DAV-Stellungnahme zum GKV-Positionspapier

„Nicht nur patientenfeindlich, sondern auch völlig absurd“

06.06.2018, 17:55 Uhr

In Fritz Beckers Augen entwickeln sich die Krankenkassen immer mehr zu Sparkassen. (Foto: LAV-BW)

In Fritz Beckers Augen entwickeln sich die Krankenkassen immer mehr zu Sparkassen. (Foto: LAV-BW)


Am heutigen Mittwoch hat der Verwaltungsrat des GKV-Spitzenverbandes einstimmig das Positionspapier „Neuordnung der Apothekenstrukturen und -vergütung“ beschlossen. Darin fordern die Kassen tiefgreifende Änderungen im Apothekenwesen. Unter anderem wollen sie die Apothekenvergütung drastisch absenken und so mehr als 1 Milliarde Euro sparen. Der Vorsitzende des Deutschen Apothekerverbandes Becker findet die Forderungen nicht nur patientenfeindlich, sondern auch völlig absurd.

Der Verwaltungsrat des GKV-Spitzenverbandes stimmte ohne eine einzige Gegenstimme oder Enthaltung für das Positionspapier zur „Neuordnung der Apothekenstrukturen und -vergütung“ ab. Nun hat sich auch die Standesvertretung dazu geäußert. Obwohl das Papier vorab bekannt geworden war, wollte man erst Stellung nehmen, wenn das Papier verabschiedet sei, hieß es auf Nachfrage von DAZ.online.

In der Stellungnahme heißt es, dass mit dem heute vom Verwaltungsrat beschlossenen Positionspapier „Neuordnung der Apothekenstrukturen und -vergütung“ der GKV-Spitzenverband einmal mehr zeige, dass den Krankenkassen trotz blendender Finanzlage jedes Mittel recht sei, um Ausgaben zu senken – und zwar auf Kosten ihrer Versicherten. So solle unter dem Deckmantel von Liberalisierung, Deregulierung und Flexibilisierung die flächendeckende Arzneimittelversorgung zwischen Flensburg und Berchtesgaden mittel- und langfristig aufgegeben und durch eine ‚Medikamentenversorgung light‘ aus Hilfs- und Notmaßnahmen ersetzt werden.

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Der Vorsitzende des Deutschen Apothekerverbandes (DAV) Fritz Becker sagte dazu: „Die Krankenkassen entwickeln sich immer mehr zu Sparkassen. Sie heimsen immer mehr Beiträge ein, bilden immer höhere Rücklagen und fordern dann auch noch Steuerzuschüsse. Ihrer Pflicht zur Patientenversorgung kommen sie aber immer weniger nach. In Vertragsverhandlungen machen wir diese leidvolle Erfahrung mittlerweile ständig. Aber jetzt stellen die Kassen gleich noch das gesamte flächendeckende Arzneimittelversorgungssystem durch Apotheken in Frage. Das ist nicht nur patientenfeindlich, sondern auch völlig absurd, denn das System ist hocheffizient.“ 

Becker: Mehr Ausgaben für Verwaltung als für die Arzneimittelversorgung

Becker erklärt weiter, die Rund-um-die-Uhr-Arzneimittelversorgung durch 19.800 Apotheken und ihre 157.000 Beschäftigten habe 2017 nur noch 2,2 Prozent der GKV-Leistungsausgaben beansprucht. Das sei ein historischer Tiefstand. Allein für ihre Verwaltungsausgaben würden die Kassen mehr als doppelt so viel Geld ausgeben.

Der Kassenverband greift mit seinen Forderungen Kernelemente des Honoargutachtens des Bundeswirtschaftsministeriums auf. Eine der Kernforderungen ist es, das Fixhonorar der Apotheker sowie die Großhandelsvergütung drastisch zu senken, wodurch sich nach Berechnungen des Kassenverbandes ein Einsparpotenzial von mehr als 1 Milliarde Euro ergebe. Einen konkreten Wert nennt der Kassenverband für die Absenkung des Fixums nicht. Der Verband schreibt aber auch, dass die prozentuale Marge erhöht und gleichzeitig gedeckelt werden müsse, damit die Apotheker an Hochpreisern nicht zu viel verdienen. Diese Forderungen standen auch im 2HM-Gutachten.

