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Leitliniengerechte Beratung
Apothekerin wirft Homöopathie aus der Sichtwahl
Die Bahnhof-Apotheke im oberbayerischen Weilheim war bis vor ein paar Tagen eine von vielen Apotheken, in denen man Homöopathika problemlos kaufen konnte. Apothekeninhaberin Iris Hundertmark und ihr Team haben nun aber eine extreme Entscheidung getroffen: Alle homöopathischen Präparate kommen aus der Sichtwahl, Homöopathika werden nur noch nach einer leitliniengerechten Beratung abgegeben. DAZ.online hat sich bei der Apothekerin nach den Beweggründen erkundigt.
Die Offizin der Weilheimer Bahnhof-Apotheke glich – zumindest bis vor ein paar Tagen – den Verkaufsräumen vieler anderer Apotheken. Neben den bekannten OTC-Produkten gab es auch ein ganzes Regal voller Homöopathika. Die Präparate gehörten zum Standardsortiment der Apotheke. Das ist nun aber Geschichte. Vor einigen Wochen kontaktierte die Inhaberin Iris Hundertmark den Mediziner Dr. Christian Lübbers. Lübbers ist bekennender und bekannter Homöopathie-Gegner und veröffentlicht auf seiner Twitter-Seite, wo er für den Hashtag „Globokalypse“ bekannt ist, regelmäßig Neues aus dem Anti-Homöopathie-Lager.
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Das Anliegen der Apothekerin an den Mediziner: Wie kann man in der Apotheke evidenzbasiert und leitliniengerecht zum Thema Homöopathie beraten? Die Apothekerin wollte Tipps und Hinweise dazu haben, welche Antworten man Kunden mit einem Homöopathie-Wunsch aus medizinischer Sicht geben könnte. Gegenüber DAZ.online erklärte Lübbers, worum es in den Gesprächen mit der Apothekerin ging: „Frau Hundertmark hat den Kontakt zu mir hergestellt, sie machte sich Gedanken über die Beratung zur Homöopathie in ihrer Apotheke. Ich habe ihr dabei geholfen, wie man aus medizinischer Sicht auf Kunden reagiert, die homöopathische Präparate wünschen. Wichtig war uns die ganze Zeit, dass wir den Kunden nicht die Tür vor der Nase zuknallen. Wir wollen ihnen nichts wegnehmen, sondern ihnen etwas geben: Ehrlichkeit. Heutzutage ist immer häufiger die Rede von Patientenautonomie. Diese Autonomie kann aber nur bestehen, wenn der Patient ehrlich und unabhängig beraten wird.“
Rezepte werden noch beliefert
Hundertmark suchte in der Folge das Gespräch mit ihrem Team, das sie bei dieser Entscheidung unbedingt mit einbinden wollte. Seit ein paar Tagen nun ist die Bahnhof-Apotheke eine fast Homöopathie-freie Apotheke: Das Homöopathie-Regal hat die Apothekerin komplett ausgeräumt, fast alles wurde (natürlich unter Abschlägen) vom Großhandel zurückgenommen. Lediglich ein paar Fläschchen Arnica gibt es noch. Natürlich werden Rezepte mit verordneten Homöopathika nach wie vor beliefert. Für homöopathische Kundenwünsche in der Offizin hat sich das Team nun aber einen neuen Gesprächsfaden zurechtgelegt.
DAZ.online hat mit Iris Hundertmark gesprochen und gefragt, wie sie mit solchen Kundenwünschen in Zukunft umgehen will.
„Ich will eine ehrliche Apothekerin sein“
DAZ.online: Frau Hundertmark, so wie
in den meisten anderen Apotheken gab es auch in Ihrer Apotheke viele
homöopathische Arzneimittel zu kaufen. In der Sichtwahl hatten Sie ein großes
Regal damit befüllt. Nun ist dieses Regal leer. Was hat Sie von einem auf den
anderen Tag zu diesem Schritt bewegt?
Hundertmark: Ich habe mich lange Zeit mit dem
Thema Homöopathie befasst. Im Kern geht es mir darum, evidenzbasiert,
leitliniengerecht und ehrlich zu beraten. Es ist nicht richtig, dass an die
Beratung von schulmedizinischen Arzneimitteln und Homöopathika unterschiedliche
Anforderungen gestellt werden. Da unbestritten keine wissenschaftliche Evidenz
für die Wirksamkeit von Homöopathika vorliegt, ist es meine Aufgabe als
Apothekerin das in meine Beratung einfließen zu lassen. Ich trage mit dem
Abschluss meines Studiums einen ethischen Kodex in mir und möchte meinen Beruf
nach bestem Wissen und Gewissen ausüben. Denn ich glaube, dass sich Ehrlichkeit
langfristig gesehen mehr auszahlt als der Eindruck, der Apotheker wolle nur
verkaufen.
DAZ.online: Aber ist es nicht auch eine Aufgabe
des Apothekers, auf die Kundenwünsche einzugehen und alle möglichen
Behandlungsmöglichkeiten in Betracht zu ziehen, also auch die Homöopathie?
Hundertmark: Ja, ich werde die Belieferung homöopathischer Rezepte auch nicht einstellen, das darf ich ja auch gar nicht. Und auch die Wünsche der Kunden nach Homöopathie werde ich nicht sofort ablehnen, sondern sie nach dem Stand der evidenzbasierten Wissenschaft leitliniengerecht beraten. Ich glaube auch, dass wir Apotheker uns durch genau solche Entscheidungen vom Versandhandel abgrenzen.
„Auch
so grenzen wir uns vom Versandhandel ab“
DAZ.online: Wie meinen Sie das?
