Schwedischer Generika-Markt

Verursachen stille Preisabsprachen erhebliche Mehrkosten?

Remagen - 09.08.2018, 15:15 Uhr

DAZ-Autorin und Apothekerin Dr. Helga Blasius stellt das Erstattungsmodell auf dem schwedischen Generikamarkt vor. Laut einer aktuellen Studie gibt es in Schweden sogenannte stille Preisabsprachen. ( r / Foto: Imago)

DAZ-Autorin und Apothekerin Dr. Helga Blasius stellt das Erstattungsmodell auf dem schwedischen Generikamarkt vor. Laut einer aktuellen Studie gibt es in Schweden sogenannte stille Preisabsprachen. ( r / Foto: Imago)


Bei der Versorgung mit Generika ließen sich in der Arzneimittelversorgung in Schweden einige Hundert Millionen Kronen einsparen. Dies behauptet ein neuer Bericht, der die Gründe und Auswirkungen von stillen Preisabsprachen analysiert hat.

Im schwedischen Arzneimittelversorgungssystem werden Generika seit dem Jahr 2002 über monatliche Ausschreibungen beschafft. Das niedrigste Gebot bekommt den Status „Produkt des Monats”. Dieses muss dann in den Apotheken innerhalb einer Substitutionsgruppe bevorzugt abgegeben werden. In ihrem Bericht „Risiken und Kosten der Preiskoordinierung im schwedischen Generika-Markt" erklären die Autoren David Granlund von der Universität von Umeå am Bottnischen Meerbusen und Niklas Rudholm von HUI Research in Stockholm, warum es in diesem System Einsparreserven gibt und wie diese ihrer Meinung nach erschlossen werden könnten.

Der Hauptgrund liegt für Granlund und Rudholm in stillen Preisabsprachen der Pharmaunternehmen, die durch das System ermöglicht und begünstigt werden. Nach dem Bericht liegen die wesentlichen Schwachstellen darin, dass die Preise jeden Monat geändert werden können, dass die Unternehmen ihre Preise leicht untereinander beobachten können. So würden für die Versicherer und die Verbraucher erhebliche Mehrkosten verursacht. Die Größenordnung dieser Mehrkosten schätzen sie auf 50 bis 200 Millionen Euro pro Jahr.

Preisgebote für mehr als 1900 Arzneimittel gesichtet

Die Autoren des Berichts stützen sich im Wesentlichen auf eine Masterarbeit, die die Studentin Jadwiga Cletus im Jahr 2016 an der Universität Göteborg erstellt hat. Cletus untersuchte ein Datenset der Staatlichen Agentur, die für die Regelung der Erstattung von Dentalleistungen und Arzneimitteln zuständig ist (Tandvards-och Läkemedelsförmansverket, TLV) mit monatlichen Preisgeboten für mehr als 1900 Arzneimittel über den Zeitraum 2010 bis 2015.

Dabei konzentrierte sie sich auf etwaige Gesetzmäßigkeiten hinsichtlich der Geschichte der jeweiligen Gewinner und suchte diese konkret auf zwei verschiedene Mechanismen ab. Einer davon ist die Bieter-Rotation. Dabei gibt zum Beispiel Firma A in einem geraden Monat ein hohes Gebot ab und Firma B ein niedriges, und in ungeraden Monaten ist es dann umgekehrt. Damit gewänne jeder zwar nur die Hälfte der Monate, aber die Preise seien in der Regel höher, weil beide keinen echten Preiswettbewerb austrügen, schreibt Cletus. Das funktioniere sogar ohne explizite Absprachen, Die Unternehmen brauchten nur die vorherigen Gebote der „Konkurrenz“ zu beobachten. Auf diese Weise koordinierten sie ihre Preise, und stillschweigende Kollusion sei nicht einmal illegal. Eine weitere Option, die sie untersuchte, ist das parallele bieten. Dabei geben zwei oder mehrere Firmen jeden Monat dasselbe Preisangebot ab, gewinnen deshalb zusammen und teilen sich den Markt.

