Top-Themen 2018

Was ist N-Nitrosodimethylamin?

Stuttgart - 28.12.2018, 15:45 Uhr

Gefährlich für Gesundheit und Umwelt - für N-Nitrosodimethylamin gelten drei Gefahrensymbole GHS06, GHS08 (abgebildetes Symbol) und GHS09. ( r / Foto: bilderzwerg / stock.adobe.com)

Gefährlich für Gesundheit und Umwelt - für N-Nitrosodimethylamin gelten drei Gefahrensymbole GHS06, GHS08 (abgebildetes Symbol) und GHS09. ( r / Foto: bilderzwerg / stock.adobe.com)


Das Valsartan des chinesischen Wirkstoffherstellers Zhejiang Huahai Pharmaceutical soll mit N-Nitrosodimethylamin verunreinigt sein. Noch ist völlig unklar, wie stark die Verunreinigung der Arzneimittel wirklich ist. Fest steht: Das BfArM sieht derzeit keine akute Patientengefährdung. Weil dieser Stoff an sich aber „wahrscheinlich krebserregend“ ist, hat die Behörde einen europaweiten Rückruf betroffener Chargen angekündigt, erste konkrete Rückrufe sind inzwischen erfolgt. DAZ.online hat recherchiert, was über N-Nitrosodimethylamin bisher bekannt ist.

Top-Themen 2018

In der Kategorie „Top-Themen 2018“ stellen wir Ihnen in diesen Tagen einige der meist gelesenen und meist kommentierten Artikel aus dem Jahr 2018 vor. Dieser Beitrag erschien ursprünglich am 5. Juli 2018 um 17.45 Uhr.

Laut dem Bundesinstitut für Risiskobewertung (BfR) gehören N-Nitrosamine in der Toxikologie zu den am intensivsten bearbeiteten Stoffklassen. Die meisten N-Nitrosamine seien im Tierversuch sowohl nach oraler als auch nach inhalativer Gabe krebserzeugend. Sie könnten zudem unter bestimmten Bedingungen, wie im sauren Milieu des Magens, aus aliphatischen sekundären Aminen und nitrosierenden Agenzien endogen gebildet werden.

Toxizität und Kanzerogenität umfassend dokumentiert

Die Toxizität und Kanzerogenität von N-Nitrosaminen ist laut BfR in zahlreichen Monographien „umfassend“ dokumentiert. Ein besonderes Merkmal dieser krebserzeugenden Stoffe sei die eingeschränkte Organspezifität ihrer Wirkung, die von verschiedenen Faktoren beeinflusst wird. Bevorzugte Zielorgane von N-Nitrosodimethylamin (NDMA) – das als Verunreinigung nun im chinesischen Valsartan entdeckt wurde – seien Leber, oberer Gastrointestinaltrakt, Respirationstrakt, Niere und Harnblase. 

Zahlreiche in-vitro-Untersuchungen an Bakterien und Säugerzellen, sowie in in-vivo-Untersuchungen an Ratten, Mäusen oder Hamstern sollen einen genotoxischen Wirkmechanismus für die kanzerogenen N-Nitrosamine eindeutig belegen: Ihre enzymatischen Oxidationsprodukte führen zu DNA-Mutationen. 

NDMA gehört zu den potentesten Kanzerogenen

Die kanzerogene Potenz der verschiedenen N-Nitrosamine soll sehr stark variieren, wobei NDMA (Verunreinigung im chinesischen Valsartan) laut BfR zu den potentesten Stoffen dieser Gruppe gehört: N-Nitrosamine sollen in „praktisch allen“ untersuchten Spezies sowohl nach oraler als auch nach inhalativer Aufnahme Tumore induziert haben – das habe man in über 40 Tierspezies nachgewiesen. Deshalb sei anzunehmen, dass sie auch beim Menschen krebsauslösend wirken. In vier von fünf Studien sei zudem zwischen der NDMA-Aufnahme über die Nahrung und dem Magenkrebsrisiko beim Menschen eine positive Assoziation gefunden worden.  


Für diese Substanzen existiert nach heutigem wissenschaftlichen Kenntnisstand keine Dosis ohne Wirkung: Jede Menge kann schädlich sein.