Hundertmark: Wir sehen den ganzen Menschen vor
uns, wir können fragen, aus welchen Gründen diese bestimmte Therapie gewünscht
ist. Wir sind keine Verkäufer, wir hinterfragen, informieren seriös und beraten.
DAZ.online: Gehen wir mal ein konkretes Beispiel
durch: Ich komme zu Ihnen in die Apotheke und möchte eine Packung Osanit
kaufen, weil mein Kind Zahnungsschmerzen hat. Wie reagieren Sie?
Hundertmark: Ich gehe auf keinen Fall sofort und direkt an die Schublade und gebe Ihnen das Päckchen. Ich werde Sie fragen, wie es dem Kind geht, ob es vielleicht sogar Fieber hat oder nur lokale Schmerzen im Mund. Dann werde ich Ihnen Alternativen beziehungsweise viele Möglichkeiten anbieten, ein zahnendes Kleinkind medikamentös zu behandeln, wie etwa ein Lokalanästhetikum für den Mund, Kühlung oder – im Falle von Fieber und größeren Schmerzen – auch eine schmerzstillende Therapie mit Ibuprofen oder Paracetamol ins Spiel bringen. Und natürlich werde ich dann sagen, dass auch das gewünschte Homöopathikum eine Möglichkeit ist. Dass dieses Mittel allerdings nur eine Wirkung hat, weil sich der Zucker auf der Zunge des Kindes auflöst, deshalb interessant schmeckt und das Kind somit abgelenkt ist, werde ich erwähnen
DAZ.online: Wie mussten Sie eigentlich die
Prozesse in Ihrer Apotheke umstellen, um sich auf das „Leben nach der
Homöopathie“ einzustellen?
Hundertmark: Ich habe ein gesamtes Sichtwahlregal
ausgeräumt, ich habe vielleicht noch vier oder fünf Fläschchen Homöopathie in
der Schublade. Bei eingereichten Rezepten werden wir die Kunden derzeit in den
allermeisten Fällen um Geduld bitten, weil wir das Präparat bestellen müssen –
oder ihnen ganz ehrlich sagen, dass es eventuell in einer
anderen Apotheke vorrätig ist und dort schneller bezogen werden kann.
„Ich
merke das bei den Einnahmen“
DAZ.online: Sie verzichten also auch ganz klar auf Einkünfte. Wie können Sie das verkraften?
Hundertmark: Natürlich merke ich es, dass die Einnahmen fehlen. Ich hatte die Wahl und habe mich für den wissenschaftlichen und vor allem ehrlichen Weg entschieden.
DAZ.online: Wie hat Ihr Team auf Ihre Entscheidung reagiert?
Hundertmark: Ich habe ein tolles Team. Im Übrigen habe ich diese Entscheidung nicht alleine getroffen, sondern mit dem Team gemeinsam. Wir haben uns lange überlegt, wie wir mit den Kundenwünschen künftig umgehen sollen und sind alle Leitlinien durchgegangen. Wir ziehen alle an einem Strang.
23 Kommentare
Anpassung = Ehrlichkeit?
von Elisabeth Geitner am 20.08.2018 um 10:37 Uhr
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Homo
von Fletzer am 20.08.2018 um 9:23 Uhr
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Grenzen der Selbstmedikation ausloten
von Elisabeth Thesing-Bleck am 19.08.2018 um 17:53 Uhr
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Sinnvoll? Besser ohne Beratung im Supermarkt?
von Pharmi am 19.08.2018 um 15:51 Uhr
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Kügelchen
von Conny am 17.08.2018 um 14:38 Uhr
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Unehrlicher POPULISMUS!
von Christian am 17.08.2018 um 12:13 Uhr
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AW: Unehrlicher POPULISMUS
von Dr. Arnulf Diesel am 17.08.2018 um 16:58 Uhr
Lob!
von Gregor Schulte am 17.08.2018 um 11:58 Uhr
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Nur mal angemerkt
von Stefan Haydn am 17.08.2018 um 11:09 Uhr
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AW: Nur mal angemerkt
von A. Hoffmann am 17.08.2018 um 11:51 Uhr
AW: Messen mit zweierlei Maß
von Stefan Haydn am 17.08.2018 um 15:28 Uhr
Globuli gehören weder in die Sichtwahl noch in Apotheke
von S. Grönig am 17.08.2018 um 10:59 Uhr
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AW: Globuli gehören weder in die Sichtwahl
von Ute Lehmann am 18.08.2018 um 11:22 Uhr
AW: Globuli gehören weder in die Sichtwahl
von Pharmi am 19.08.2018 um 15:59 Uhr
Homöopathie
von Dr Mathias Keil am 17.08.2018 um 9:38 Uhr
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Wer verkauft, hat recht?
von A. Hoffmann am 17.08.2018 um 9:20 Uhr
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AW: Die Naturwissenschaft hat recht
von Dr. Arnulf Diesel am 17.08.2018 um 10:57 Uhr
Wahrheit und Ehrlichkeit - anhängig vom Standpunkt?
von Andreas Schmitt am 17.08.2018 um 9:18 Uhr
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AW: Wahrheit und Ehrlichkeit - anhängig vom
von Ute Parsch am 18.08.2018 um 1:05 Uhr
jeder muss für sich entscheiden
von Karl Friedrich Müller am 17.08.2018 um 8:55 Uhr
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AW: jeder muss für sich entscheiden
von Alex am 17.08.2018 um 9:37 Uhr
AW: Ist so ne Sache
von Stefan Haydn am 17.08.2018 um 15:45 Uhr
Leitlinienroboter
von Thomas Kerlag am 17.08.2018 um 8:26 Uhr
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