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Des Weiteren stellt sich der GKV-Spitzenverband vor, die Apothekenstruktur zu deregulieren und beispielsweise das Mehr- und Fremdbesitzverbot aufzuheben. Mit Blick auf die sinkende Apothekenzahl stellt der Kassenverband in seinem Papier fest, dass die Kassen nicht für das Überleben jeder einzelnen Apotheke zuständig und verantwortlich seien. Um die entstehenden Versorgungslücken zu schließen, schlagen die Kassen mehrere neue Versorgungsformen vor, wie etwa die Tele-Pharmazie, die bürokratische Entlastung von Fililapotheken (Apotheke Light) oder Apothekenbusse. Erst am heutigen Mittwoch hatte die ABDA ihre „Zahlen, Daten, Fakten 2018“ veröffentlicht. Demnach befindet ich die Apothekenzahl auf dem tiefsten Stand seit der Wiedervereinigung.

Der einstimmige Beschluss des Verwaltungsrates bedeutet nun, dass der Vorstand des GKV-Spitzenverbandes den Auftrag hat, die in dem Papier enthaltenen Forderungen in Politik und Öffentlichkeit zu vertreten.



jb / DAZ.online
redaktion@daz.online


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4 Kommentare

Angedachte KraKa-Wünsche - die werden sich noch wundern

von Alfons Neumann am 08.06.2018 um 1:29 Uhr

Wo wir gerade schon dabei sind und sich die Krankenkassen Marktwirtschaft so sehnlichst wünschen, gelten dann natürlich auch die Pflichten - so ist´s vorbei mit 6-Euro-Flatrate, denn: "Mit welchem Recht müssen wir die Inkasso-Funktion für Eure Herstellerrabatte ohne adäquate und branchenübliche Verwaltungsvergütung übernehmen ? Mit welchem Recht werden nicht lieferbare Importe uns ggf. als Malus angerechnet, aber erwirtschaftete Boni nicht von Euch ausgezahlt ? Mit welchem Recht wird uns die Vergütung des Sonderaufwands durch Eure nicht lieferbaren Rabatttvertragsartikel verweigert, und warum haltet Ihr Euch dann nicht an die Verursacher, nämlich die Hersteller ? Mit welchem Recht müssen wir für Formfehler der Ärzte per Retax geradestehen - Stichwort Verursacherprinzip ? Mit welchem Recht können bei Rezepturen mit gesondert zu beschaffenden Substanzen diese nur anteilig berechnet werden und liegen allgemein die Arbeitspreise zusammen mit der Dokumentation mal korrekt gerechnet unter Mindestlohn bzw. werden manche Anfertigungen wie Aufziehen in gebrauchsfertige Spritzen o.ä. sogar gar nicht vergütet ? Auszugehen ist durchaus von 80,- Euro pro Stunde oder mehr - berechnet zumindest eine Kfz-Vertragswerkstatt heutzutage
Ach ja, und da öffentliche Apotheken allein durch ihre Notdienste Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge sind, haben sich die Anpassungen des Fixums und des prozentualen Aufschlags uneingeschränkt an den Tarifabschlüssen des öffentlichen Dienstes zu orientieren, und zwar ohne jeglich Deckelung oder Hintertüren !"

So, reicht erstmal für heute...

