Projekt eines engagierten apothekers

Jena: Studierende lernen Medikationsanalyse anhand von echten Fällen

Berlin - 18.09.2018, 16:10 Uhr

Medikationsmanagement will gelernt sein, findet Apotheker Stefan Göbel und lehrt es Studierenden der Uni Jena im Rahmen eines interdisziplinären Medikationsprojektes. (Foto. ABDA)

Medikationsmanagement will gelernt sein, findet Apotheker Stefan Göbel und lehrt es Studierenden der Uni Jena im Rahmen eines interdisziplinären Medikationsprojektes. (Foto. ABDA)


Im Mai und Juni dieses Jahres fand an der Universität Jena erstmalig im Rahmen der Vorlesungsreihe „Klinische Pharmazie“ ein interdisziplinäres Medikationsprojekt statt. Auf Initiative und unter Leitung von Apotheker Stefan Göbel untersuchten die Studierenden des achten Semesters Patientenmedikationsdaten und analysierten sie leitliniengerecht. Der Clou: Es handelte sich um authentische Fälle – und um eine echte Zusammenarbeit mit den behandelnden Ärzten. DAZ.online sprach mit dem engagierten Apotheker über das Projekt.

Für Stefan Göbel, Leiter der Brücken Apotheke im hessischen Heringen, ist die Etablierung eines interdisziplinären Medikationsmanagements seit längerem ein wichtiges Anliegen. So wurde der Pharmazeut schon im Jahre 2016 für die Entwicklung eines Konzeptes zur Etablierung eines Medikationsmanagements in den Apothekenalltag ausgezeichnet. Das Entscheidende an diesem Konzept sei die Zusammenarbeit von Apothekern, Ärzten, Krankenkassen und Patienten. Für die Durchführung eines solchen leitlinien- und sachgerechten Medikationsmanagements seien allerdings entsprechende Kenntnisse der Apotheker unerlässlich, so Göbel gegenüber DAZ.online. Zur Vermittlung dieser Fähigkeiten entwickelte er ein Unterrichtskonzept für Pharmaziestudierende, das er seit Mai dieses Jahres an der Universität Jena umsetzt.  

Foto: Hans-Heinrich Hartmann/vor-ort-foto.de
Apotheker Stefan Göbel hält interdisziplinäres Arbeiten im Medikationsmanagement für unverzichtbar

Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis 

Stefan Göbel hatte ab 2004 an der Universität Jena Pharmazie studiert. Als Dozent kehrte er nun an seine alte Uni zurück. Im Rahmen der Vorlesungsreihe „Klinische Pharmazie“ versuchte er die Studierenden des achten Semesters, für die häufig bestehende Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis zu sensibilisieren. „Mir ging es darum zu zeigen, was ein Medikationsmanagement ist. Beziehungsweise, was mit einer Medikationsanalyse erreicht werden kann“, erläutert Göbel.

Das Projekt an der Uni sei deshalb so wichtig, weil es verdeutliche, dass es immer einen Abgleich der pharmazeutisch-arzneimittelbezogenen Problemstellungen mit dem therapeutischen Konzept geben müsse. „Ich wollte den Studenten diese Denke einimpfen“, denn es sei wichtig, Informationen zu sammeln und dann auch auswerten zu können. Viele Patienten mit Polymedikationen nähmen ihre Medikamente erfahrungsgemäß nicht korrekt ein. Zudem hätten häufig weder Ärzte noch Apotheker einen Überblick über den eingenommenen „Medikamentencocktail“, was durch Verordnungen verschiedener Ärzte und unkontrollierte Selbstmedikation bedingt sein könne. „Je mehr Informationen wir haben, umso besser“, da ist sich Göbel sicher.

„Ich habe die Studenten ins kalte Wasser geschubst“

In der Pharmazeutischen Fakultät der Universität Jena solle nach Möglichkeit von nun an regelmäßig das Thema Medikationsmanagement in den Unterricht eingebunden werden, erläutert der Heringer Apotheker die Zukunftspläne. Im November 2017 sei das Projekt zum ersten Mal den Studierenden vorgestellt worden. Im Mai und Juni dieses Jahres wäre das Projekt dann mit 80 Studierenden des achten Semesters durchgeführt worden. In Gruppen von fünf bis sechs wären die vorher von Göbel zusammengetragenen Rohdaten von 14 realen Patienten mit einer Mindesteinnahme von zehn Medikamenten hinsichtlich leitliniengerechter Verordnung und Neben- und Wechselwirkungen analysiert worden. „Ich habe die Studenten ins kalte Wasser geschubst“, schmunzelt der Pharmazeut. Die Studierenden hätten die Daten mithilfe von Datenbanken untersuchen müssen.  Als Dozent habe er den Studierenden zudem jederzeit für Nachfragen zur Verfügung gestanden.  

Im Vorfeld mussten zunächst die teilnehmenden Patienten gefunden und deren Ärzte mit ins Boot geholt werden. „Das war recht aufwendig“, berichtet Göbel. Hierzu wurden die Patienten entweder in der Apotheke angesprochen oder auch von den Ärzten direkt vorgeschlagen. In jeweils einstündigen Aufnahmegesprächen, die er in seiner Apotheke mit den Teilnehmern geführt habe, seien das Medikationsverhalten, die subjektiven und objektiven Probleme sowie die unerwünschten Arzneimittelwirkungen erfasst worden. Die an die Studierenden weitergegebenen Rohdaten hätten sowohl verordnete Arzneimittel als auch OTC-Präparate enthalten. Ferner seien die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln, aktuellen Diagnosen, Begleiterkrankungen und Laborwerte erfasst worden. 

Interdisziplinäres Arbeiten unerlässlich

Damit das ganze Projekt auch eine „Win-Win-Win-Situation“ für die Studierenden, die Patienten und die beteiligten Ärzte sein konnte, wurden die gewonnen Erkenntnisse in Berichten zusammengefasst und mit den Ärzten besprochen, erklärt Göbel den Ablauf. Die Ergebnisse seien außerdem den Patienten in Einzelgesprächen erläutert worden. Die Studierenden erhielten zudem eine Beurteilung ihre Ergebnisse und Verbesserungsvorschläge durch die Ärzte. Wichtig seien ferner der Informationsgewinn, den die Ärzte daraus ziehen konnten, und die zusätzliche Sicherheit für die Patienten gewesen. „Ich war positiv überrascht, wie gut die Ärzte vorher schon gearbeitet hatten und wie gut auch die Studenten die Aufgaben umgesetzt haben“, resümiert Göbel.

Die größten Problemfelder, die sie bei der Auswertung der Daten ermittelt hätten, seien erwartungsgemäß die Adhärenz der Patienten und die unkontrollierte Einnahme von OTC-Präparaten gewesen. Die durch die Patienten selbst ausgelösten arzneimittelbezogenen Probleme seien auf hohem Niveau festgestellt worden, was erschreckend sei. Nicht nur deshalb sähe er die Zukunft in einem vermehrten interdisziplinären Arbeiten. „Der Apotheker kann eine sehr wichtige Rolle einnehmen, er muss aber auch verstehen, interdisziplinär zu arbeiten.“ Das Einzelkämpferdasein sei vorbei, da ist sich der rührige Apotheker sicher. „Wir können im System nur gemeinsam überleben, da die Daten immer komplexer werden. Wir müssen gemeinsam das Beste für die Versorgung der Patienten erreichen“, so Göbel. 



Inken Rutz, Apothekerin, Autorin DAZ.online
redaktion@daz.online


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