Verstoß gegen den Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung beruft.
Die Revision hat das Gericht nicht zugelassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung habe.
Urteil des Oberlandesgerichts München vom 12. April 2018, Az.: 6 U 1679/17
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