Aus der Stellungnahme Nr. 029/2005 des BfR vom 18. Mai 2005


Im Mai 2005 hat das BfR eine Stellungnahme zu Nitrosaminen abgegeben, mit dem Titel „Risikobewertung genotoxischer und kanzerogener Stoffe soll in der EU harmonisiert werden“. Darin heißt es: „Acrylamid, Furan, Nitrosamine oder Polyzyklische Aromatische Kohlenwasserstoffe sind Substanzen, die in bestimmten Lebensmitteln nachgewiesen wurden und die aufgrund ihrer Eigenschaften ein gesundheitliches Risiko für den Verbraucher darstellen können. Einige schädigen die DNA (sind genotoxisch) und lösen im Tierversuch Krebs aus (sind kanzerogen). Für diese Substanzen existiert nach heutigem wissenschaftlichen Kenntnisstand keine Dosis ohne Wirkung: Jede Menge kann schädlich sein. Idealerweise sollte der Verbraucher mit diesen Stoffen überhaupt nicht in Kontakt kommen.“

N-Nitrosamine in der Nahrung

Normale Verbraucher nehmen N-Nitrosamine laut BfR vor allem über die Nahrung auf. Lebensmittel wie gepökeltes oder geräuchertes Fleisch und geräucherter Fisch seien besonders betroffen. Aber auch beim Passivrauchen werden N-Nitrosamine aufgenommen.

Kinder sind insbesondere durch Spielzeug aus Natur- oder Synthesekautschuk gefährdet, wenn sie diese in den Mund nehmen. In einer weiteren Stellungnahme aus dem Jahr 2011 mit dem Titel „Spielzeug aus Natur- und Synthesekautschuk für Kinder unter drei Jahren: Freisetzung von N-Nitrosaminen sollte so gering wie möglich sein“ geht das BfR auf dieses Thema genauer ein.

Klar wird dabei, dass man sich bei der Vermeidung dieser gesundheitsschädlichen Stoffe in einem Spannungsfeld aus „Verbrauchererwartung, Wissen und Wissenslücken sowie technologischer Machbarkeit“ bewegt. 

Aufgrund dieses Dilemmas kam beim Risikomanagement bislang immer das ALARA-Prinzip zum Einsatz: As low as reasonably achievable. Das heißt, man versucht den Gehalt der Substanz in einem Lebensmittel so weit zu minimieren, wie dies „vernünftigerweise“ möglich ist. Eine harmonisierte Strategie für die Risikobewertung von genotoxischen und kanzerogenen Substanzen sollte die Defizite dieser Risikomanagement-Methode 2005 ausgleichen (s.o.). Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit hatte einen entsprechenden Entwurf vorgelegt und zur Diskussion gestellt, dem sich das BfR 2005 grundsätzlich anschloss, in der Zukunft wollte es aber gerne beide Vorgehensweisen ergänzend anwenden.

Wo kommen N-Nitrosamine her?

In der BfR-Stellungnahme aus dem Jahr 2011 werden N-Nitrosamine als organische Stickstoffverbindungen beschrieben, die unter bestimmten Reaktionsbedingungen aus nitrosierenden Agenzien und nitrosierbaren sekundären Aminen entstehen. Auch zu den hauptsächlich in Luftballons nachgewiesenen N-Nitrosaminen zählt das Dimethylnitrosamin (NDMA), das jetzt als Verunreinigung des Wirkstoffs Valsartan entdeckt wurde. Bezüglich der Luftballons wurde es laut der Stellungnahme des BfR in fast allen Proben nachgewiesen. 

„Bei der Herstellung von Produkten aus Natur- oder Synthesekautschuk werden Dithiocarbamate und Thiurame als Vulkanisationsbeschleuniger verwendet, die während des Vulkanisationsprozesses in N-Nitrosamine und nitrosierbare Amine umgewandelt werden können“, schreibt das BfR.

NDMA-Gehalt bereits ab 0,001 Prozent kennzeichnungspflichtig

NDMA wird in der EU als Stoff eingestuft, der „wahrscheinlich“ beim Menschen karzinogen wirkt (Kategorie 1B). Während in der Regel der Kategorie 1B entsprechende Zubereitungen erst ab einem Gehalt von 0,1 Prozent als krebserzeugend zu kennzeichnen seien, müssten Zubereitungen von NDMA bereits ab 0,001 Prozent gekennzeichnet werden, was auf die hohe kanzerogene Potenz dieser Verbindungen hinweist. Auch die IARC (International Agency for Research on Cancer) hat NDMA und ähnliche Stoffe als wahrscheinlich krebserzeugend beim Menschen eingestuft (Kategorie 2A).  

