US-Gesundheitsmarkt in Bewegung

Was steckt hinter dem Amazon-PillPack-Deal?

München - 29.06.2018, 17:45 Uhr

Was bezweckt Amazon mit dem PillPack-Deal? Wer ist diese Versandapotheke überhaupt? Und was macht sie? DAZ.online-Autor Thorsten Schüller versucht, diese Fragen zu beantworten. (Foto: Imago)

Was bezweckt Amazon mit dem PillPack-Deal? Wer ist diese Versandapotheke überhaupt? Und was macht sie? DAZ.online-Autor Thorsten Schüller versucht, diese Fragen zu beantworten. (Foto: Imago)


Die Ankündigung des Onlineriesen Amazon, die US-Versandapotheke PillPack zu übernehmen, beunruhigt die Branche jenseits des Atlantik. Die Aktienkurse großer US-Apothekenketten brachen daraufhin massiv ein. Doch wie sieht das Geschäftsmodell des Start-ups genau aus, welche Pläne hat Amazon mit der Firma und welche Folgen hat der Deal für die Wettbewerber?

Die Reaktion auf die Nachricht, der US-Versandgigant Amazon werde das Bostoner Unternehmen PillPack übernehmen und damit in das Arzneimittel-Versandgeschäft einsteigen, zeigte an den US-Börsen unmittelbare Folgen: Die Aktienkurse der größten nordamerikanischen Apothekenketten brachen schlagartig ein: Waalgreens und Rite Aid um über 10 Prozent, CVS Health gaben 9,3 Prozent nach. Insgesamt verloren die drei Konzerne am Donnerstag rund 12,8 Milliarden Dollar an Marktwert. Auch die Papiere von Medikamenten-Großhändlern wie Cardinal Health und McKesson standen unter Druck.

Mit der Übernahme von PillPack macht Amazon wahr, was lange vermutet und von Vielen befürchtet wurde. Laut dem US-Fernsehsender CNBC ist dieser Schritt das bislang stärkste Indiz für Amazons Absicht, weiter in die Gesundheitsbranche vorzudringen. Manche sehen den Konzern durch diesen Deal sogar schon auf dem Weg, selbst eine Apotheke zu werden. Dabei gerät Amazon durch diese strategisch möglicherweise entscheidende Akquisition nicht einmal finanziell unter Druck: Der Konzern bringt es auf einen Marktwert von über 840 Milliarden US-Dollar, zahlt laut US-Medienberichten aber nur ungefähr eine Milliarde Dollar für die Übernahme von PillPack.

Dabei schien der weltgrößte Online-Händler wohl nicht der erste Interessent an PillPack gewesen zu sein: Der Fernsehsender CNBC berichtete, PillPack stehe vor der Übernahme durch den Supermarktriesen Wal-Mart. Der Preis liege unterhalb der Marke von einer Milliarde Dollar, hieß es damals unter Berufung auf gut informierte Personen. Wal-Mart baut in den USA gerade massiv sein Online-Geschäft aus, um Amazon Paroli zu bieten.

Viel Aufregung um die kleine Firma PillPack

Die ganze Aufregung dreht sich um eine vergleichsweise kleine Firma, die 2012 von dem heute 32-Jährigen Apotheker TJ Parker und dessen Studienkollegen Elliott Cohen gegründet wurde und keine 1000 Mitarbeitern zählt. Nach Angaben von PillPack verbrachte Parker, dessen Eltern eine Apotheke besaßen, die meiste Zeit seines Lebens damit, Menschen dabei zuzusehen, wie sie mit der Verwaltung ihrer Medikamente kämpfen. „Ich habe immer Medikamente an die Leute im Ort ausgetragen“, berichtete der PillPack-Gründer vor zwei Jahren in einem Interview mit der Founders Workbench.

Nach Angaben des Nachrichtenmagazins Focus sei es daher konsequent gewesen, dass er später in Boston Pharmazie studierte. Dort präsentierten Parker und Cohen ihre Idee von PillPack, das sich auf die patientenindividuelle Verblisterung spezialisiert, erstmals 2012 bei einem Hackathon, einer Software- und Hardwareentwicklungsveranstaltung des Bostoner Massachusetts General Hospital, wo sie gleich den Hauptpreis gewannen. Ein Jahr später gründeten sie ihre Firma und nahmen an verschiedenen Startup-Wettbewerben teil. In der Folge gelang es ihnen, von Investoren insgesamt 118 Millionen Dollar an Kapital einzunehmen.

Was macht PillPack?

Pillpack ist keine Versandapotheke wie jede andere, der Service der Firma ist deutlich ausgefeilter. Das Unternehmen wendet sich in erster Linie an chronisch kranke Patienten. Die reichen ihre Rezepte mit den vom Arzt verschriebenen Medikamenten online ein. Statt komplette Arzneimittelpackungen zu versenden, verpackt das Startup die Medizin in die benötigte Dosis und beschriftet die Packungen entsprechend. Ein ausgebildeter Apotheker prüft den Prozess. Damit weiß der Patient genau, zu welcher Tageszeit er welche Arznei zu sich nehmen muss. Die Beutel wiederum werden in Schachteln geliefert, die einen Monat abdecken. Laut PillPack schätzen vor allem ältere Menschen diesen Service, da sie oft viele verschiedene Pillen schlucken müssen und dabei leicht durcheinanderkommen.

