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Kontraindiziert oder nicht - alles eine Frage der Formel

Stuttgart - 11.05.2018, 10:30 Uhr

Um die Nierenfunktion abzuschätzen, gibt es unterschiedliche Näherungsformeln. (Foto: Sebastian Kaulitzki / stock.adobe.com)

Um die Nierenfunktion abzuschätzen, gibt es unterschiedliche Näherungsformeln. (Foto: Sebastian Kaulitzki / stock.adobe.com)


Eine Vielzahl von Arzneimitteln wird renal eliminiert. Daher ist die Nierenfunktion ein wichtiger Wert, der entscheidend sein kann, ob ein bestimmtes Arzneimittel überhaupt gegeben werden kann und, wenn ja, in welcher Dosierung. Das Problem ist, dass die Angaben zur Nierenfunktion in den Fachinformationen oft eine andere Grundlage haben, als im klinischen Alltag – zum Beispiel bei Pradaxa® und Xarelto®.

Zur Abschätzung der Nierenfunktion gibt es eine Reihe von Formeln – jede hat ihre Vor- und Nachteile. In Abhängigkeit bestimmter Patientenparameter wie Alter, Gesundheitszustand, Körpergröße eignet sich die eine oder die andere Formel besser. Wichtig ist, damit zwei Werte vergleichbar sind, müssen sie mit derselben Methode berechnet werden.

Im klinischen Alltag wird die Nierenfunktion häufig als glomeruläre Filtrationsrate (GFR) angegeben, die mithilfe der sogenannten MDRD-Formel berechnet wird. Die Hersteller geben in den Packungsbeilagen aber oft nicht die GFR, sondern die Creatinin-Clearance an. Grundlage ist hier die Abschätzung nach Cockcroft-Gault. Von den Zulassungsbehörden wird ihnen das freigestellt.

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Die perfekte Formel

In der Praxis kann das aber zu großen Problemen führen. Setzt man den mit der MDRD-Formel berechneten Nierenfunktionswert des Patienten in Beziehung zum Wert in der Fachinformation, führt das möglicherweise zu einer Fehleinschätzung hinsichtlich der richtigen Dosis – und im schlimmsten Fall sogar dazu, dass eine bestehende Kontraindikation übersehen wird.

Nicht nur ein theoretisches Problem – Fälle aus der Praxis

Dass das kein rein theoretisches Problem, sondern ein tatsächlich existierendes ist, zeigte Monika Guggemoos in ihrem 2013 in der DAZ erschienenen Artikel „Arzneimittel und Niere – Fälle aus der Praxis“.

Ein 92-jähriger, 62,8 kg schwerer Patient mit Vorhofflimmern soll von Phenprocoumon auf Rivaroxaban (Xarelto®) umgestellt werden. Hintergrund sind Blutungskomplikationen unter Phenprocoumon. Das Labor weist auf der Basis der MDRD-Formel eine GFR von 52 ml/min pro 1,73 m2 aus bei einem Serum-Creatinin von 1,0 mg/dl. Bei dieser GFR wäre die maximale Dosierung von 20 mg Rivaroxaban einmal täglich anzuwenden. In der Fachinformation von Xarelto® heißt es zudem: Bei Patienten mit nicht-valvulärem Vorhofflimmern und einer mittelschweren Nierenfunktionsstörung (Creatinin-Clearance 30 bis 49 ml/min) zur Prophylaxe von Schlaganfällen und systemischen Embolien beträgt die empfohlene Dosis 15 mg einmal täglich. Die Neuberechnung der Nierenfunktion nach Cockcroft und Gault ergibt eine Creatinin-Clearance von 42 ml/min. Die Dosierung wird daraufhin auf 15 mg einmal täglich reduziert.

Auch bei Dabigatran ein Problem 

Die richtige Dosierung anhand der Nierenfunktion zu ermitteln, kann nicht nur bei Faktor-Xa-Inhibitoren ein Problem sein.

Eine 91-jährige, 60 kg schwere Patientin soll auf Dabigatran (Pradaxa®) eingestellt werden. Ihr Serum-Creatinin beträgt 1,2 mg/dl, das Labor weist MDRD-basiert eine GFR von 42 ml/min pro 1,73 m2 aus. Aufgrund ihres Alters und der Nierenfunktion wird eine Dosierung von 110 mg zweimal täglich gewählt. Allerdings basiert der in Fachinformation angebundene Grenzwert auf der Berechnung nach Cockroft-Gault. Bei Patienten mit schwerer Beeinträchtigung der Nierenfunktion (Creatinin-Clearance unter 30 ml/min) sei Dabigatran absolut kontraindiziert, heißt es. Berechnet man die Nierenfunktion der Dame neu, ergibt sich eine Creatinin-Clearance von 29 ml/min. Dabigatran kann also nicht eingesetzt werden.

Was kann die Apotheke tun?

Da man im Umfeld der öffentlichen Apotheke im Gegensatz zur Klinik oft keinen Zugriff auf aktuelle Laborwerte hat, sind die direkten Interventionsmöglichkeiten eingeschränkt. Was man aber tun kann, die behandelnden Ärzte für das Problem zu sensibilisieren. Das bietet sich insbesondere an, bei Patienten mit bekannter Nierenfunktionsstörung oder solchen, die potenziell gefährdet sind, zum Beispiel Diabetiker, die nierenkritische Arzneimittel einnehmen. Liegen Laborwerte vor, kann dem Arzt natürlich eine eventuell notwendige Dosisreduktion oder gar ein Präparatewechsel vorgeschlagen werden.



Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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