Gemäß Anhang II Nr. 6 der Gefahrstoffverordnung für „besonders gefährliche krebserzeugende Stoffe“ dürfen N-Nitrosaminverbindungen mit krebserzeugender Wirkung nur in geschlossenen Anlagen hergestellt oder verwendet werden. Für den Arbeitsplatz stellt der Ausschuss für Gefahrstoffe (AGS) spezielle Anforderungen in Bezug auf N-Nitrosamine: So ist laut BfR unter anderem die Möglichkeit der Substitution durch gesundheitlich weniger bedenkliche Stoffe zu prüfen. Als Inhaltsstoffe anwesende nitrosierbare sekundäre Amine, die zur Bildung von krebserzeugenden N-Nitrosaminen der Kategorien 1 oder 2 beitragen, müssen – soweit dies nach dem Stand der Technik möglich sei – durch Stoffe mit einem geringeren gesundheitlichen Risiko ersetzt werden, auch wenn das mit einer Änderung des Herstellungs- oder Verwendungsverfahrens verbunden wäre. Auch bei der Trinkwasseraufbereitung scheint NDMA ein Problem darzustellen. 



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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10 Kommentare

Valsartan Verunreinigung

von Monika Kazda am 05.05.2019 um 16:00 Uhr

Kann man die Belastung von Nitrosodimethylamin im Blut nachweisen?

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Valsartan

von Emanuela Krickl am 19.07.2018 um 22:32 Uhr

Bin leider auch Betroffene

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Valsartan

von Hannelore Dierich am 18.07.2018 um 17:43 Uhr

Hatte 2007 eine Stammzellentransplantation. Bin durch die Hölle gegangen. Aber ich hatte es geschafft.Im Dezember 2017 hatte ich plötzlich wieder Blutkrebs. Ich halt als geheilt.Seit 2012 nehme ich dieses Valsartan 2mal täglich. Nun erfahre ich von der Verunreinigung. Es ist ein Katastrophe. Die Ärzte (sprich Hämatologen) geben sich die größte Mühe ihre Patienten zu heilen und die Pharmaindustrie mit ihrer Profitgier setzen alles aufs Spiel.Das muss bestraft werden. Oder zählt für die ein Menschenleben nichts.

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Valsartan

von Peter langer am 17.07.2018 um 14:22 Uhr

Bitte um die neuesten antworten laufend informiert werden. Valsartan!!

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Sevikar. 20/5/12/

von Helga kaiser am 11.07.2018 um 23:18 Uhr

Mitteilung,ob ja oder nein.

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Valsartan

von Martina Kunze am 10.07.2018 um 13:37 Uhr

Super,mein Mann hat jahrelang Valsartan von 1A genommen.Jetzt hat er Magenkrebs und wird nächste Woche probiert.Die ersten Chemos hat er schon hinter sich.Vielen Dank an alle Beteiligten

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Valsartan

von Schwarz am 09.07.2018 um 18:03 Uhr

N-Nitrosodimethylamin: Noch ist völlig unklar, wie stark die Verunreinigung der Arzneimittel wirklich ist. Bis wann kann man mit ersten Ergebnissen rechnen?

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Dimethylnitrosamin

von Joachim Sievers am 06.07.2018 um 11:09 Uhr

Aus Dimethylnitrosamin entsteht durch Bioaktivierung in einem Schritt ein aktives Carbenium - Ion, das direkt die DNA methylieren kann.
Aktories, 11. Aufl. Abb. 36.9 und Abb. 36.30 S. 1001.
Ein Patient, der regelmäßig ein verunreinigtes Valsartan zu sich genommen hat wurde täglich mit einer potenten, alkylierende Substanz konfrontiert.
Dies ist für jeden Betroffenen der GAU.

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Aber es war so schon billig ! - deutsche Kontrollen vor Ort immer wirkungslos

von Ratatosk am 06.07.2018 um 8:34 Uhr

War klar, war nur Frage der Zeit , da immer billiger eben zu schlechter Qualität führt, immer ! überall.
Das wurde bewußt so von den Kassen, der Politik und der GKV genau so herbeigeführt.

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AW: Aber es war so schon billig ! - deutsche

von Heiko Barz am 06.07.2018 um 12:17 Uhr

Alle die, von Ihnen Genannten, sollten wegen derer ausschließlich impertinenten Gewinnorientierung und nur als solches ist die Ausganbeneinsparung bei Arzneimitteln anzusehen, als Urheber dieses "Valsartan Wahnsinns" mal an den Pranger gestellt werden. Das Valsartan steht hier nur deswegen im Fokus, weil es da sicherlich noch "Andere" bei genauer Bewertung geben wird.
Wie ist es denn mit dem Infrarotspektrometer? Hätte man diese Verunreinigung nicht im Vorfeld analysieren können?
Werden bei unseren Rabattverbreitern gar keine Grundsatzanalysen mehr durchgeführt?

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