Herceptin, Avastin, Lucentis und Humira

Die Italien-Akte im Lunapharm-Skandal

Berlin - 07.08.2018, 11:30 Uhr

Der Lunapharm-Skandal weitet sich aus: Nach Recherchen von DAZ.online betrieb der brandeburgische Händler einen intensiven Handel mit italienischen Verkäufern, mutmaßlich ging es dabei auch um gestohlene Arzneimittel. (m / Foto: Imago)

Der Lunapharm-Skandal weitet sich aus: Nach Recherchen von DAZ.online betrieb der brandeburgische Händler einen intensiven Handel mit italienischen Verkäufern, mutmaßlich ging es dabei auch um gestohlene Arzneimittel. (m / Foto: Imago)


Der Arzneimittelskandal rund um den Brandenburger Händler Lunapharm weitet sich aus: Es gibt nun auch Hinweise darauf, dass Lunapharm nicht nur aus Griechenland, sondern auch aus Italien mutmaßlich gestohlene Krebsarzneimittel hierzulande in die Versorgung einbrachte. Nach Informationen von DAZ.online soll es dabei eine ganze „Liste“ von Medikamenten gegeben haben, die Lunapharm regelmäßig importierte. Besonders brisant: Schon 2014 warnten die italienischen Behörden davor, dass illegale Händler auch mit deutschen Firmen in Kontakt standen.

In der sogenannten Lunapharm-Affäre gibt es derzeit fast täglich neue erschreckende Nachrichten: Am Wochenende berichtete der Berliner „Tagesspiegel“, dass in dem Skandal auch Spuren zur italienischen Mafia führen. Um was geht es? Bislang war nur bekannt, dass der brandenburgische Händler Lunapharm mutmaßlich gestohlene Arzneimittel aus Griechenland hierzulande vertrieben haben soll. Der „Tagesspiegel“ berichtete nun aber, dass die deutschen Behörden auch in Kontakt mit der italienischen Arzneimittelaufsicht stehen. Offenbar hätten sich im Laufe der Ermittlungen Hinweise darauf ergeben, dass Lunapharm den bei Brustkrebs eingesetzten Antikörper Herceptin (Trastuzumab) aus Italien vertrieben haben könnte.

Nach Recherchen von DAZ.online könnten die Aktivitäten von Lunapharm in Italien aber noch viel größer gewesen sein. Denn das Paul-Ehrlich-Institut bestätigte, dass man wegen einer ganzen „Liste“ von Arzneimitteln derzeit in Kontakt mit den italienischen Behörden stehe. Neben Herceptin importierte der Händler demnach regelmäßig auch Avastin (Bevacizumab), Lucentis (Ranibizumab) und Humira (Adalimumab) – allesamt teure Antikörper. Wörtlich erklärte eine Institutssprecherin: „Das PEI hatte die italienische Arzneimittelbehörde AIFA kontaktiert mit der Bitte um Prüfung, ob bestimmte Arzneimittel italienischen Ursprungs, die im Zusammenhang mit Geschäftsaktivitäten der Lunapharm Deutschland GmbH stehen, von Diebstählen betroffen waren. Die Liste umfasste folgende Arzneimittel im Zuständigkeitsbereich des PEI: Herceptin, Avastin,  Lucentis, Humira. Ob weitere Arzneimittel betroffen sein können, ist Gegenstand weiterer Recherchen.“

Laut PEI liegen derzeit noch keine validierten Informationen darüber vor, welche dieser Arzneimittel gestohlen sein könnten. Doch insbesondere bei Herceptin liegt der Verdacht nahe, dass die importierten Chargen nicht auf legalem Weg in die Lieferkette kamen. Denn der „Tagesspiegel“ berichtet aus einem Schriftverkehr zwischen dem PEI und den italienischen Behörden zum Fall Herceptin. Die Antwort der Italiener ist besorgniserregend: Alle europäischen Großhändler müssten wissen, dass Herceptin seit 2014 gar nicht legal über den Großhandel zu erhalten sei, heißt es in dem Schreiben der Italiener. Das Medikament wird seitdem nur direkt an Klinikapotheken verkauft.

