Bottroper „Zyto-Skandal“ 

Sachverständige beleuchten Analytik kritisch 

Essen - 17.05.2018, 15:15 Uhr

Halten dien Analysen einer einer methodenkritischen Betrachtung stand? Darum ging es gestern vor dem Landgericht Essen. (Foto: hfd)

Halten dien Analysen einer einer methodenkritischen Betrachtung stand? Darum ging es gestern vor dem Landgericht Essen. (Foto: hfd)


Am gestrigen Mittwoch ging es vor dem Landgericht Essen um die Analysen der aus der Bottroper „Zyto-Apotheke“ beschlagnahmten Infusionsbeutel. Von der Verteidigung beauftragte Sachverständige hatten die Methoden der Staatsanwaltschaft kritisiert.  Und auch die Anwälte selbst hatten sie für unzulässig erklärt. 

Bei den  beschlagnahmten Infusionsbeuteln aus der Bottroper „Zyto-Apotheke“ waren zum Teil erhebliche Abweichungen vom deklarierten Gehalt (in quantitativer und qualitativer Hinsicht) festgestellt worden. Das wirft die Frage auf, ob die vom LZG-NRW (Landeszentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen) und vom Paul-Ehrlich-Institut durchgeführten Analysen einer methodenkritischen Betrachtung standhalten. Gibt es neben kleinen Kritikpunkten auch solche, die Anlass wären, den Analysenergebnissen zu misstrauen? Mit diesen Fragen beschäftigten sich drei Sachverständige, allesamt Pharmazeuten, die am Mittwoch den 16. Mai vor dem Landgericht in Essen erschienen waren: Professor Dr. Henning Blume, 15 Jahr lang Leiter des Zentrallaboratoriums Deutscher Apotheker (ZL), Dr. Matthias Heuermann, Vizechef und Bereichsleiter Arzneimittel des LZG, und schließlich Christoph Luchte, für die Probenuntersuchung zuständiger Laborleiter im LZG.

Eigentlich zuständig und akkreditiert für solche Untersuchungen ist in Nordrhein-Westfalen das LZG. Da es dort Kapazitätsprobleme gegeben habe, habe das LZG aber einen Teil der Proben an das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) weitergereicht, das „für die meisten Bereiche ebenso qualifiziert“ sei – so Luchte. Wo dies nicht der Fall sei, habe man dies kenntlich gemacht.

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„Klärungsbedarf hinsichtlich der Nachvollziehbarkeit“ 

Blume arbeitete heraus, dass die (volle) Akkreditierung und Zertifizierung einer Institution ein wichtiges Instrument der Qualitätssicherung sei. Es basiere jedoch auf einer retrospektiven Betrachtung, die – damit die Inspektoren richtig arbeiten und sich ein genaues Bild machen können – eine vollständige und genaue Dokumentation aller Arbeiten erfordere. Ohne diese seien Kernforderungen an wissenschaftliches Arbeiten, insbesondere die Nachvollziehbarkeit und Reproduzierbarkeit von Ergebnissen, nicht zu erfüllen. Anforderungen, deren Erfüllung die Behörden bei Inspektionen zum Beispiel von der Pharmaindustrie verlangen, müssten sie auch für sich selbst gelten lassen – ohne Wenn und Aber. Das sei bei den zur Diskussion stehenden Analysen nicht überall voll gelungen. Daher bestehe hinsichtlich der Nachvollziehbarkeit weiterer Klärungsbedarf

Waren die Arzneibuchmethoden anwendbar?

Einen besonderen Stellenwert bei der Expertenanhörung hatte die Frage nach der Anwendbarkeit von Arzneibuch-Methoden. Blume sagte, er vermisse (besonders Im Gutachten des PEI) eine kritische Auseinandersetzung mit dieser Frage. Die Arzneibuch-Methoden bezögen sich auf Arzneistoffe, nicht auf Arzneimittel, die ja – wie jeder Pharmazeut weiß – als Arzneizubereitungen nicht allein aus Wirkstoffen bestehen. Dr. Heuermann nahm für das LZG in Anspruch, dort stützte man sich bei seiner Analytik von Arzneimitteln weder allein auf das Arzneibuch noch auf die von Herstellern beigebrachte Analytik. Bei letzterer müsse ja immer die jeweilige Matrix von Hilfsstoffen, die ja je nach Hersteller unterschiedlich sein könne, berücksichtigt werden. Insgesamt kam auch Blume nach Würdigung der beigebrachten Erläuterungen zu dem Schluss, dass die angewendeten Verfahren „so in Ordnung“ seien. Der Weg über selbst entwickelte Analysemethoden dürfe jedoch keineswegs eine Erklärung für eine weniger präzise Dokumentation der Untersuchungen sein. Hier geht es um uneingeschränkte Nachvollziehbarkeit.