231 Produkte mit verdächtigen Bieter-Mustern

Konkret identifizierte Cletus 231 Produkte mit verdächtigen Bieter-Mustern, etwa ein Viertel aller Präparate, für die Daten über einen Mindestzeitraum von 30 Monaten verfügbar waren. Bei 107 fand sie Bieter-Rotationen. Bei 135 gaben zwei oder drei Firmen ständig dieselben Gebote ab. Ein Vergleich der Durchschnittspreise der als „verdächtig” eingestuften Produkte mit ähnlichen Produkten nach einer bestimmten Methode offenbarte, dass diese im Mittel fünfmal so hoch waren, wobei die Preisdifferenz bei der Bieter-Rotation dreimal so groß und beim parallelen Bieten mehr als siebenmal so groß ausfiel. Abschließend ermittelte Cletus einen Effekt der Preiskollusion von 47 Prozent und Zusatzkosten für die Gesellschaft in Höhe von mindestens 148 Millionen schwedischen Kronen. 

Preisperioden verlängern und Marktanteile besser verteilen

Eine Möglichkeit zur Verringerung des Risikos von Preiskollusionen wäre nach Meinung von Granlund und Rudholm, den Zeitrahmen für gegenseitige Preisbeobachtungen und Preisänderungen etwa auf eine Viertel-oder ein halbes Jahr zu verlängern. In den Wirtschaftswissenschaften sei seit langem bekannt, dass diese Zeitspanne einen entscheidenden Einfluss auf die Gefahr von Preisabsprachen habe. Außerdem könnten die Unternehmen dazu verpflichtet werden, ihre Preise länger im Voraus anzugeben, bevor die Preisperioden beginnen.

Eine andere Option könnte aus ihrer Sicht darin liegen, den Marktanteils des jeweils billigsten Arzneimittels zu senken. Hierzu müsste die Verpflichtung zur Substitution bei der Abgabe in den Apotheken gelockert werden. So kämen mehr Mitbewerber ins Spiel, ein weiterer Faktor für erschwerte Absprachen. Außerdem würden damit auch andere Faktoren für die Arzneimittelversorgung außerhalb des Preises besser zu Tragen kommen, so ihre Vermutung.

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Welche Auswirkungen hat das gegenwärtige System auf die Apothekenpraxis? Wer den Status als „Produkt des Monats gewinnt, kann rund 70 Prozent der Dispensierungen in den Apotheken auf sich verbuchen (Zahl für 2012). Es gibt verschiedene Konstellationen, bei denen ein Apotheker von der Verpflichtung abweichen darf, das Vorzugspräparat abzugeben. So kann der Arzt die Substitution ausschließen. Wünscht ein Kunde statt des „Produkts des Monats“ das Orginalpräparat auf der Verordnung, so kann er dieses bekommen, muss aber die Preisdifferenz selbst bezahlen. Ein weiterer Grund sind Lieferschwierigkeiten bei dem jeweiligen „Sieger“. Gelingt es diesem in einem Monat nicht, den Bedarf zu decken, so kann sein Präparat übrigens im darauffolgenden Monat nicht „Produkt des Monats” werden. Dies scheint kein Einzelfall zu sein, weshalb das TLV seit 2010 ein oder zwei Reserve-Produkte für die Abgabe benennt.

Abgesehen von diesen Ausnahmefällen verweigern sich die Apotheker aber auch sonst schon mal gegen die straffe Verpflichtung. So halten manche Apotheken das „Produkt des Monats“ einfach nicht am Lager, auch wenn sie es könnten, sondern beziehen lieber ein Vergleichspräparat von einer größeren Firma. Auf diese Weise müssen sie nicht jeden Monat ihre Bestellungen ändern. 

Der schwedische Apothekerverband klagt seit langem über Probleme mit dem bestehenden System. „Ich denke, es ist Zeit, den Zustand zu analysieren und das System so weiter zu entwickeln, dass sowohl die Gesellschaft finanziell davon profitiert als auch die Patienten“, sagt der Verbands-Geschäftsführer Johan Wallér.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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