Offenbar funktioniert das Konzept: Mit dieser Geschäftsidee brachte es PillPack laut CNBC online im Jahr 2016 angeblich auf einen Wert von 330 Millionen Dollar und im Jahr 2017 auf einen Umsatz von mehr als 100 Millionen Dollar. Das Start-up war erwachsen geworden.

„Ein Deal, den die Branche befürchtet hat“

Folgt man den Worten von Jeff Wilke, CEO von Amazon weltweit, so scheint der Versandkonzern allerdings noch keine exakte Vorstellung zu haben, wie genau er PillPack für die eigenen Aktivitäten im Arzneimittelversand nutzen möchte. Wilke wörtlich: „PillPack verbessert das Leben seiner Kunden erheblich und wir wollen ihnen helfen, es den Menschen weiterhin leichter zu machen, Zeit zu sparen, ihr Leben zu vereinfachen und sich gesünder zu fühlen. Wir sind gespannt, was wir im Laufe der Zeit gemeinsam für unsere Kunden tun können.“

Das könnte eine Vernebelungstaktik sein, um die Wettbewerber auf dem US-Apothekenmarkt im Unklaren über Amazons nächste Schritte zu lassen. Denn nach Meinung von Branchenkennern hat Amazon mit diesem Schritt die Frage beantwortet, wann und wie sich der Konzern ein Stück des 560 Milliarden Dollar schweren Marktes für verschreibungspflichtige Arzneimittel sichern will. „Das war genau die Art von Deal, die die Gesundheitsbranche befürchtet hatte“, schreibt die New York Times. Und Eric Coldwell, Analyst des Gesundheitsdienstleisters Robert W. Baird, wird von dem Nachrichtendienst Bloomberg mit den Worten zitiert: „Der Kauf von PillPack durch Amazon ist ein Frontalangriff auf die Gesundheitsbranche.“

Medien: PillPack will gar nicht Apotheke sein

Das italienische Medium Pharmacyscanner schreibt, dass Amazon mit dem Erwerb von Pillpack nicht direkt das Geschäftsmodell klassischer Apotheken oder Arzneimittelversender nachmache, sondern den Fokus auf Lieferqualität und Therapietreue lege - Faktoren, die für die Gesundheitssysteme heute eine große Bedeutung haben. Damit mache Amazon einen genialen Schritt, der zeige, dass der E-Commerce-Riese die Anforderungen und die Dynamik des Arzneimittelmarktes verstanden habe. Er zeige auch, dass Amazon die Prioritäten der sogenannten Payer, also Versicherungen und Fonds, bestens kenne: Die Lieferung in dosengenauen Packungen bedeute, das Leben für chronisch kranke Patienten zu vereinfachen und deren Einnahmetreue zu verbessern. Amazon habe auch verstanden, dass die Lieferung direkt nach Hause vor allem für chronisch Kranke einen Mehrwert darstelle – das gelte im Übrigen auch für Patienten auf dem europäischen Kontinent, so Pharmacyscanner.

Darüber hinaus löst die Übernahme von PillPack für Amazon ein Problem. Um in das Geschäft mit dem Medikamentenversand einzusteigen, braucht der Konzern in jedem US-Bundesstaat eine Apothekenlizenz. PillPack kann dem Onlinekonzern helfen, diese Hürde zu überwinden, da das Start-up in 50 Staaten die Lizenz zum Versand von Medikamenten besitzt. Damit dürfte für den E-Commerce-Riesen der Weg frei werden, schnell ein wichtiger Akteur in dem Geschäft zu werden.

Walgreens-Chef gibt sich gelassen

Während die Aktienkurse der Wettbewerber fast panisch auf Amazons Ankündigung reagierten, übten sich deren Chefs in demonstrativer Gelassenheit: So gab der Vorstandsboss von Walgreens Boots Alliance, Stefano Pessina, Im WallStreetJournal zu Protokoll, dass er „nicht besonders besorgt über die Neuigkeiten“ sei. Die Apothekenwelt sei viel komplexer als die Lieferung einiger Pillen oder Packungen. „Ich bin fest davon überzeugt, dass die Rolle der physischen Apotheke auch in Zukunft sehr wichtig sein wird“, so Pessina.

Die Wahrheit könnte eine andere sein. Laut CNBC droht den etablierten Apothekenkonzernen damit, dass die Rolle ihrer stationären Geschäfte immer kleiner wird – eine Entwicklung, die auch in anderen Bereichen zu beobachten ist. So kaufen in den USA immer mehr Menschen ihre Waren online ein. Viele ehemals gut laufende Einkaufszentren veröden zunehmend.



Thorsten Schüller, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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