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Skandal in Bottrop
Verteidiger fordern Freispruch für Zyto-Apotheker Peter S.
In ihren Plädoyers fordert die Verteidigung einen Freispruch
und die Freilassung des angeklagten Apothekers Peter S. Ihrer Ansicht nach sind
die Vorwürfe nicht erwiesen, stattdessen gebe es eine mediale Vorverurteilung. Die
Staatsanwaltschaft wie auch Nebenkläger hatten mehr als 13 Jahre Haft
gefordert. Am morgigen Freitag will das Gericht das Urteil verkünden. Der Apotheker selbst verzichtete auf ein letztes Wort im Verfahren.
Im Prozess gegen den Bottroper Zyto-Apotheker Peter S. vor dem Landgericht Essen soll am morgigen Freitag das Urteil verkündet werden. Am Dienstag hatte die Staatsanwaltschaft Essen 13,5 Jahre Haft und ein lebenslanges Berufsverbot gefordert, Nebenkläger hatten sich dem angeschlossen. Am heutigen Donnerstag hielten weitere Nebenklagevertreter ihre Plädoyers.
Eigentlich sollten Anwälte die Fälle nicht zu sehr an sich herankommen lassen, erklärte ein Nebenklagevertreter – doch hier sei dies kaum möglich gewesen. Er vertritt eine ältere Frau, deren Tochter 18 Tage nach der Verhaftung von S. verstorben war: Nachdem sie im Radio erfahren habe, dass ihre Medikamente womöglich unterdosiert wurden, habe sie sich „aufgegeben". Sie hinterließ eine kleine Tochter, um die sich die Großmutter nun kümmert.
Anwalt: Ein Drama in drei Akten
Der Anwalt verglich den Fall mit einem Drama in drei Akten – S. sei in eine Apothekerdynastie geboren, sein Weg sei stark vorgezeichnet gewesen. Offenbar sei er hiermit sehr unzufrieden gewesen und habe versucht, im Bau seines teuren Hauses oder im Kauf von Kunstwerken Erfüllung zu finden – oder in der Erniedrigung von Mitarbeitern, wie es einzelne Zeugen ausgesagt hatten. In seiner Hand sei es nun, ob das Drama zu einer Katastrophe führt – oder zu einer Lösung, indem er beispielsweise auch allgemein über Missstände in der Zyto-Branche aussagt. „Werden Sie den Titel des Gier-Apothekers los – tun sie diesmal einfach das Richtige“, erklärte der Anwalt. „Brechen sie aus der ganzen Geschichte aus.“
Nach Einschätzung eines anderen Nebenklagevertreters hat S. womöglich wegen hohen Stresses mit Unterdosierungen angefangen – und zunehmend nicht mehr auf die Dosierung geachtet. Damit habe er in Kauf genommen, dass jede einzelne Therapie nicht in Ordnung ist, was zu einem Schädigungsvorsatz führe. Auch er rief den Apotheker dazu auf, auszusagen. „Die von mir vertretenen Nebenkläger würden natürlich sehr gerne erfahren, was passiert ist“, sagte er. Für einen seiner Kollegen stellte sich die Frage, „inwieweit Opfer überhaupt Genugtuung kriegen können, wenn der Angeklagte schweigt und nur noch Fragen zurückbleiben“.
Laut Verteidigung gibt es keine Beweise
Der von vier Strafverteidigern vertretene Peter S. verfolgte die Verhandlung konzentrierten Blickes. Zwei der Verteidiger hielten Plädoyers – und forderten, den Apotheker freizusprechen und aus der Haft zu entlassen. Die achtmonatige Beweisaufnahme hat ihrer Ansicht nach nichts erbracht. „Im Ergebnis sind wir genauso schlau, wie wir es vorher waren“, sagte ein Verteidiger.
Seiner Ansicht nach wurde in dem Verfahren nicht geprüft, ob S. die angeklagten Taten verwirklicht hat, sondern dies wurde vorausgesetzt. So bei 27 Medikamenten, die bei der Razzia sichergestellt wurden und laut Kürzel von S. hergestellt sowie nach amtlichen Untersuchungen unterdosiert waren. Die Verteidigung argumentierte, dass in der Apotheke offensichtlich falsch abgezeichnet worden sei – so dass unklar sei, wer konkret die Arzneimittel hergestellt hat. Auch bezüglich der im Strafzeitraum knapp 62.000 hergestellten Krebsmittel sei vieles unklar. „Es gab keinen Beweis vorsätzlicher Fehldosierungen“, erklärte der Verteidiger.
Verteidigung: Peter S. ist nie beim Unterdosieren gesehen worden
Ohnehin seien die sichergestellten Infusionsbeutel noch nicht zur Abholung freigegeben worden – dies entkräfte den Vorwurf der versuchten Körperverletzung in 27 Fällen. Auch habe kein einziger Zeuge vorgebracht, er habe gesehen, wie S. unterdosiert hat – oder eine Anweisung hierzu von dem Apotheker erhalten.
Erneut stellte die Verteidigung die Analyseergebnisse in Abrede: Es bleibe unklar, ob es Unterdosierungen überhaupt gab. Ein Sachverständiger habe Fehler in der Dokumentation der Untersuchungen des Paul-Ehrlich-Instituts und des Landeszentrums Gesundheit NRW als „Alarmsignal“ bezeichnet. „Die Ergebnisse können richtig sein – nur lässt sich diese Richtigkeit nicht anhand der Dokumentation nachvollziehen“, erklärte er. Am Ende müsse das Gericht daher zu dem Ergebnis kommen, dass sie nicht belastbar sei.
