Gesundheitspolitische Diskussion in Sachsen

Schmidt: Kammern könnten Rezeptsammelstellen anweisen

Chemnitz - 14.08.2018, 17:45 Uhr

Sie wollen die Apotheke auch im Dorf (v.l.): Thomas Dittrich
(Vorsitzender des Sächsischen Apothekerverbands), Alexander Krauß (MdB, CDU),
Göran Donner (Vizepräsident der Sächsischen Landesapothekerkammer) Friedemann
Schmidt (Präsident der Sächsischen Landesapothekerkammer), Regina Kraushaar
(Staatssekretärin im Sächsischen Staatsministerium für Soziales und
Verbrauchschutz). ( r / Foto: diz)

Sie wollen die Apotheke auch im Dorf (v.l.): Thomas Dittrich (Vorsitzender des Sächsischen Apothekerverbands), Alexander Krauß (MdB, CDU), Göran Donner (Vizepräsident der Sächsischen Landesapothekerkammer) Friedemann Schmidt (Präsident der Sächsischen Landesapothekerkammer), Regina Kraushaar (Staatssekretärin im Sächsischen Staatsministerium für Soziales und Verbrauchschutz). ( r / Foto: diz)


Um Möglichkeiten auszuloten, wie die Arzneimittelversorgung auf dem Land auch in Zukunft sichergestellt werden kann, trafen sich am gestrigen Montag sächsische Gesundheitspolitiker sowie Apotheker in Chemnitz zum Gespräch. Friedemann Schmidt, Präsident der Sächsischen Landesapothekerkammer und ABDA-Präsident, kann sich zahlreiche neue apothekerliche Dienstleistungen vorstellen – und auch eine neue Aufgabe der Kammern: Die sollten zur Not die Einrichtung von Rezeptsammelstellen anweisen. 

Erst schließt die Post, dann die Sparkasse, dann geht der Arzt und schließlich macht die Apotheke zu – die Regionen, in denen sich eine Gefährdung der Gesundheitsversorgung der Landbevölkerung abzeichnet, nehmen zu. Auch Sachsen ist davon betroffen, selbst wenn die Gesamtzahl der öffentlichen Apotheken von 996 (2013) auf 979 (2018) nur unwesentlich gesunken ist. So fragten sich die sächsischen Apothekerinnen und Apotheker: Können wir von der Politik erwarten, dass sie auch künftig die Apotheke im Dorf lassen will? Und was können wir Apotheker tun, um die flächendeckende Versorgung auf dem Land zu gewährleisten?

Schmidt: Rezeptsammelstelle auf Kammeranweisung?

Wenn eine Apotheke schließt und eine Versorgungslücke hinterlässt, kann diese z. B. durch Rezeptsammelstellen geschlossen werden. „Das ist auch für Sachsen bedeutsam“, so Schmidt. Und weiter: „Wir brauchen die Rezeptsammelstellen.“ – 127 gibt es davon im Freistaat. Er stellte klar, dass dies keine Versorgung zweiter Klasse ist, sondern der Patient durch die Apotheke, die die Rezeptsammelstelle betreibt, das volle Leistungsspektrum erhält. „Zurzeit bewerben sich ausreichend Apotheken dafür, aber man muss darüber nachdenken“, überlegte Schmidt, „ob in Zukunft eine Rezeptsammelstelle auch durch eine Kammer angewiesen werden kann – die Kosten dafür müssten dann die Krankenkassen übernehmen“.

Lösungen brauche man darüber hinaus für Spezialfälle, z. B. für die nächtliche Versorgung von immobilen Patienten, die nicht durch einen Apotheken-Botendienst versorgt werden könnten. Schmidt: „Dazu brauchen wir Zahlen, wie viele Fälle das sind. Dann können wir uns ein System hierfür überlegen, das dazu passt.“

„Engpassberuf“ Apotheker

Die Bundesagentur für Arbeit hat den Apothekerberuf als „Engpassberuf“ charakterisiert: so gut wie keine Arbeitslosenquote und viele und über einen langen Zeitraum unbesetzte Stellen. Vor allem Landapotheken leiden darunter, dass sie keine Mitarbeiter finden, auch in Sachsen. Personalzuwächse sind dagegen in Krankenhäusern und in der Industrie zu sehen. Dass der Mitarbeitermangel in öffentlichen Apotheken Sachsens möglicherweise auch auf einer schlechteren Gehaltssituation beruht – die sächsischen Apothekenleiter sind bereits vor Jahren aus dem Tarifvertrag ausgestiegen –, kam auf der Veranstaltung offiziell nicht zur Sprache, aber hinter vorgehaltener Hand war zu hören, dass Mitarbeiter lieber in anderen Bundesländern arbeiten, die dem Tarifvertrag angeschlossen sind. 

