Pharmacon Meran

Arzneimittel-induzierte Leberschäden – ein unterschätztes Problem

Meran - 04.06.2018, 14:00 Uhr

Amoxicillin/Clavulansäure ist hauptsächlicher Verursacher von Leberschäden. (Foto: Sebastian Kaulitzki / stock.adobe.com)

Amoxicillin/Clavulansäure ist hauptsächlicher Verursacher von Leberschäden. (Foto: Sebastian Kaulitzki / stock.adobe.com)


Welches Arzneimittel verursacht europaweit die meisten Fälle akuten Leberversagens? Und wie bewertet ein Hepatologe die gegenwärtige Diskussion über die leberschädigende Wirkung von Iberogast®? Diese Fragen klärte Professor Christian Strassburg am letzten Tag des Pharmacon in Meran – und auch bei welchen Patienten Apotheker von einer Selbstmedikation mit Mariendistelfrüchten- und Artischockenpräparaten tunlichst abraten sollten.

Professor Christian Strassburg, ausgewiesener Hepatologe und ärztlicher Direktor der Medizinischen Klinik Poliklinik 1 am Universitätsklinikum Bonn, gab einen Überblick über Arzneimittel-induzierte Leberschäden. Der Hepatologe geht davon aus, dass von 100.000 Patienten 20 bis 50 von Arzneimittel-induzierten Leberschäden betroffen sind, von denen 5 bis 10 Prozent einer stationären Behandlung bedürfen. Wovon hängt es nun ab, ob ein Patient durch ein Pharmakon einen Schaden am Hepatogastrointestinaltrakt nimmt? Mitnichten liegt dies nur am applizierten Pharmakon. Neben dem pharmakologischen Schädigungsprofil tragen die verabreichte Dosis, bestehende Komedikationen und Komorbiditäten des Patienten, aber auch genetische Dispositionen und Umwelteinflüsse zu einer potenziellen Hepatotoxizität bei, so Strassburg.

Amoxicillin/Clavulansäure: Top-Verursacher von Pharmakon-induzierten Leberschäden

In Europa lassen sich 17 Prozent der Fälle akuten Leberversagens auf Arzneimittel zurückführen, in den Vereinigten Staaten gehen Experten von 50 Prozent aus. Hauptverursacher in den Vereinigten Staaten ist Paracetamol, hierzulande – und das überrascht vielleicht – ein gängiges Antibiotikum: Amoxicillin plus Clavulansäure. Zu den häufigsten Arzneimitteln, die Leberschäden verursachen, zählen nach den Antiinfektiva die Antikonvulsiva – die seien zwar hinsichtlich der Verordnungszahlen relativ selten, jedoch dafür bei ihrer „Durchschlagskraft“ extrem schädigend. NSAR rangieren auf Platz drei – und dabei assoziiert man ASS, Diclofenac und Ibuprofen in erster Linie doch eher mit nephro- denn mit hepatotoxischen Wirkungen.

Kein Bewusstsein bei Patienten für Hepatotoxizität von Phytopharmaka

Für bedenklich hält Strassburg insbesondere den leichtfertigen und sorgenfreien Umgang der Patienten mit Phytopharmaka, „weil das grüne Blatt in der schönen Natur ist ja nichts Gefährliches“ – dieser festen Überzeugung sind zumindest wohl viele Phytopharmaka-Konsumenten. So wohl auch bei Iberogast®. Was sagt der Hepatologe zur aktuellen Diskussion über Iberogast®? Strassburg fährt hier eine klare Linie: „Ich rezeptiere das im Prinzip gar nicht!“ Und weiter: „Ich halte die Diskussion für valide“. So sei bei Iberogast® nicht klar, ob die Wirkung, die man dem Phytopharmakon zuspreche, letztendlich überhaupt eintrete. Dies gelte es, tatsächlich zu prüfen. „Ich glaube nicht, dass Iberogast® einen klaren Wirkmechanismus und ein klares Target hat – offenbar aber unerwünschte Wirkungen, insofern finde ich das gut, wenn man das kritisch sieht“, sagt Strassburg.

Professor Dr. Christian Strassburg, ärztlicher Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik 1 am Universitätsklinikum Bonn. (Foto: DAZ.online)

Hepatoprotektive Arzneimittel – für wen eignen sie sich?

Hepatoprotektive Phytopharmaka – Mariendistelfrüchte oder Artischockenpräparate, die den Gallenfluss fördern, – kann sich der Patient damit etwas Gutes tun? Der Experte unterscheidet hier zwei „Lebertypen“: Den Leberkranken, der bereits behandelt werden muss, und den völlig Lebergesunden – „der das Bedürfnis hat, sich  etwas Gutes zu tun und Geld ausgeben will“. Für den ersten Patienten stellt der Experte bei einer vermeintlich hepatoprotektiven Selbstmedikation die Ampel auf rot und vertritt ein klares „Nein“: Es gebe keinerlei Evidenz, dass irgendein Arzneimittel hier irgendetwas bringe. Zusätzlich warnt Strassburg vor dem Interaktionspotenziel von Präparaten mit Mariendistelfrüchten.

Ausschließlich wissenschaftlich fundierte Behandlung bei Leberschaden

„Bei Patienten mit ernsthaften Lebererkrankungen sollte man eine klare und wissenschaftlich fundierte Linie verfolgen“, findet der Hepatologe. Er selbst ist hier sehr stringent und sagt seinen Patienten klar: „Ich werde Sie nicht behandeln, wenn Sie etwas anderes nehmen“.  Bei völlig lebergesunden Patienten hingegen seien solche Präparate „sicherlich in Ordnung“.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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