„Ein planmäßiges und systematisches Vorgehen ist nicht zu erkennen“
Wenn man unterstelle, dass S. tatsächlich unterdosiert hat, sei die Erklärung erheblich plausibler, dass dies unwillkürlich passiert ist. „Denn ein planmäßiges und systematisches Vorgehen ist nicht zu erkennen“, sagte der Verteidiger. Auch sei nach den Untersuchungen teils ein falscher und teurerer Wirkstoff in den Therapien gewesen – oder es sei laut den Analysen zu Unterdosierungen bei Mitteln gekommen, deren Einkaufsmenge über der Verkaufsmenge lag. Und hätten die Mitarbeiter tatsächlich geschwiegen, wenn sie gemerkt hätten, dass ihr Chef systematisch unterdosiert? „Die Beweisaufnahme hat das Gegenteil bewiesen“, behauptete der Verteidiger: Auch hätten sämtliche Zeugen ausgesagt, dass immer genug Wirkstoff vorrätig gewesen sei.
Er stellte außerdem die Berechnungen der Ein- und Verkaufsmengen in Frage. Zu Gunsten des Angeklagten müsse beispielsweise angenommen werden, dass alle bei privaten Versicherungen abgerechneten Zytostatika keinerlei Wirkstoff enthielten und dafür die bei den Kassen abgerechneten Arzneimittel, die mit einer Summe von 56 Millionen Euro zur Anklage gebracht wurden, entsprechend höher dosiert waren.
„Hetzkampagne“ gegen den beschuldigten Apotheker?
Das Gericht hatte zuvor angedeutet, dass der Apotheker sich womöglich eines Organisationsdelikts schuldig gemacht haben könnte – indem er den Betrieb der Apotheke auf illegale Weise organisiert hätte. Doch dies bedürfe eines konkreten Tatbeitrags von S., erklärte sein Verteidiger, den er nicht als nachgewiesen sehe. Es habe in der Apotheke keine Möglichkeit gegeben, über die Bilanz mögliche Auffälligkeiten beim Gewinn der Zyto-Abteilung aufzudecken, da dies nicht eigens ausgewiesen worden sei; auch habe erst der frühere kaufmännische Leiter der Apotheke, Martin Porwoll, händisch Wareneinkauf und Verkauf verglichen. Diese Erkenntnisquelle sei Peter S. „nicht zugänglich“ gewesen, erklärte sein Verteidiger.
Ein Kollege sprach von einer „Hetzkampagne“ und einem medialen Pranger, an den insbesondere das Recherchenetzwerk Correctiv den Apotheker gestellt habe. „Offensichtlich zu verlockend war es, sich dem Skandal hinzugeben und ihn breitzutreten als stünde alles schon fest“, sagte er. Noch vor Start der Hauptverhandlung seien Inhalte von Ermittlungsakten an die Öffentlichkeit gelangt. „Das alles kann nur als skandalös bezeichnet werden“, sagte der Verteidiger. Der größere Skandal sei es, wenn das Gericht das jetzt als Bagatelle abtut.
Haben die Behörden die mediale Hetze mit verschuldet?
Behörden hätten die „mediale Hetze“ mit verschuldet. Zum Beleg dieser These nannte der Verteidiger die Äußerung einer Sprecherin der Staatsanwaltschaft, die erklärt habe, es sei unklar, ob S. beispielsweise Männer oder Frauen benachteiligt habe. Diese Spekulationen gingen immer mit der Prämisse einher, es gebe keine Zweifel, erklärte der Verteidiger. Auch das Bundeskanzleramt sprach von einem „Einzelfall kriminellen Fehlverhaltens“, NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann habe gesagt, dass S. „völlig zu Recht“ in Untersuchungshaft sitze. Alle diese „vorverurteilenden Tendenzen“ müssten strafmindernd wirken, erklärte der Verteidiger: Insbesondere die vom Staat verursachten Verletzungen der Unschuldsvermutung wögen schwer.
Entlastend sei auch die „Willensschwäche des Angeklagten“, die nach Ansicht der Verteidigung ihre Ursache in einer schweren Kopfverletzung sowie massiven Kopfschmerzen habe – obwohl ein vom Gericht bestellter Sachverständiger erklärt hatte, der Apotheker sei voll schuldfähig. Außerdem lege die „Milieuzugehörigkeit“ nahe, dass die Haft für S. besonders belastend sei, so dass die vom Staatsanwalt geforderte Strafhöhe selbst dann unangemessen sei, wenn sie erwiesen wäre.
„Bei wem ist wann genau welcher Schaden entstanden?“
Ein Betrugsnachweis sei insgesamt nicht erbracht. „Wer ist eigentlich Täter? Wer mittelbar? Bei wem ist wann genau welcher Schaden entstanden?“, fragte der Verteidiger. Dem fehlenden Tatnachweis könne auch die Rechtsfigur des Organisationsdelikts nicht abhelfen.
Nach den Plädoyers klärte der Vorsitzende Richter Johannes Hidding den Apotheker darüber auf, dass ihm das letzte Wort zusteht. „Ich möchte mich nicht mehr äußern“, sagte S.
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