Finanzielle Sorgen bereite vor allem der zunehmende Versandhandel, so Schmidt. Wenn mittelfristig 10 Prozent der verschreibungspflichtigen Arzneimittel über den Versandhandel laufen, fehlen den öffentlichen Vor-Ort-Apotheken in Deutschland 550 Millionen Euro Rohertrag. Erreicht der Rx-Versand, wie langfristig von den Versendern angestrebt, gar 25 Prozent, dann betragen die Verluste 1,5 Milliarden Euro. Schmidt: „Wer dies zulässt, lässt auch zu, dass unser System kollabiert.“

Koalitionsvertrag mit Rx-Versandverbot gilt

Er möchte auf alle Fälle, dass die Apotheke im Dorf bleibt: CDU-Gesundheitspolitiker Alexander Krauß, der seit 2017 im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages mitarbeitet. Er machte deutlich, dass es ihm bei der Arzneimittelversorgung um Qualität und Sicherheit geht, „das liegt mir am Herzen“. Er hält nichts vom Rx-Versandhandel aus dem Ausland: „Das Rx-Versandverbot steht im Koalitionsvertrag und der gilt weiterhin“, so Krauß, „ich bin sicher, wir werden vorankommen.“

Unterstützung kam auch von Regina Kraushaar, Staatssekretärin im Sächsischen Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz: „Die Regierung will, dass sich das Leben in der Fläche gleichwertig entwickelt wie in den Städten.“ Kraushaar kann sich dabei die Erprobung von telemedizinischen und telepharmazeutischen Modelle vorstellen. Wenn in einem Nebenraum in einer Apotheke ein Patient eine Videosprechstunde mit einem Arzt hat, wie es beispielsweise schon in der Schweiz praktiziert wird, dann ist dies für Kraushaar „nicht ganz abwegig – denn: Keinen Zugang zu einem Arzt ist auch keine Lösung“. Sie rief dazu auf, Modelle anzupacken: „Lasst uns mal was versuchen.“

Schmidt brachte den Gedanken in die Diskussion ein, dass Apotheker durchaus bereit wären, verschiedenen Dienstleistungen jenseits der unmittelbaren Arzneimittelversorgung zu erbringen. Allerdings müsste es dann möglich sein, dass sie dafür von den Krankenkassen honoriert werden. Schmidt: „Die zentrale Forderung der Apotheker an die Politik: Die Regierung muss die Rechtsgrundlage für Spezialverträge zwischen Krankenkassen und Apotheken schaffen, und die Politik muss die Krankenkassen dazu treiben, solche Verträge dann auch abzuschließen.“

Sorgen der Landapotheker

Schwierigkeiten, Mitarbeiter für Landapotheken zu finden, bestätigten die anwesenden Apothekerinnen und Apotheker. Ein Apotheker, der mit einer PTA und einer PKA alleine in der Apotheke steht, regte dazu an, über flexiblere Vertretungsregelungen nachzudenken oder über Möglichkeiten, eine Apotheke auch mal zeitweise zu schließen, „bevor man ganz dicht machen muss“. Selbstkritisch gab eine Apothekerin zu bedenken, dass die Entlohnung der Mitarbeiter konkurrenzfähig sein muss mit Gehältern von Arbeitsplätzen außerhalb der öffentlichen Apotheke. Und eine andere Apothekerin wünschte sich mehr Ausbildungsplätze für Pharmazeuten. Der Gesundheitspolitiker Krauß könnte sich vorstellen, dass die Pharmazeutenausbildung in Leipzig wachsen sollte und sächsische Landeskinder bevorzugt einen Studienplatz in Leipzig erhalten könnten.

ARMIN und Digitales

Dass Apotheken bereit und willens sind, neue Aufgaben zu übernehmen und so dazu beitragen, einer Ausdünnung der ärztlichen Versorgung entgegenzuwirken, zeigte Thomas Dittrich, Vorsitzender des Sächsischen Apothekerverbands, anhand des Modells ARMIN. Mit dieser Arzneimittelinitiative von Sachsen und Thüringen lasse sich die Betreuung chronischer Patienten über die eigentliche Arzneimittelabgabe hinaus verbessern. Der Modellversuch, der einen elektronischen Medikationsplan, einen ärztlichen Medikationskatalog und das Medikationsmanagement durch Apotheken umfasst, läuft bis Ende März 2022. Ziel sei es, das Modell in die Regelversorgung zu überführen.

Und schließlich, so Dittrich, arbeite man auch in Sachsen an der Installation einer elektronischen Rezeptsammelstelle, wie es sie bereits in Baden-Württemberg und im Saarland gibt.

Die Politiker Kraushaar und Krauß nahmen von der Veranstaltung mit, dass die Apotheker bereit sind, sich neuen Herausforderungen zu stellen. Sie wünschten sich, weitere Modelle zu erproben, mit denen die flächendeckende medizinische und Arzneimittel-Versorgung auf dem Land erhalten bleibt. Sie bekannten sich dazu: „Wir wollen die Apotheke im Dorf lassen.“



Peter Ditzel (diz), Apotheker / Herausgeber DAZ
redaktion@deutsche-apotheker-zeitung.de


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1 Kommentar

Rezeptsammelstellen durch Kammern anweisen

von Uwe Hüsgen am 15.08.2018 um 13:32 Uhr

Es gab mal einen DAZ-Beitrag "Denkmodell Kassenapothekerliche Vereinigung" DAZ-Nr. 29/2016). Vielleicht sollten sich Gesundheitspolitiker*innen diesen Beitrag mal ansehen

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