Rote-Hand-Brief zu Thiopental

Missstände in italienischem Herstellbetrieb

Stuttgart - 17.08.2018, 17:15 Uhr

Der italienische Hersteller von Thiopental Inresa und Thiopental Rotexmedica weist GMP-Mängel auf. ( r / Foto: Inresa)

Der italienische Hersteller von Thiopental Inresa und Thiopental Rotexmedica weist GMP-Mängel auf. ( r / Foto: Inresa)


Thiopental von Inresa und Rotexmedica darf nur noch unter strenger Indikationsstellung verabreicht werden, der Vertrieb erfolgt bis auf Weiteres nur noch an Krankenhäuser. Warum? GMP-Mängel beim gemeinsamen italienischen Hersteller, sodass die geforderte Sterilität der Arzneimittel „nicht in dem gebotenen Maß gesichert werden kann“, heißt es in einem Rote-Hand-Brief. Ein Rückruf erfolgt nicht, um keinen Versorgungsengpass zu riskieren – Inresa und Rotexmedica sind in Deutschland die einzigen Thiopental-Vertreiber.

Es hapert nicht nur in Asien bei der sorgfältigen Herstellung von Arzneimitteln. Waren chinesische und indische Hersteller wegen des Valsartan-Skandals und des Impfstoff-Zwischenfalls jüngst stark in Kritik geraten, sind auch europäische Produktionsstätten nicht immer eine Garantie, dass alles GMP-konform läuft. Die pharmazeutischen Unternehmer Inresa und Rotexmedica informieren In Abstimmung mit ihren jeweils zuständigen Aufsichtsbehörden der Länder, dem Regierungspräsidium Tübingen und dem Landesamt für soziale Dienste Schleswig-Holstein, in einem Rote-Hand-Brief über Missstände in einem ihrer Herstellbetriebe in Italien, namentlich Lampugnani Pharmaceutici SPA. Sowohl Inresa als auch Rotexmedica beziehen von dort ihre Thiopental-haltigen Präparate.

Welche Thiopental-Präparate sind betroffen?

  • Thiopental Inresa 0,5 g Pulver zur Herstellung einer Injektionslösung: alle Chargen
  • Thiopental Inresa 1,0 g Pulver zur Herstellung einer Injektionslösung: alle Chargen
  • Trapanal 0,5 g Pulver zur Herstellung einer Injektionslösung: alle Chargen
  • Thiopental Rotexmedica 500 mg Pulver zur Herstellung einer Infusionslösung: Chargen 304679 und 304680
  • Thiopental Rotexmedica 1000 mg Pulver zur Herstellung einer Infusionslösung: Chargen 304382, 304952 und 304953

Thiopental: strenge Indikation und nur noch an Kliniken

Diese Präparate dürfen bis auf Weiteres nur noch unter strenger Indikationsstellung verabreicht werden, auch dürfen nur noch Krankenhäuser und Kliniken diese über den direkten Vertriebsweg beziehen. Während bei Inresa alle im Markt befindlichen Thiopental-haltigen Arzneimittel betroffen sind, trift es bei Rotexmedica nur ausgewählte Chargen (siehe Box).

Zum Hintergrund der Indikationseinschränkung informiert der Rote-Hand-Brief wie folgt: „Diese Vertriebs- und Indikationseinschränkungen beruhen auf der GMP-non-Compliance beim Hersteller des sterilen Wirkstoffs, Lampugnani Pharmaceutici SPA,, die von der italienischen Behörde AIFA vom 17.Juli 2018 (Eudra-GMP Database Report No.: IT/NCR/API//1/2018) festgestellt wurde, wonach die Sterilität der betroffenen Arzneimittel nicht mehr in dem gebotenen Maß als gesichert bewertet werden kann“.

GMP-Mängel gefährden Sterilität: Warum erfolgt kein Rückruf?

Die italienische Arzneimittelbehörde Italian Medicines Agency veröffentlicht auf der Seite der EUGDMP den Non-GMP-Report nach der Inspektion eines italienischen Pharmaherstellbetriebes. Laut dem Bericht gibt es größere Mängel bei den Räumlichkeiten, der Ausstattung und dem Material- und Personalfluss. Auch wurden bei der aseptischen Fertigung in den Produktionsbereichen Mängel detektiert sowie in der Qualitätskontrolle. Dies stelle ein kritisches Risiko für die öffentliche Gesundheit dar, da die Sterilität der Wirkstoffe nicht gewährleistet ist, heißt es im Bericht des EudraGDMP. Die Konsequenz: Thioepental dieses Herstellers darf nur noch in Indikationen eingesetzt werden, die denen keine Alternativen existiert. Die Zulassung zur Herstellung steriler Arzneimittel von Lampugnani Pharmaceutici SPA ist ausgesetzt, bis die Korrekturmaßnahmen umgesetzt und behördlich überprüft worden sind.

Im Bericht des EudraGDMP wird auch auf einen potenziellen Rückruf der Thiopental-haltigen Arzneimittel eingegangen. Dieser, so empfiehlt das EudraGDMP, sollte dann in Betracht gezogen werden, wenn einen anderweitige Versorgung mit Thiopental diesen Ausfall kompensieren könne, so dass keine Gefahr für einen Versorgungsengpass entstehe. Das ist wohl nicht der Fall, denn der Rückruf blieb bislang aus. In Deutschland sind Inresa und Rotexmedica die einzigen Hersteller, die Thiopental-haltige Arzneimittel in ihrem Sortiment führen.

Thiopental ist unverzichtbar bei ...

  • Hirndrucktherapie: Dieser Ansatz wird weiterhin von der Brain Traumata Foundation als Therapie bei therapieresistentem Hirndruckanstieg empfohlen.
  • Kinderanästhesie: Bei Neu- und Frühgeborenen gibt es keine Zulassung für Propofol. Thiopental ist hier weiterhin ein gängiges intravenöses Anästhetikum.

Thiopental ist ersetzbar bei ...

Häufig kann Propofol alternativ zu Thiopental eingesetzt werden, allerdings gilt es, folgende Punkte zu beachten, warnt der Rote-Hand-Brief:

  • Propofol kann in den meisten Fällen als Alternativsubstanz angewendet werden, aber nicht immer. Bei nachgewiesener Soja-Allergie kann Propofol nicht eingesetzt werden (Kontraindikation laut Fachinformation)
  • Von neurochirurgischer Seite wird Thiopental immer noch als Reservemedikament zur Hirndrucksenkung eingesetzt.
  • Etomidat ist auf Grund seiner Suppression der Nebennierenrindenfunktion kein gängiges Einleitungshypnotikum
  • Ketamin/S-Ketamin sind keine Einleitungshypnotika, zur Vermeidung von Halluzinationen müssen diese Substanzen in der Regel noch mit Benzodiazepinen oder Propofol supplementiert werden.

Diese Einschränkungen gelten, bis die GMP-Konformität bei Lampugnani Pharmaceutici SPA wieder gewährleistet ist.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.