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Wirkstoff auskristallisiert: Falsches Ergebnis?

In der Diskussion kam auch zur Sprache, dass gemessene Wirkstoffmengen vielleicht dadurch verfälscht sein könnten, dass – wie bei einigen wenigen Proben festgestellt – Teile des Wirkstoffs auskristallisiert sein könnten. Ob man dies ggf. übersehen könne, so die Frage von der Verteidigerseite. Dann würde man ja in einem Infusionsbeutel fälschlich zu wenig Wirkstoff finden. Dass ein solches Szenario zu nachhaltigen Problemen in der Beurteilung führen könnte, wurde jedoch von keinem der Experten für wahrscheinlich gehalten.



Dr. Klaus G. Brauer (bra), Apotheker
Herausgeber DAZ / AZ

redaktion@deutsche-apotheker-zeitung.de


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1 Kommentar

Schöne Argumentation, das

von Wolfgang Müller am 17.05.2018 um 22:32 Uhr

Zur Relevanz der gutachterlichen Aussagen zur Genauigkeit einer anspruchsvollen Untersuchungs-Analytik zur Überführung des Täters in genau diesem Fall, also dem "Zyto-Skandal", will ich mich gar nicht äußern. Aber selbst hier kann man vielleicht noch nicht einmal ausschließen, dass das Gericht zu ausreichend Zweifeln Anlass findet, das ganze Schreckliche zumindest zu relativieren.

Besonders interessant sind diese gutachterlichen Aussagen allerdings, wenn man sie auf all die vielen kleinen Berufs-Verfahren gegen Kolleg/innen bezieht, die irgendwann mal zu wenig Wirkstoff irgendwo eingearbeitet haben sollen. In welche Matrix auch immer. Und z. b. von einer Kammer vermeintlich dabei erwischt, standrechtlich erniedrigt und zu Strafgeldern verurteilt wurden.

Ja glaubt denn irgendjemand, dass die Analysenergebnisse, die da bei verschiedensten, am Ende sogar halbfesten Rezeptur-Probenahmen gegen unsere Frontschwein-Kolleg/innen von wie auch immer super akkreditierten Laboren ins Feld geführt werden, nach den obigen Kriterien in den meisten Fällen gerichtsfest valide wären? Ja und wie sollen die armen Frontschwein/innen das nachweisen, gegen eine heilige Labor-Instanz, ohne solche Gutachter? Die Kleinen hängt man ......

Klar, werden jetzt einige Experten sagen, ist doch alles super validiert, sind doch alles ganz tolle Labore ..... ja ja, grau ist alle Theorie.

Ich würde jedenfalls aus meiner Industrie-Erfahrung einem Herstellungsprotokoll in vielen Fällen mindestens genauso trauen wie vielen Spezial-Analytiken, insbesondere nach Extraktion aus einer z. B. schleimigen Matrix. Ja, aber selbst bei Kapseln wäre ich schon skeptisch, auch da gibt es genug Gründe, bis hin zur Tagesform und der Motivation des Laboranten oder dem Wartungszustand der Gerätschaften.

Vielleicht reicht es ja auch wirklich schon, dass die Ungt. Em. und das gelbe Wachs von verschieden Herstellern sind, bezogen auf das Untersuchungsmuster des armen Sünders und die Labor-Referenzzubereitung, damit es brenzlig wird mit der Analysen-Genauigkeit? Schon verschiedene Chargen desselben Herstellers reichen dafür, vielleicht? Oder geben wir jetzt etwa auch endgültig den Glauben auf, dass es eben doch auch manchmal Generika des gleichen Wirkstoffs gibt, die eine ziemlich unterschiedliche Bio-Verfügbarkeit haben?

Sage ich Alles, ohne jetzt zu erwarten, dass das jemand nachvollziehen kann, für den hochoffizielle Analytik-Institute (genau wie "Die Industrie") wahrscheinlich eher lebenslang nur aus großer Ferne verklärte Kultstätten der Heiligen Pharmazie als Arbeitsplätze ganz normaler Glockenkurven-Menschen sind, wie Apotheken eben auch.

Ich finde den obigen Bericht jedenfalls mal wieder einen schönen Anlass, über die Verbesserung der Situation "Der größte Feind des Apothekers ist der (hier: romantisch verklärte Labor-)Apotheker" gerade auch im aktuellen Diskurs "Wozu taugen die Kammern/wozu taugen die Verbände" nachzudenken.

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