2014: Ermittlungen wegen Arzneimittel-Diebstählen in Italien

Hintergrund der Einschränkung ist ein Arzneimittelskandal aus dem Jahr 2014: Damals hatte die italienische Arzneimittelaufsicht ein ganzes Netzwerk an italienischen Arzneimittelhändlern aufgedeckt, die insbesondere teure Krebsarzneimittel mutmaßlich aus Kliniken gestohlen, neu verpackt und dann in ganz Europa in Verkehr gebracht hatten. Die Behörde warnte damals auch vor nicht zertifizierten Großhändlern in Zypern, Ungarn, Lettland, Rumänien, Slowakei und Slowenien. Den Ermittlungen der italienischen Aufsicht zufolge sollen die Arzneimittel damals über diese Unternehmen in ganz Europa verteilt worden sein.

Besonders brisant: Schon damals erklärte die italienische Behörde, dass zwischen den italienischen Händlern, die die Ware mutmaßlich in Umlauf brachten, schon ein direkter Geschäftskontakt mit deutschen Händlern bestanden haben soll. Allerdings tauchte der Name „Lunapharm“ nicht in der (öffentlich bekannten) Ermittlungsliste der Behörde auf. 

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Noch in dieser Woche könnte das Verwaltungsgericht Potsdam darüber entscheiden, ob die Betriebserlaubnis von Lunapharm entzogen wird. Die Aufsichtsbehörde hatte einen sofortigen Entzug der Lizenz angeordnet, um alle Geschäftsaktivitäten der Firma zu stoppen. Ende vergangener Woche war allerdings bekanntgeworden, dass das Gericht die Behörde um weitere Informationen zu dem Eilantrag gebeten habe. Außerdem war die Behörde gebeten worden, den sofortigen Lizenzentzug vorerst auszusetzen. Die Aufsichtsbehörde folgte dem aber nicht und bestätigte gegenüber DAZ.online, dass die Maßnahme bestehen bleibe.

Behörde erneuert Entzug der Betriebserlaubnis

Inzwischen hat das Gesundheitsministerium Brandenburg allerdings mitgeteilt, dass es den Entzug der Betriebserlaubnis neu formuliert hat. Weil offenbar eine Schlappe im Eilverfahren vor dem Gericht drohte, hat die Behörde nun nachgebessert und Lunapharm die Lizenz sogar für sechs Monate entzogen, wie es in einer Mitteilung heißt. Wörtlich heißt es in der Mitteilung: „Der Bescheid enthält eine ausführliche Darstellung der Tatsachen, insbesondere der jüngsten Erkenntnisse, die belegen, dass sich die Firma unter anderem als unzuverlässig erwiesen hat.“

Dass die Begründung des Lizenzentzuges im ersten Bescheid nicht gut genug war, gibt die Behörde nun zu: „Zuvor hatte das LAVG heute einen Widerspruchsbescheid erlassen. Mit diesem neuen Bescheid wird der Widerruf der Betriebserlaubnis vom 20.07.2018 aufgehoben. Dies war nötig, da das Landesamt zu der Auffassung gelangt ist, dass die notwendigen Begründungen des ersten Bescheides nicht umfassend genug waren und somit einer rechtlichen Überprüfung nicht standgehalten hätten. Grund dafür war der enorme zeitliche Druck bei der Erstellung des Bescheides vom 20. Juli. Zudem konnten inzwischen Dank weiterer Aufklärungsbemühungen im LAVG neue Anhaltspunkte für eine auf neue Tatsachen gestützte Begründung gesammelt werden.“



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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1 Kommentar

Lunapharm

von gunter Kowalski am 08.08.2018 um 22:00 Uhr

Die Hartnäckigkeit mit der Diebstähle in Europa behauptet werden und gleichzeitig berichtet wird, es werde von den Krankenhäusern gar nichts gemeldet,so in Griechenland, oder es stünde nicht fest, ob etwas gestohlen sei, wie in Italien, oder Herceptin sei 2014 gestohlen worden und seitdem gar nicht frei verkäuflich, mutet doch sehr gesteuert an.Es läuft sicher auf Rufmord hinaus,wenn diese ganzen Mutmassungen auch eine Verbindung zur Mafia belegen sollen. So wie die griechische Polizei mit einem anonymen Brief belegen will, es seien für 40Millionen Euro Arzneimittel gestohlen worden, die niemand vermisst. Ausserdem würden gestohlene Arzneimittel schlecht behandelt, wofür gar nicht erst ein Beleg vorgeführt wird. So sei wenigstens die Kühlkette durch unbewiesene kühle Lagerung in einem Fischhandel unterbrochen? Oder durch den unbewiesenen Transport per Kurier in Flugzeugen in Kühlpackungen? Zum Glück hat schon die AMK verlautbart, dass diese Mittel nicht laufend gekühlt werden müssten. Aber niemand will Fakten hören, sondern nur Mafia, Clans oder Skandal.

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