- DAZ.online
- News
- Pharmazie
- Halbzeit für ...
Barmer
Halbzeit für Polypharmazie-Projekt – ohne Pharmazeuten
Versicherte, die mehr als fünf Arzneimittel parallel erhalten, werden von mindestens drei verschiedenen Ärzten und Apotheken betreut. Das geht aus dem neuen Arzneimittelreport der Barmer hervor, der am vergangenen Donnerstag in Berlin vorgestellt wurde. Die Barmer findet: So ist es nahezu unmöglich, den Überblick über die Arzneimitteltherapie zu behalten. Deshalb betreibt die Ersatzkasse seit anderthalb Jahren ein Modellprojekt zur Polypharmazie. An diesem Arzneimittelprojekt sind allerdings keine Apotheken beteiligt.
Mehr als fünf verschiedene Arzneimittel zugleich einzunehmen, wird als Polypharmazie definiert. Laut einer aktuellen Analyse der Barmer Ersatzkasse ist jeder fünfte Bundesbürger davon betroffen. Die meisten Arzneimittelrisiken, die dabei auftreten, sind vermeidbar, erklärte der Barmer Vorstandsvorsitzende Professor Christoph Straub auf einer Pressekonferenz, die am vergangenen Donnerstag in Berlin stattfand. Bei der Veranstaltung referierte auch Professor Daniel Grandt, Hauptautor des „Arzneimittelreports 2018“.
Vielfalt an Arzneimitteln, Ärzten und Apotheken
Der Publikation von Grandt zufolge erhalten Versicherte mit Polypharmazie ihre Verordnungen von drei oder mehr Ärzten. Hinzu komme, dass mehr als 80 Prozent der Betroffenen ihre Rezepte in bis zu drei verschiedenen Apotheken einlösen. „Der Apotheker hat bei der Polypharmazie auch keinen besseren Überblick als der Arzt“, schilderte Grandt.
Und für Hausärzte ist es nahezu unmöglich, den Überblick zu bewahren, erläuterte Straub. Zwar verordnen Allgemeinmediziner den Reportergebnissen zufolge nur etwa 60 unterschiedliche Arzneimittel pro Quartal über den eigenen Rezeptblock. Bei der Bewertung von Arzneimittelrisiken spielen jedoch auch die Medikamente eine Rolle, die verschiedene Fachärzte verschreiben. Zusammengerechnet müsse ein Hausarzt etwa 1860 verschiedene Arzneimittel kennen, mit denen theoretisch 454.012 Kombinationen möglich seien.
„Adam“ soll vor Arzneimittelrisiken warnen
Schuldzuweisungen seien bei den Ärzten an der falschen Stelle. „Mit 454.012 Wirkstoffkombinationen können Sie keine Studien machen“, so Grandt. Um die Ärzte bei ihrer Arbeit zu unterstützen, hat die Barmer das digitale Projekt Adam (Anwendung für digital unterstütztes Arzneimitteltherapie-Management) gemeinsam mit der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe entwickelt. Mit diesem Modellprojekt sollen vermeidbare Arzneimittelrisiken leichter erkannt werden.
Das Polypharmazie-Projekt, das auf drei Jahre ausgelegt ist und am 1. Januar 2017 begonnen hat, wird mit 16 Millionen Euro aus dem Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses finanziert. Bei dieser Anwendung, die mit der Telematikinfrastruktur kompatibel sein soll, sind mehr als 600 Hausärzte angemeldet. Die Allgemeinmediziner haben dabei Zugriff auf die Verordnungsdaten aller Ärzte. Im Gegensatz zu dem bundeseinheitlichen Medikationsplan ist Adam nicht patientenbezogen, sondern arzneimittelbezogen aufgebaut. Darin sieht die Ersatzkasse einen Vorteil, ohne diesen zu begründen.
Selbstauskunft und Algorithmus statt Apotheke
Im Gegensatz zu dem Projekt ARMIN in Sachsen und Thüringen, bei dem es ebenfalls um Arzneimitteltherapiesicherheit geht, sind bei Adam keine Apotheker involviert. „Die Apotheker leisten jetzt schon einen wichtigen Beitrag“, erklärte Grandt auf Nachfrage. Doch man habe sich dazu entschlossen, die Pharmazeuten, wie übrigens auch die Fachärzte, bei diesem Hausarztprojekt nicht einzubinden. Anstelle einer Apothekenbeteiligung werden die Patienten direkt befragt, welche OTC-Medikamente sie einnehmen.
Auf den Einwand hin, dass eine Selbstauskunft Lücken aufweisen könne, erläuterte Grandt, dass die Anwendung zu jeder Verschreibung alle Interaktionen zu jedem OTC-Produkt berechnen könne. Der Hausarzt könne im System anhand von Warnhinweisen erkennen, ob bei seiner Verschreibung Wechselwirkungen zu verschreibungsfreien Präparaten möglich seien.
1 Kommentar
"Adam" als -nackte- Theorie
von Heiko Barz am 07.07.2018 um 9:33 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.