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Die Antwort ist eigentlich noch viel zu lasch

von Alfons Neumann am 08.06.2018 um 1:17 Uhr

denn man müßte den GKVs in diesem Fall mal absolut deutlich sagen: Ihr tickt wohl nicht mehr sauber !!
Wo bleibt eigentlich die eindeutige Gegenantwort, aber mittlerweile auch ein angekündigter konstruktiver Gegenentwurf von ABDA, Kammern etc. ?? Denn es war so klar, daß sich die GKV aus dem BMWi-Gutachten das herauspicken würde, was ihr genehm ist - nun fliegt uns das Ganze halt um die Ohren, und mit Schweigen und Hören kam und kommt man mit unseren berechtigten Forderungen nun mal nicht weiter.
Wenn sich da nichts tut, hätten sich unsere Kammern und Verbände eigentlich wegen Nutzlosigkeit selbst abgeschafft ...

Bzgl. des Vergleichs mit den Verwaltungskosten m. E. noch zum Ergänzen/Nachsetzen geeignet.: "Was glaubt Ihr Krankenkassen, wo Ihr bei den Verwaltungskosten stehen würdet, wenn wir nicht Eure ständigen bürokratischen Befindlichkeiten erfüllen, sondern Ihr diese selbst durchführen müßtet? Was glaubt Ihr Krankenkassen, wie es ausschaut, wenn wir mal nicht jeden Tag Eure teils abstrusen Rabattverträge mit Firmen, die noch nie ein Mensch zuvor gehört hat, durchführen und damit Euch permanenten Geldzufluß generieren, sondern mal gemäß Patientenwillen verfahren und das Ganze in Form der gestzlich möglichen Wunschverordnung behandeln würden? Dann gehen Eure KraKa-Verwaltungskosten mal deftig durch die Decke, der Patient sieht, was Ihr an Rabatt direkt oder indirekt einsackt, und Ihr Krankenkassen seht dann allgemein sowas von alt aus, denn eine derartige Steigerung Eurer selbst verursachten Kosten kann dann nämlich auch Herr Spahn nicht länger ignorieren!"

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Gkv-Spitzenverband schaffen?

von Maria Schwödiauer am 07.06.2018 um 22:14 Uhr

Frage: Wieviel Geld wäre eingespart, wenn der GKV-Spitzenverband ersetzt würde oder minimiert würde?

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Stehen Sie zu Ihrem Wort Herr Kauder!

von Raik Arsand am 06.06.2018 um 19:34 Uhr

Vor paar Wochen hat Herr Kauder auf der Zugspitze getönt, dass man sich in einer Koalition schon mal streitet, aber was im Koalitionsvertrag steht, wird umgesetzt.
Herr Kauder: Es ist höchste Zeit!

Das Desinteresse der Politik am bestehenden, gut funktionierenden Apothekensystem schreit zum Himmel. Lieber protegiert man ausländische Kapitalgesellschaften als sich um den Erhalt inländischer familien- und frauenfreundlicher Arbeitsplätze zu kümmern (wohnortnah, flexibel in der Arbeitszeit, um eine Frauenquote muss sich eine deutsche Apotheke nicht sorgen).
Durch diese Gleichgültigkeit und damit verbundene unsichere Zukunft wird der massive Fachkräftemangel weiter verschärft. Unerträgliche Bürokratie (wann kommt noch der Meteoriten-Beauftragte für Apotheken?) und ärgerliche Lieferengpässe geben den Rest.
Erst dann, wenn ein funktionierendes System erfolgreich zerschlagen wurde und kaum noch was geht - wie in der Pflege - versucht die Politik mit der großen Geldgießkanne das wieder zum Wachsen zu bringen, was vorher zertrampelt wurde.
Eine virtuelle Surrogatversorgung ist keine ernstzunehmende Alternative!
Verantwortung kann man nur für das übernehmen, was man kennt – Versandapotheken kennen ihre Kunden nicht!
Wer Arzneimittel billig verkauft, muss viel Arzneimittel verkaufen und das kann nicht das Ziel eine Gesundheitspolitik sein!
Ein Beispiel wäre eine aktuelle DocMorris-Werbung zum Thema Durchfall:
Hier wird schon mal Laxoberal präsentiert – Hauptsache billig…

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